Die Maturarede des HTL Wels-Schülers Tomas Neuner schlug im Juni medial große Wellen. Er nutzte sie für eine Abrechnung mit den untragbaren Zuständen an der Schule, wie sie auch in dem vorliegenden Interview noch einmal beschrieben sind. Für den Funke sprach Florian Buchmair mit ihm über die Hintergründe und seine Beweggründe.

Warum war es dir wichtig diese Rede bei der Abschlussfeier der Maturaklassen zu halten?

Damit endlich mal etwas gesagt wird, weil sonst, wie die letzten 50 Jahre seit es die Schule gibt, wieder nichts passiert wäre. Viele Schüler denken sich eben, in drei oder fünf Jahren muss mich das nicht mehr interessieren, quasi nach mir die Sintflut. Viele denken sich auch, bei der Maturarede sag ich dann nochmal was von mir erwartet wird, dass ich an der Schule Spaß hatte usw. und dann gehe ich zur Tür raus und komme nie wieder. Das wurde mir auch öfters geraten.

Aber mir war es wichtig, dass die Probleme, die ich, meine Klasse und unsere Abteilung über die Jahre wahrgenommen haben, mal angesprochen werden. Dass wir für die nachfolgenden Klassen und Generation mal probieren aufzuräumen. Um zu sagen: bleibt‘s kritisch und lasst euch nicht alles gefallen. Es sind Sachen die passieren, die aber nicht passieren dürfen. Und wenn niemand etwas sagt, wird sich auch niemals etwas verändern. Ich hoffe ich inspiriere damit genug andere Leute.

Welche Reaktion gab im Nachgang auf deine Rede, war man von Seiten der LehrerInnen und Direktion bemüht auf dich zuzugehen, konkret etwas gegen die Missstände zu tun?

Laut diversen Zeitungen soll im Herbst eine Klausur stattfinden, ich hoffe, dass hier etwas passiert.

Aber es ist oft so: Es geht kurz mal ein Raunen durch die Reihen der Verantwortlichen, unterschiedliche Medien berichteten davon, aber nach einer Woche ist das Thema schon wieder vergessen. Viel mehr kann ich aktuell nicht wahrnehmen. Seitens der Schule wurde ich noch nicht von irgendjemandem kontaktiert, auch wenn in den Medien das Gegenteil behauptet wurde. Es gab kein Gesprächsangebot. Ich hoffe aber, dass etwas geschieht, ich wäre definitiv dazu bereit, aber da müssten halt sie auf mich zugehen, wenn sie an ihrer Schule etwas verbessern wollen. Insgesamt haben sich drei Lehrer, von denen ich zu zweien ein fast freundschaftliches Verhältnis habe, mit uns solidarisch gezeigt. Sie haben gesagt, dass es gut war, was wir gemacht haben.

Zwei andere haben mir gesagt, dass sie das nicht gut finden, was ich auch verstehe. Mittlerweile hat sich die Landesbildungsdirektion eingeschaltet und die Lehrer angehalten, ihre Meinung nicht öffentlich kund zu tun. Deshalb kann ich jeden vom Lehrpersonal verstehen, der dazu schweigt, aus dem gleichen Grund, warum ich das während meiner Schulzeit auch nie gemacht habe – sonst hätte man mich ja auch rausschmeißen können. Nach der Rede sind SchülerInnen, ganze Klassen zu mir gekommen, haben gesagt, dass es super ist, dass endlich mal jemand sagt, was wir uns alle denken. Auch aus meiner eigenen Klasse sind fast alle hinter mir gestanden. Von SchülerInnen von anderen Schulen erreichten mich E-Mails, in denen sie sich bei mir bedankten. Das Schüler-Feedback war zu 95 % positiv.

Was sind aus deiner Sicht die Probleme, die für dich und deine MitschülerInnen am schwerwiegendsten sind?

Es gibt immer was zu kritisieren oder auch zu loben. An der Schule ist es sehr unorganisiert, was generell das Schulklima drückt. Wenn jeder Lehrer zu einem gewissen Thema einen anderen Wissensstand hat und in Bezug auf organisatorische Abläufe, beispielsweise beim Abgabetermin der Maturaarbeit, etwas anderes zu uns sagt, erzeugt das bei den Schülern einen extremen Stress. Es bleibt dann an uns, die Fehler auszubügeln, wofür wir aber nichts können. Organisatorisches ist es teilweise wirklich eine Katastrophe.

