Griechenland steuert mit jedem Tag näher auf eine revolutionäre Situation zu. Die Massenproteste gegen die von der EU aufgezwungenen Sparpakete und Privatisierungen haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Von Alan Woods.
In diesen Tagen haben sich Vertreter des IWF, der EU und der EZB in Athen eingefunden, um Griechenlands weitere Budgetpolitik unter die Lupe zu nehmen. Der griechische Staat steht knapp vor der Pleite. Diese kann nur abgewendet werden, wenn seitens der EU und dem IWF neuerlich Geld zugeschossen wird. Im Gegenzug verlangt Brüssel von der griechischen Regierung ein massives Sparpaket und weitreichende Privatisierungen (Telekom, Häfen, Postbank). Die systematische Plünderung Griechenlands schreitet somit in Riesenschritten voran.
Regierungschef George Papandreou plant unter diesem Druck Budgetkürzungen in der Höhe von 6 Mrd. Euro. Zu diesem Zweck wurden auch die Oppositionsparteien eingeladen, dieses Sparpaket gemeinsam mit der Regierung zu schnüren. Doch sowohl die rechte wie auch die linke Opposition zeigt bisher wenig Interesse die Verantwortung für weitere Sparmaßnahmen zu übernehmen.
Die Arroganz, mit der etwa EZB-Präsident Jean-Claude Trichet die Forderungen nach noch härteren Sparpaketen und Privatisierungen erhebt, provozierte die Massen in ganz Griechenland.
Massenproteste
Am vergangenen Wochenende gab die griechische Bevölkerung ihre Antwort auf diese Erpressungsversuche aus Brüssel und Berlin. Wir sahen die größte Demonstration seit Beginn der Euro-Krise mit 150-200.000 TeilnehmerInnen in Athen. Aber auch in vielen anderen Städten kommt es seit Tagen zu
Massenprotesten.
Verzweiflung und Ohnmacht verwandeln sich in diesen Tagen in eine Bereitschaft, all diese Angriffe auf den Lebensstandard nicht mehr hinnehmen zu wollen. Auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament finden sich all jene ein, die angesichts von Korruption, Bankenrettungspaketen und anonymen EU-Bürokraten, die ihre Lebensgrundlage zerstören von Zorn erfüllt sind. Kurzum sie sind vom Zorn auf das gesamte ökonomische und politische System getrieben.
Inspiriert wurde dieser neue Proteststurm von den Protesten in Spanien. Auf den Demos sieht man ArbeiterInnen und Arbeitslose, deklassierte Kleinbürger, politische AktivistInnen und noch viel mehr Menschen, die zum ersten Mal auf die Straße gehen um zu demonstrieren. Die meisten sind nicht politisch oder gewerkschaftlich organisiert. Den Kern der Bewegung bilden wie in Spanien junge Menschen mit einem Universitätsabschluss, die keine Arbeit finden können.
Auf den Demos sind immer wieder auch griechische Fahnen zu sehen. Nicht wenige in der Linken lehnen deshalb diesen Protest ab, weil sie darin ein Zeichen für reaktionären Nationalismus sehen. Dass aber in einer Bewegung von solcher Dimension auch reaktionäre Elemente auftauchen, sollte uns nicht überraschen. Es wäre jedoch völlig falsch deshalb dieser Bewegung den Rücken zuzukehren. Und angesichts der Rolle, welche die EU in dieser Situation spielt und de facto der griechischen Bevölkerung jegliche demokratischen Rechte nimmt, darf es nicht verwundern, wenn dies zu einer Gegenreaktion führt. Doch es handelt sich hier nicht rein um einen Protest gegen das Diktat aus Brüssel sondern vor allem gegen die Banker und Kapitalisten aller Länder – Griechenland inklusive. Die DemonstrantInnen richten sich gegen die „Diebe“ im Parlament, den internationalen Institutionen und in den Banken. Ein Transparent brachte die Botschaft der Demos gut auf den Punkt: „Wir wollen unser Leben, wir wollen unser Glück, wir wollen unsere Würde!“ Wir haben es hier mit einer gewaltigen Erschütterung in der Psychologie der griechischen Massen zu tun.
Solch spontane Proteste haben aber ihre Grenzen. Es ist offensichtlich, dass ein Camp auf dem Syntagma-Platz nicht viel lösen wird. Ohne größere Perspektive führt eine derartige Taktik ins Nichts. Aber es wird ähnliche spontane Proteste in der nächsten Zeit immer wieder geben. Dessen sind sich auch die Bürgerlichen bewusst.
