Der 35. ordentliche Verbandstag der Sozialistischen Jugend in Graz ist vorbei. In einer Kampfabstimmung zur neuen Verbandsvorsitzenden zwischen Julia Herr und Fiona Kaiser setzte sich Julia Herr knapp mit 54% der Stimmen durch. Eine Analyse der Funke-Redaktion.

 Im Zeichen der Kampfkandidatur

Der erste Tag der zweitägigen Konferenz stand ganz im Zeichen der bevorstehenden Wahl der neuen Vorsitzenden. Dabei sorgte die zugespitzte Situation dafür, dass der Verbandstag so demokratisch konstituiert wurde wie schon lange nicht mehr. So wurden schon im Vorfeld zum ersten Mal eine langjährige Forderung der Funke-Strömung zumindest teilweise erfüllt, indem ein Teil der Anträge und somit der politischen Diskussion vor der Wahl stattfand. Außerdem wurde Gästen per Abstimmung zur Geschäftsordnung das Rederecht zuerkannt.

Die Stimmung auf dem Verbandstag war teilweise bis zum Zerreißen gespannt. Die beiden Lager drückten sich dabei vor allem durch eine Spaltung entlang der verschiedenen Bundesländer aus: Bis auf wenige Ausnahmen unterstützten die Delegierten aus Oberösterreich, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg Fiona Kaiser, die der Steiermark, Wien, Salzburg und dem Burgenland Julia Herr. Die Funke-Strömung als Ganzes hatte bereits im Vorfeld ihre Unterstützung für Fiona Kaiser kundgetan. Schon bei der Sitzordnung wurde der „Heimvorteil“ in der Steiermark durch das Bündnis um Julia Herr ausgenützt, indem die Delegierten der Aktion Kritischer Schüler_innen (aks), deren Loyalitäten vor der Wahl nicht ganz klar waren, zwischen die Delegierten der Steiermark, Wien und dem Burgenland gesetzt wurden. Konflikte darüber konnten nur mit Mühe beigelegt werden.

Im Laufe des ersten Tages wurden nach dem üblichen Begrüßungszeremoniell und einigen Diskussionen zur Geschäftsordnung in Folge die Leitanträge sowie jeweils ein Antrag aus jedem Bundesland diskutiert. Dabei wurde der Antrag der SJ Vorarlberg, SJ Alsergrund-Wien und SJ Römerberg-Linz „Sozialismus oder Barbarei“ mit nur wenigen Gegenstimmen und ohne Abänderungen angenommen, der eine ausführliche marxistische Analyse der Situation auf internationaler und nationaler Ebene darstellt und auch die Aufgaben der SJ in dieser Situation umreißt. Beim letzten Verbandstag wurde unsere Position noch von der Mehrheit abgelehnt. Gleichzeitig wurde aber auch der Leitantrag des Verbandsvorstandes, der teilweise dieselben Fragen auf eine reformistische Art und Weise beantwortet, ebenfalls mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen. Diese politische Unklarheit in Bezug auf die Frage sozialistischer Strategien in der Krise in der Praxis zu klären und die Unterschiede zwischen einer reformistischen und einer revolutionären Antwort auf die Krise des Kapitalismus aufzuzeigen, wird für uns also weiterhin die zentrale Aufgabe in der nächsten Verbandsperiode darstellen.

Wichtig war auch noch die Diskussion und Annahme des Leitantrages zur Großen Koalition. In der Analyse schon veraltet (der Großteil des Textes stammte noch aus der Zeit direkt nach der Wahl und vor der Regierungsbildung) ist dieser doch wichtig für die künftige Ausrichtung der SJ. Damit ist sie die erste Vorfeldorganisation der Sozialdemokratie, die sich klar gegen eine Koalition mit der ÖVP ausspricht. Es ist sehr positiv, dass sich die neue Verbandsvorsitzende auch offensiv in ihren ersten Medienauftritten gegen die Koalition aussprach. Mit einer Kampagne bis zum Bundesparteitag im Herbst müssen wir nun rund um diese Ausrichtung den innerparteilichen Widerstand formieren. Diese Positionierung gegen die Koalition schafft die Grundlage, um zukünftig bei Angriffen der Regierung klare Worte (und Taten!) zu finden.

