Der Kapitalismus steckt in seiner tiefsten Krise, die Jugend radikalisiert sich und immer mehr Menschen suchen Alternativen. Die russische Revolution im Oktober 1917 ist für viele ein erster Anhaltspunkt. Hier schaffte es die Arbeiterklasse zum ersten Mal in der Geschichte, sich vom Joch des Kapitalismus zu befreien. Von Fabian Cisar.

Passenderweise bietet die Universität Wien eine Vorlesung zur Geschichte der Sowjetunion an. Doch wer lernen will, wie man den Kapitalismus beendet, ist hier fehl am Platz. Stattdessen ist die Vorlesung ein Feldzug des Professors gegen die Oktoberrevolution.

Schon in der ersten Vorlesung tischt man uns das Märchen auf, die Oktoberrevolution sei nichts weiter als ein Putsch Lenins und seiner Partei, den Bolschewiki. Zwar lassen die Vorlesungen nur wenig Zeit für Diskussion, trotzdem hielten ein Genosse und ich mit Wortmeldungen dagegen. Schon Monate zuvor, in den Julitagen, hatten die Bolschewiki die Möglichkeit, die kapitalistische Regierung zu stürzen, als es zu bewaffneten Demonstrationen in St. Petersburg kam.W Jedoch versuchten sie die Demonstrationen genau davon abzuhalten und argumentierten stattdessen, dass zuerst die Arbeiterklasse und die Bauernschaft des restlichen Landes durch geduldiges Erklären von der Notwendigkeit des Sturzes überzeugt werden müsste.

Unser Professor blieb standhaft: Wenn es kein Coup war, warum waren es schlussendlich nur eine kleine Menge bewaffneter Bolschewiki und Arbeiter, die die kapitalistische Regierung festnahmen?

Erneut meldeten wir uns dazu zu Wort. Hier wird ein Teilaspekt des revolutionären Prozesses mit der gesamten Oktoberrevolution und den Entwicklungen in den Monaten zuvor gleichgesetzt. Offensichtlich hatte sich ein großer Teil der Arbeiterklasse im ganzen Land am Sturz der alten Ordnung beteiligt und kaum jemand ließ sich finden, der die Regierung und den Kapitalismus verteidigen wollte. Andernfalls hätten die Bolschewiki, die nur ein paar Monate zuvor kaum jemand gekannt hatte, nicht derart friedlich die Macht übernehmen können.

In weiteren Vorlesungen wird auch speziell gegen Lenin gewettert. Laut unserem Professor sei dieser als Gründer des modernen Totalitarismus anzusehen, als Vorgänger Stalins. Doch wenn das Regime von Stalin keinen fundamentalen Unterschied zu den alten Bolschewiki hatte, wieso war es dann für Stalin notwendig, nahezu die gesamte Führung der Oktoberrevolution in den Moskauer Prozessen der 1930er brutal zu foltern und umzubringen? Wieso führte seine Politik zur Vernichtung der meisten Errungenschaften des Oktobers?

All diese Unstimmigkeiten sind nicht überraschend und unser Professor kein Einzelfall. Die ganze bürgerliche Geschichtsschreibung über die Bolschewiki und russische Revolution ist durchdrungen von Verzerrungen. Für die bürgerlichen Historiker kann die Revolution nur ein Putsch gewesen sein, weil sie sich weder vorstellen noch verstehen können, dass die Arbeiterklasse ihre Geschicke ohne Kapitalisten und deren Politiker selbst in die Hand genommen hat. Von ihnen können wir also nicht lernen, wie man den Kapitalismus stürzt. Das müssen wir selbst tun, am besten in dem man sich beim Funke organsiert.

(Funke Nr. 209/6.12.2022)


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