Die Staatspleite ist unabwendbar
Die EU zielt auf eine “sanfte” Umschuldung ab. Das würde eine Verschiebung der Rückzahlungen und eine Kürzung der Zinszahlungen bedeuten, sofern die Gläubiger dem zustimmen. Diese Maßnahmen werden aber an die Bedingung drakonischer Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben und die Plünderung der wichtigsten staatlichen Vermögenswerte über den Weg der Privatisierung geknüpft.
Doch Griechenland wird nie und nimmer seine Schulden zurückzahlen können. Früher oder später wird das Land pleite gehen. In der Zwischenzeit steigen angesichts der drohenden Pleite die Kosten für die Aufnahme weiterer Schulden auf den Anleihenmärkten stetig. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit bis Griechenland nicht mehr zahlungsfähig ist.
Ein weiteres EU-Paket aus Angst vor den Folgen einer Staatspleite würde das Problem zeitlich nur verschieben. Und dies wird die Opposition in anderen EU-Staaten gegen diesen EURO-Rettungsschirm nur weiter beflügeln. Die endgültige Entscheidung wird weder in Athen noch in Brüssel sondern auf den internationalen Finanzmärkten getroffen.
Eine griechische Staatspleite würde katastrophale Folgen für das europäische Bankensystem mit sich bringen. Die Gläubigerbanken würden massive Verluste hinnehmen müssen. Die EZB hat bereits gewarnt, dass selbst eine geringfügige Umschuldung zu einem Zusammenbruch des griechischen Bankensystems führen würde und in den Ländern an der Peripherie der EU Panik auslösen könnte. Die Ratingagentur meint, dass die volle Auswirkung einer Staatspleite in Griechenland auf den europäischen Kapitalmarkt „schwer vorherzusehen und noch schwerer zu kontrollieren wäre“. Die Kreditwürdigkeit von Schuldnern in ganz Europa könnte dann auf dem Spiel stehen.
Die Märkte haben die Sorge, dass eine Pleite Griechenlands andere hochverschuldete Länder mit in den Abgrund ziehen könnte. Dies erklärt warum jetzt schon andere Länder (Italien, Belgien) von den Ratingagenturen schlechter eingestuft wurden.
Ein Ausstieg aus der Euro-Zone würde Griechenlands Lage noch mehr verschärfen. Die Wiedereinführung der Drachme würde in einer sofortigen Währungsabwertung enden, um griechische Exporte im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass es auf den Finanzmärkten eine große Nachfrage nach dieser Billigwährung geben würde. Die Spirale nach unten würde sich weiter drehen, die Inflation würde massiv zunehmen und die Arbeitslosigkeit würde ebenfalls steigen. Diese Mischung wäre der Nährboden für revolutionäre Entwicklungen.
Was wir heute in Griechenland sehen, ist durchaus vergleichbar mit den Prozessen in Tunesien und Ägypten vor einigen Monaten. Die Bewegung auf dem Syntagma-Platz steckt noch in ihren frühen Anfängen, die Menschen wissen vielleicht noch nicht so genau, was sie wollen, aber sie wissen sehr genau, was sie auf keinen Fall mehr wollen.
Politischer Generalstreik
Diese Proteste zeugen von einer tiefsitzenden Unzufriedenheit mit allen bestehenden politischen Parteien – einschließlich der linken Parteien und auch der Gewerkschaften. Dasselbe Phänomen sahen wir in Spanien. Das heißt aber nicht, dass die Menschen unpolitisch wären. Es zeigt nur, dass diese bürokratischen Parteiapparate völlig abgehoben sind und nicht die Vorstellungen und Hoffnungen der Menschen zum Ausdruck bringen.
Die eintägigen Generalstreiks, wie wir sie bisher gesehen haben, sind nicht viel mehr als eine Demonstration der Stärke der Gewerkschaften. Er bringt die Massen auf die Straße und gibt ihnen ein Gefühl für ihre kollektive Kraft. Das ist sehr wichtig aber für sich genommen nicht ausreichend in einer derartigen Situation, wie sich die griechischen ArbeiterInnenklasse befindet. Angesichts der Tiefe der Krise des Kapitalismus in diesem Land haben diese Demonstrationen keinerlei Effekt. Die Regierung sitzt diese Generalstreiks einfach aus. Je öfter die Gewerkschaften zu dieser Kampfform greifen, desto geringer ist ihre Wirkmacht. Mangels Erfolgen werden die ArbeiterInnen dadurch eher demoralisiert und ermüden. Apathie macht sich breit, was die Regierung und das Kapital erst recht zu einer Offensive einlädt.