Außerdem wurde durch einem Antrag auf Vorschlag von Fiona Kaiser der aks die volle organisatorische Unabhängigkeit gewährt. Wir begrüßen diesen Schritt in dem Sinne, dass so die in der Vergangenheit oft angewandten organisatorischen Manöver gegen die aks, falls diese politisch unbequem wurde, in Zukunft ausgeschlossen sind. Derzeit herrscht eine große Unklarheit vor, wie die SJ in Zukunft eine sozialistische SchülerInnenarbeit organisieren soll. Angesichts der drohenden Kürzungen bei der Bildung müssen wir dieses Problem jedoch schnellstmöglich angehen, um effektiven Widerstand gegen Bildungsabbau leisten zu können. Notwendig wäre jedenfalls eine revolutionäre SchülerInnenpolitik, in der SJ, aks und andere linke SchülerInnenorganisationen (wie Progress in der Steiermark) gemeinsam Widerstand gegen Sparpakete und Bildungsklau organisieren.

Vor der mit Spannung erwarteten Wahl wurde beiden Kandidatinnen die Möglichkeit eingeräumt, ihr Programm noch einmal vorzustellen. Dabei positionierten sich beide Genossinnen ganz klar antikapitalistisch, was absolut zu begrüßen ist. Doch Fiona Kaiser konnte in ihrer Rede nicht nur das Ziel des Sozialismus als ferne Utopie aufzeigen, sondern auch die ersten Ansätze des Weges, wie wir dort hinkommen. Die SJ müsse sich demzufolge durch die aktive Teilnahme an Klassenkämpfen, an Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung auf revolutionäre Situationen vorbereiten. Im Unterschied zu Julia Herr hat Fiona Kaiser in ihrer Rede aus einer Klassenanalyse und einer Analyse der objektiven Situation heraus ihr Programm abgeleitet. Diese Rede sollte unbedingt in schriftlicher Form einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden.

Das Ergebnis der Wahl war schließlich extrem knapp: 54% der Delegierten stimmten für Julia Herr, die damit neue Verbandsvorsitzende ist. Wir möchten ihr auf diesem Weg auch noch einmal zu ihrer Wahl gratulieren. Mehrere Interviews nach der Wahl mit bürgerlichen Medien, in denen sie klar für den Bruch der Großen Koalition eintrat, sind auf jeden Fall ein guter Anfang. Gegen den Druck der Parteispitze und der bürgerlichen Öffentlichkeit sowie bei der Umsetzung ihres Programms, das in vielen Fragen einen Bruch mit der bisherigen Praxis der SJÖ unter Wolfgang Moitzi darstellt, kann sie sich unserer Unterstützung sicher sein!

Der zweite Tag

Der zweite Tag zeigte jedoch auch, dass die Kräfte, die in den letzten Monaten in der SJ das Sagen hatten und die auf diesem Verbandstag auch das Lager rund um Julia Herr bestimmten, noch weit davon entfernt sind, einen Bruch mit der alten Ausgrenzungspolitik zu vollziehen. So lehnten sie den Vorschlag ab, neben der organisatorischen Verbandssekretärin am Verbandstag auch eineN politscheN SekretärIn zu wählen, der zur Wiederherstellung der Einheit der Organisation aus den Reihen des Bündnisses um Fiona Kaiser kommen sollte. Dort wurde zumindest von einigen führenden Köpfen dieses Bündnisses gezeigt, dass für sie die Beteuerung von Demokratie und Pluralismus reine Lippenbekenntnisse sind. So wurde wiederholt versucht, die Wahl der Verbandssekretärin ohne vorherige Debatte durchzusetzen und als diese dann doch stattfand, stellte ein führendes Mitglied der SJ Wien den Antrag auf Schluss der Debatte, obwohl noch 8 GenossInnen (u.a. Fiona Kaiser) reden wollten. Mit solchen Methoden setzen solche Funktionäre bewusst die Einheit der Organisation auf Spiel. Dieser Antrag wurde zwar knapp abgelehnt, aber letztendlich wurde auch keinE politischE Verbandssekretärin gewählt bzw. diese Entscheidung auf den nächsten Verbandsausschuss verschoben.

