Psychische Probleme greifen wie eine zweite Pandemie um sich. Die Herrschenden geben sich zwar „schockiert“, aber sie profitieren von einem System, in dem man vereinzelt und im Stich gelassen wird. Doch wir sind nicht alleine – und wir wollen kämpfen. Von Raphael Lins und Yola Kipcak.

Laut einer Studie der Donau Universität Krems vom Oktober und November 2021 haben 62% der Mädchen und 38% der Burschen (Alter: 14-20 Jahre) eine mittelgradige Depression. Das drückt sich laut Studie vor allem in Schlafstörungen, Angstzuständen, Essstörungen, Traurigkeit und Antriebslosigkeit aus. Auch regelmäßige Suizidgedanken treten bei 20% der Mädchen bzw. 14% der Jungen auf.

Diese extrem hohen Zahlen (v.a. unter den Mädchen) sind nicht zufällig. Die naheliegendsten Ursachen sind klar: Seit zwei Jahren wird man von einem Lockdown in den nächsten geschickt, kann kaum FreundInnen treffen, fortgehen, Hobbys nachgehen – also eben einfach leben. Stattdessen ist man zuhause gefangen, auch wenn es Stress mit der Familie gibt; Influencer erklären einem, wie das vermeintlich perfekte Leben ausschaut (und erzeugen unrealistische Erwartungen); Lernfortschritte sind mit Online-Unterricht und ständigen Unterbrechungen kaum möglich, der Druck wird aufrechterhalten, aber einen stringenten Plan zum Umgang mit der Pandemie gibt es – besonders für Schulen – immer noch nicht.

Aber das sind nur die unmittelbarsten Belastungen. Leute treffen, eine Alltagsroutine, rausgehen – das braucht man heute nicht nur, um sich grundsätzlich lebendig bzw. mit anderen verbunden und sicher zu fühlen, sondern allein schon, um nicht richtiggehend verrückt zu werden. Denn im Grunde ist für alle spürbar, dass die ganze Welt komplett aus den Fugen gerät.

Corona, die Arbeitslosigkeit, ein Waldbrand hier, ein gekentertes Flüchtlingsboot dort; es hat 15 Grad im Jänner, die gesellschaftliche Spaltung spitzt sich zu, eine neue Virusvariante kommt noch daher und die Mieten steigen parallel zum Arbeitsdruck – aber am prägendsten ist in Wirklichkeit das Gefühl, das eigene Leben (geschweige denn, was in der Gesellschaft passiert) nicht mehr richtig planen zu können – das Empfinden von Kontrollverlust auf allen Ebenen. Es ist überhaupt nicht sicher, ob man einmal einen Job bekommt oder ob es beispielsweise überhaupt sinnvoll ist, fünf Jahre auf die Uni zu gehen. Ständiger Leistungsdruck und Leere im eigenen Leben stehen unvermittelt nebeneinander. Was im eigenen Alltag wie eine Anhäufung individueller Probleme und persönliches Versagen erscheinen mag, hat gesamtgesellschaftlich betrachtet einen gemeinsamen Kern – den Niedergang und das Komplettversagen des Kapitalismus.

Dahinter steckt System

Die KapitalistInnen und ihre Regierungen sind „schockiert“, dass es der Jugend nicht gut geht, treten aber gleichzeitig jeden ihrer Versuche, sich des eigenen Lebens zu ermächtigen, mit Füßen. Gegen den massiven Protest ihrer KollegInnen werden 2021 in Österreich mehrere SchülerInnen abgeschoben. Im Sommer werden Jugendliche von öffentlichen Plätzen geprügelt, wenn sie feiern. Die Bürgerlichen benützen die Klimabewegung, um Wählerstimmen für „grüne“ Politik zu kapern, die zwar nichts fürs Klima tut, aber dafür Konzernen Geldgeschenke beschert. Indes verklagt der Wiener Bürgermeister jugendliche AktivistInnen in der Lobau. Die 10 reichsten Milliardäre verdoppeln in den letzten 2 Jahren ihr Vermögen und Après-Ski-Hütten kassieren Hunderttausende Euros an Staatshilfen, während sie Corona-Partys organisieren. Aber für mehr SchulpsychologInnen, LehrerInnen oder Klassenräume ist wie immer kein Geld da.

Das alles hat System: Der Kapitalismus, unser Wirtschaftssystem, hat den Profit zum einzigen Prinzip erhoben. Das bedeutet, dass es nicht um unsere tatsächlichen Bedürfnisse geht, sondern einzig und allein darum, dass die Wirtschaft läuft und der Reichtum der Reichen stetig wächst. Jedoch ist das nicht erst seit der Pandemie so, sondern die grundlegende Funktion des Kapitalismus. Die Pandemie hat diesen Prozess nur noch verstärkt, beschleunigt und für viele sichtbar gemacht. Nicht für die Menschen, für gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem oder für offene und sichere Schulen und Unis hat die Regierung Politik gemacht, sondern für den Profit – für die Konzerne, die großen Unternehmen, die viel zitierten Skilifte, vermittelt durch Korruption und gezuckert mit teurer Regierungs-PR.

Es brodelt

Die Unverfrorenheit der Herrschenden geht an niemandem vorüber, sie erzeugt Wut. Heute fühlen wir uns vielleicht noch machtlos und vereinzelt und als ob unter den vorherrschenden und belastenden Rahmenbedingungen niemand wirklich motiviert wäre, etwas zu tun. Aber erinnern wir uns: Die Black Lives Matter Bewegung vor zwei Jahren war wie ein Befreiungsschlag. Millionen Menschen weltweit haben gezeigt, dass sie Rassismus und Unterdrückung nicht hinnehmen wollen. Das war nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was noch kommen wird. Seitdem ist zwar eine bedrückende Stille eingekehrt, doch unter der Oberfläche brodelt es weiterhin. Bei der nächsten Gelegenheit werden wir sehen, dass die scheinbare Apathie nur eine Phase war und der Zorn einen gemeinsamen Ausdruck finden wird. Diese Chancen müssen wir nützen, um dem uns als alternativlos propagierten System schließlich ein Ende zu bereiten!

So könnten wir die Gesellschaft unter der Kontrolle der Mehrheit – den ArbeiterInnen – gestalten, statt unter der Kontrolle einiger weniger Superreicher, und zwar ohne Ausbeutung, Profitgier oder Klimakatastrophe. Chaos und Instabilität wären kein Teil unserer Realität mehr. Aber das Wichtigste ist, dass wir nicht mehr in einem System leben würden, das uns ausbeutet und krank macht, sondern das ein erfüllendes Leben ermöglicht.

Wir können bewusst daran arbeiten, den Kapitalismus zu stürzen und eine bessere Welt aufzubauen. Tritt uns bei und verändere Welt die mit uns!

(Funke Nr. 201/23.2.2022)


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