Vor dem Hintergrund dieser tiefen Krise ist die Forderung nach einem unbefristeten politischen Generalstreik die korrekte Forderung. Die Volksversammlung am Syntagma-Platz hat vor wenigen Tagen den Beschluss gefasst, dass es einen politischen Generalstreik braucht.
Aktionskomitees an jedem Ort!
Die Protestbewegung muss jetzt auf eine höhere Ebene gebracht werden. Der Beschluss nach einem politischen Generalstreik ist ein Ausdruck für die allgemeine Radikalisierung der Bewegung. Es zeigt, dass die ArbeiterInnen und Jugendlichen aus den bisherigen Erfahrungen lernen.
Die griechischen MarxistInnen von “Marxistiki Foni” propagieren in dieser Situation einen sofortigen 48-stündigen Generalstreik zur Vorbereitung auf einen Generalstreik. Aber ein unbefristeter Generalstreik muss organisiert werden. Er kann nicht einfach improvisiert oder über Facebook losgetreten werden. Dazu braucht es Belegschaftsversammlungen in den Betrieben, wo die ArbeitnehmerInnen über den Streik diskutieren, Aktionskomitees wählen, die der Versammlung rechenschaftspflichtig und jederzeit wieder abwählbar sind. Die Aktionskomitees müssen Druck auf die Gewerkschaften ausüben, damit diese ihre ganze Kraft in einen solchen Generalstreik legt.
In mehreren von Privatisierung bedrohten Industrien sind die ArbeiterInnen bereits in den Streik getreten. Diese Streikbewegung muss jetzt verallgemeinert werden hin zu einem unbefristeten Generalstreik bis die Regierung zurücktritt!
Eins muss dabei klar sein: Ein unbefristeter Generalstreik stellt die Frage der Macht in der Gesellschaft. Die Idee der Volksversammlungen weitet sich derzeit rapide in den Stadtteilen aus, und das gibt der Bewegung eine organisatorische Form. Solch eine Bewegung hätte das Potential die herrschende Ordnung zu stürzen, unter einer Bedingung: dass sie eine revolutionäre Führung hat. In diesem Punkt kann der spontane Charakter der Bewegung noch eine sehr negative Rolle spielen. Die Kräfte, die in den Volksversammlungen die Idee einer möglichen Reform der herrschenden Ordnung vertreten, werden die Versammlungen zu reinen Quatschbuden machen, in denen nie etwas entschieden wird.
Damit diese Aktionskomitees und Volksversammlungen sich voll entwickeln können, müssen sie sich vernetzen und eine gemeinsame politische Stoßrichtung entwickeln. Es muss klar sein, dass ihre Aufgabe in erster Linie darin besteht einen unbefristeten politischen Generalstreik zu organisieren. Eine landesweite Delegiertenkonferenz dieser Komitees und Versammlungen sollte so schnell wie möglich zusammentreten, um Schritte in diese Richtung zu setzen. Solche eine Körperschaft wäre bei weitem repräsentativer als die gegenwärtige Regierung, die völlig diskreditiert ist.
In Teilen der Bewegung kursieren bereits sehr richtige Forderungen wie jene nach Arbeitszeitverkürzung, damit die Arbeit auf alle aufgeteilt werden kann (MarxistInnen würden hinzufügen: bei vollem Lohnausgleich), oder die “Enteignung aller leerstehenden Immobilien” zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Diese Forderungen sollten nun verallgemeinert und konkretisiert werden. Wichtige Punkte wären dabei die Enteignung der Banken und der Schlüsselindustrien unter der Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung.
Als eine unmittelbare Forderung, entlang der die gesamte Bewegung vereint werden könnte, schlagen wir die Streichung der gesamten Auslandsschulden vor. Kein einziger Euro soll an die internationalen Finanzhaie gehen! Doch diese Forderung führt direkt und logisch zur Enteignung der griechischen Banken und die Zentralisierung der gesamten Kreditwirtschaft in den Händen des Staates.
Die Probleme Griechenlands können unter der Diktatur des Kapitals nicht gelöst werden. Der einzige Ausweg aus dieser Krise liegt in der revolutionären Überwindung des Kapitalismus.