Das Wahlergebnis

Auch wenn der Wahlkampf sowie der Verbandstag in allen Fragen erfreulicherweise von einem „Rennen nach links“ geprägt waren, so wurde er doch auch von einer Vielzahl an organisatorischen Manövern überschattet. Wahlentscheidend war dabei auf alle Fälle, dass die alte Verbandsführung und das Verbandsbüro, dessen Wunschkandidatin Julia Herr war, ihre Ziele mit allen Tricks verfolgten. Für das Lager um Fiona Kaiser muss die Lehre sein, dass man mit bürokratischem Hickhack keine linke Mehrheit bekommen kann. Viel zu sehr hat man jedoch versucht auf dieser Ebene den Kampf auszutragen. Ein großer Teil der Delegierten konnten somit nur nach persönlicher Sympathie, organisatorischer Treue oder durch das Ausrechnen materieller Vorteile gewonnen werden. Gerade in der letzten Kategorie war aber immer klar, dass das alte Verbandsbüro letztendlich am längeren Hebel sitzen würde.
Die Linke hätte aber bei aller Verteidigung demokratischer Rechte noch viel stärker die politischen Unterschiede herausarbeiten müssen. Fionas Rede war dafür zu wenig. Selbst erfahrene BeobachterInnen bis hin zu den Kandidatinnen selbst konnten kaum Unterschiede zwischen den beiden Programmen erkennen. Nachdem die politischen Unterschiede jahrelang nicht offen ausgesprochen worden waren, reichte die kurze Wahlkampfzeit auch nicht mehr dafür aus.
Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Linke lange Zeit auch die politische Linie und die bürokratischen Mechanismen in der Ära Moitzi zumindest nach außen mitgetragen oder geduldet hat. In den Gremien waren Mitglieder der Funke-Strömung nicht selten in einer alleinigen Oppositionsrolle. Das war auch der Grund, warum sich unsere Strömung sehr lange nicht für eine der beiden Kandidatinnen festlegte, weil wir uns in den Diskussionen und in der Praxis erst ein genaueres Bild machen wollten.

Wie weiter?

Eines ist auf dem Verbandstag in aller Deutlichkeit noch einmal klar geworden. Die Mehrheit der Sozialistischen Jugend ist angesichts der Krise des Kapitalismus und die Verschärfung des Klassenkampfes zu einem klaren Kurswechsel hin zu einer linken und revolutionären Kraft bereit. Das spiegelt auch das Programm der neuen Vorsitzenden wider, wobei wir skeptisch sind, dass die Stützen ihres Bündnisses dieses Programm umzusetzen bereit sind. Was aber für Julia Herr spricht, ist, dass sie auch nach ihrer Wahl gemeint hat, dass sie die Verbandsvorsitzende aller Landesorganisationen und aller Mitglieder sein will. Sie hat im Wahlkampf und auf dem Verbandstag immer wieder auch bewiesen, dass sie gegenüber ihren UnterstützerInnen eine eigenständige Rolle einnehmen kann und immer gesprächsbereit ist. Wir hoffen, dass sie diesen Kurs fortsetzt und so für eine neue Organisationskultur in der SJ sorgt. Dies zu zeigen, dazu wird sie schon bald Gelegenheit haben. Die Politik der organisatorischen Manöver darf jetzt jedenfalls keinen Platz mehr haben.
Auf diesem Verbandstag konnte viele wichtige politische Debatten nicht geführt werden. Dies sollte unbedingt nachgeholt werden. Aus unserer Sicht sollte in absehbarer Zeit ein Sonderverbandstag für die Diskussion der ausständigen Anträge, für die Planung der Kampagne gegen die Politik der Regierung und für einen Bruch der Koalition sowie für die Wahl einer politischen VerbandssekretärIn abgehalten werden.
Dafür sollte sich das Lager rund um Fiona Kaiser, das zu einer wirklichen Plattform für eine revolutionäre SJ werden soll, einsetzen. Wir hoffen, dass Julia Herr eine solche Vorgangsweise ebenfalls unterstützt. Unser Ziel muss sein, dass die starken bürokratischen Interessen, die die SJ in der politischen Praxis nicht zu sehr in Konfrontation mit dem Kurs der SPÖ bringen wollen, in die Minderheit gedrängt werden. Wir sind uns sicher, dass auch eine Reihe von GenossInnen, die diesmal im Lager des alten Verbandsbüros waren und Julia Herr gewählt haben, dies begrüßen würden.
Um die SJ zu der linken, revolutionären Stimme der Jugend zu machen, muss es uns aber vor allem gelingen, uns unter den kämpferischsten Lehrlingen und SchülerInnen wieder breiter zu verankern, indem wir deren Unmut aufgreifen, mit ihnen Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse leisten und sie bei uns organisieren. Wenn wir dies auch mit einem tiefgehenden und breiten marxistischen Bildungsprogramm verknüpfen, wird die SJ auf dem nächsten ihrem Anspruch als revolutionär-sozialistische Massenorganisation gerecht werden!


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