Am 1. Oktober verkündete die Regierung unter Lenín Moreno ein Paket aus Sozialkürzungen und Konterreformen, was Massenproteste auslöste, die Aufstandscharakter annahmen. Die Regierung wurde gezwungen, wesentliche Teile der Maßnahmen zurückzunehmen. Laura Höllhumer berichtet.

Das von der aktuellen Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds ausverhandelte Sparpaket beinhaltete die Streichung der Subventionen für Kraftstoffe, Kürzungen in den Staatsausgaben, massive Verschlechterungen und Massenentlassungen für Beamte und Beschäftigte im öffentlichen Sektor (u.a. eine Halbierung des jährlichen Urlaubsanspruchs von 30 auf 15 Tage) und ein Paket aus Konterreformen für alle Arbeitsverträge. Begleitet sind sie von kapitalfreundlicher Politik, wie dem Abbau von Zöllen für den Import von Kapital und Waren, eine Senkung der Unternehmenssteuer und die Streichung der Kapitalexportsteuer. Im Gegenzug erhält Ecuador einen Kredit über 10 Milliarden US-$. Die Sparmaßnahmen hatten das erklärte Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln, die Staatsschulden von 46,1% des BIPs auf 36,6 % zu senken und die Währungsreserven des Landes aufzustocken.

Die Regierung ist seit 2017 im Amt, Lenín Moreno trat als Spitzenkandidat der Partei Alianza Pais an. Sein Vorgänger Rafael Correa, Gründer der linksreformistischen Alianza Pais, hatte – ermöglicht durch den hohen Öl-Preis – populäre Reformen durchgesetzt, mit dem IWF gebrochen und sich der Bolivarischen Revolution in Venezuela angenähert. Moreno hingegen verfolgte einen Kurs aus Kürzungen und einer Ausrichtung auf den US-Imperialismus. Das unterstrich auch die Auslieferung von Julian Assange (Correa hatte dem Whistleblower in der ecuadorianischen Botschaft in Großbritannien Asyl gewährt) im April.

Revolutionäres Potenzial

In Ecuador gab es sofort nach der Ankündigung der Sparmaßnahmen spontane Demonstrationen in der Hauptstadt Quito, die sich bald zu Massendemonstrationen und Streiks unter Beteiligung der Gewerkschaften und Studentenorganistionen im ganzen Land ausweiteten. Es kam zu Straßenblockaden, Besetzungen, einem Generalstreik und einer Massendemonstration zum Parlament, mit dem Ziel, dieses zu besetzen.
Die Regierung reagierte mit brutaler Repression, es wurde Tränengas auf DemonstrantInnen gefeuert, Panzerfahrzeuge in die Menge gesteuert und GewerkschafterInnen und Oppositionelle verhaftet. Doch hinter der scheinbaren Stärke des Staatsapparats war die herrschende Klasse gespalten:

Einige Regierungsmitglieder sprachen sich für Zugeständnisse aus, während andere dadurch eine Stärkung der Bewegung befürchteten. Dies und die Flucht von Lenín Moreno aus der Hauptstadt zeigte die Stärke der revolutionären Bewegung. Ein Ausnahmezustand für 60 Tage wurde verhängt, der die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Die Regierung fürchtete zurecht ihren Sturz.

Die Proteste dauerten 12 Tage an, forderten acht Tote, 1340 Verletzte und es gab 1192 Verhaftungen. Am 14. Oktober wurde bei Verhandlungen zwischen der CONAIE (dt. Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors – sie waren führend in der Bewegung), Kirchen- und Regierungsvertretern und der UN mit der Rücknahme des Benzinpreisgesetzes ein erster Teilsieg errungen.

Bittersüßer Sieg

Allerdings ist die Regierung Moreno noch immer im Amt und hält an ihren Plänen zur Verschlechterung der Lebenssituation der Arbeiterklasse und Jugend durch Sparmaßnahmen fest. Des Weiteren werden die Regierung und ihre internationalen Unterstützer nun versuchen, eine Offensive gegen die AnführerInnen der revolutionären Bewegung zu initiieren. Bereits jetzt werden Anhänger der oppositionellen Partei Correas („Bürgerrevolution“) verfolgt und verhaftet; sieben führende Mitglieder (einschließlich vier ParlamentarierInnen) flohen in die mexikanische Botschaft.

Die Oktoberproteste waren daher nur ein Auftakt für noch weitere Kämpfe. Es ist wichtig, Lehren aus den Protesten zu ziehen. Neben ihrer unzweifelhaften Kraft, müssen auch ihre Schwächen analysiert werden. Die Massen haben ihren Kampfeswillen und ihre Entschlossenheit bewiesen. Sie vertrieben die Regierung aus der Hauptstadt, gründeten bewaffnete Selbstverteidigungseinheiten gegen die staatliche Repression und gegen Provokateure. Sie brachten die Idee einer Volksversammlung aufs Tapet, die eine Alternativmacht zum Staatsapparat darstellen würde.

Um eine solche Volksversammlung mit Leben zu füllen, hätte sie mit Delegierten aus den Betrieben, Nachbarschaftskomitees usw. beschickt werden müssen – kurz: demokratische Führungsstrukturen müssen etabliert werden. Ebenso wäre eine stärkere Annäherung zwischen Gewerkschaften und VertreterInnen der Indigenen-Bewegung notwendig.

Wie so oft blieben die Anführer der Bewegung hinter dem Massenbewusstsein zurück. Das zeigte sich daran, dass CONAIE die auf den Demonstrationen populären Slogans zum Sturz der Regierung nicht aufgriffen, sondern sich von den Spaltungsversuchen Morenos beeindrucken ließen, die die Demonstrierenden u.a. als putschistische Correa-Anhänger beschimpfte.

Nieder mit Moreno! Für eine sozialistische Arbeiter- und Bauernregierung!

Es ist klar, dass die Zugeständnisse keinen Ausweg aus den permanenten Angriffen auf den ohnehin schon niedrigen Lebensstandard der Mehrheit der ecuadorianischen Bevölkerung bieten. Der einzige Weg vorwärts liegt im Kampf für ein sozialistisches Ecuador und ein Ende des kapitalistischen Systems. Das sind auch die Lehren der vergangenen 20 Jahre, in denen vier Regierungen durch revolutionäre Bewegungen gestürzt wurden, nur um durch andere ersetzt zu werden, die das kapitalistische System nie grundsätzlich in Frage stellten.

Eine Arbeiter- und Bauernregierung, direkt den Anliegen der Ausgebeuteten und Unterdrückten verpflichtet und durch diese kontrolliert, stellt einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Schlüsselaufgabe dieser Regierung wäre insbesondere die Verstaatlichung der Ölindustrie. Die bei den Protesten spontan entstandenen indigenen Selbstverteidigungsmilizen müssen zu landesweiten Arbeitermilizen ausgedehnt werden, um der Repressionen durch die Bürgerlichen und dem US-Imperialismus zu begegnen. Die sich bereits abzeichnende Spaltung innerhalb des Militärs anhand von Klassenlinien sollte vertieft werden: Es kam schon in der jetzigen Bewegung zu einer Reihe von Solidarisierungen einfacher Soldaten mit Protestierenden, teilweise verteidigten sie diese sogar gegen die Polizeigewalt. Des Weiteren stellen Appelle an die internationale Solidarität der Arbeiterklasse ein mächtiges Werkzeug gegen den Kapitalismus dar, von dem es Gebrauch zu machen gilt.

(Funke Nr. 178/8.11.2019)


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