Was mir vor allem auch wichtig ist, ist der Umgang mit den Schülern. Es kommt einem oft vor, dass man den Verantwortlichen der Schule völlig wurscht ist, dass man quasi ein Kunde für die Schule ist. Fünf Jahre prügeln sie dich da durch und danach wollen sie einen so schnell wie möglich raus haben. Mir und unserer Klasse kommt vor, das auf diese Weise die Zwischenmenschlichkeit verloren geht. Es wird einem auch vermittelt, dass kein Interesse besteht, etwas an dieser Atmosphäre zu ändern. Wir haben zum Beispiel bei uns an der Schule einen extremen Missstand was die IT anbelangt. Der Wechsel von der 2. in die 3. Stufe ist so ein Leistungsunterschied, dass es extrem viele Schüler gibt, die in der 3. Stufe durchfliegen, weil sie es einfach nicht können. Das habe ich angesprochen, mit meinem Abteilungsvorstand damals schon besprochen, zwei oder drei Mal sogar, aber passiert ist nie etwas. Es ist so, wie ein Lehrer gesagt hat: die Schülervertretung ist nur da, damit die Schulleitung nach Außen sagen kann, dass es eine gibt. Wenn man dann mal als Schülervertreter aktiv wird, Veränderungen fordert, passiert rein gar nichts.

Du sprichst ja in deiner Rede davon, dass an der Schule in den letzten Jahren vier Selbstmorde geschehen sind. Wie konnte es zu so tragischen Vorfällen kommen?

Man kann nie sagen, das wurde mir oft in den Mund gelegt, dass die Schule alleine für die Selbstmorde verantwortlich ist. Aber die Schule könnte viele Dinge dagegen machen, was sie nicht tut. Sachen, die ich in der Rede angesprochen habe, tragen viel dazu bei, dass man sich nicht mehr wertgeschätzt fühlt. Menschen die mental instabil sind, mentale Krankheiten haben oder unter Depression leiden, denen geht es von Haus aus schlecht. Wenn dann noch so Aktionen kommen, die sich die Schule leistet, dann ist das so wie ein Messerstich.

Man kann natürlich nicht sagen, die Schule hat das verursacht, aber was ich fix sagen kann, ist, ich selbst habe drei Freunde, die sich genau aufgrund der angesprochenen Probleme in psychiatrischer Behandlung befinden: Der extreme Stress, das Gefühl, den ganzen Tag nichts zu erreichen, aber extremen Stress zu haben. Man kommt heim und hat auf einmal noch 1000 Sachen zu tun und wenn man das nicht schafft, bleibt man halt sitzen. Das ist jetzt nicht nur spezifisch an unserer Schule, es gibt genug Beispiele an anderen Schulen auch. Das kann es dann eben auch nicht sein, wenn die zu erbringende Leistung wichtiger ist als die mentale und körperliche Gesundheit - letztendlich die Leben der Schüler. Das ist ja komplett absurd.

Was mir hierbei am wichtigsten ist, ist, dass die Menschen in unserer Gesellschaft zu sehr die geistige Gesundheit übersehen. Von den älteren Leuten wird dann schnell mal gesagt, man solle sich nicht so anstellen, sich zusammenreißen oder man hätte nur einen schlechten Tag. Man übersieht dabei aber, dass es eine Krankheit ist, für die man eine Heilung braucht, von der man sich nicht erholt, wie von einer normalen Erkältung. In den letzten 10 Jahren ist das noch viel aktueller geworden. Durch die Sozialen Netzwerke haben Betroffene begonnen, sich offen, aber geschützt durch die Anonymität, zu äußern. Weil man sich dafür schämt, wenn man Depression hat, erzählt man so gut wie niemandem davon. Die Spirale dreht sich weiter, weil es extrem stigmatisiert wird. Ich hoffe, dass mehr Leute dazu ermutigt werden, zu sagen, dass ich und du nichts dafür können, unter einer Depression zu leiden. dass es ganz normal ist, man sich nicht dafür zu schämen braucht und man sich wie bei einem gebrochenen Fuß behandeln lassen kann. Niemand soll Angst haben nach Hilfe zu fragen.

Hast du versucht, dich gemeinsam mit anderen SchülerInnen zu organisieren?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich es nicht versucht habe. Die Möglichkeit, mich als Schulsprecher zu bewerben stand mir offen und die Chancen waren bestimmt nicht schlecht, aber ich wollte mir den Schulstress, vor allem im Maturajahr, nicht antun. Außerdem ist es wirklich anstrengend tagtäglich in der Schülervertretung zu sitzen und bei jedem Versuch etwas zu ändern, zu merken, dass man ständig gegen eine Wand rennt.

Was würdest du SchülerInnen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und nicht wissen was sie tun können, raten?

Mund aufmachen. Das ist das Wichtigste. Etwas sagen. Ganz einfach.

(Funke Nr. 175/Juli 2019)


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