In der heutigen sogenannten Parteiendemokratie sind Parteitage zur (medialen) Inszenierung der eigenen Partei und ihrer Führung da. Genau das hatte auch die SPÖ-Führung im Sinn, doch die Delegierten machten ihr einen Strich durch die Rechnung.
Seit Monaten war der heurige SPÖ-Parteitag im Zentrum des öffentlichen Interesses. In der Sozialdemokratie ist die Zufriedenheit mit der Politik der Parteispitze schon lange enden wollend. Die Regierung der Großen Koalition, die von Faymann & Co. als alternativlos dargestellt wird, lässt sich auf folgenden Nenner bringen: Roter Kanzler – schwarzes Programm. Von einer sozialdemokratischen Handschrift lässt sich in der konkreten Praxis nichts wiederfinden. Die roten Minister halten an der Sicht fest, dass es letztlich keine Alternative zum kapitalistischen Krisenregime gibt. Die Art und Weise, wie Faymann die Hypo-Krise im Interesse des Finanzkapitals und auf dem Rücken der Bevölkerung gelöst hat, hat viele zu dem Schluss kommen lassen, dass diese Sozialdemokratie zu nichts taugt.
Nicht zuletzt in den Gewerkschaften, die von Faymann wieder verstärkt ins Boot geholt worden waren, war der Unmut deutlich spürbar. In dieser Situation stellte die FSG-Spitze dem Bundeskanzler die Rute ins Fenster. Wenn er auf dem bevorstehenden Parteitag nicht einen Kurswechsel vollzieht, dann würde es um seine Zukunft sehr schlecht aussehen. Die Nagelprobe sollte sein, wie er sich in der Frage einer Lohnsteuerreform verhält. Für die Gewerkschaften ist diese Forderung überlebensnotwendig. Aufgrund der negativen Wirtschaftsentwicklung und dem starken Druck der Unternehmer bei den Kollektivvertragsverhandlungen ist aus der Sicht der Gewerkschaften, die sich voll und ganz dem Standortdenken verschrieben haben, eine offensive Lohnpolitik ein Ding der Unmöglichkeit. Wo sie Lohnerhöhungen ausverhandeln, werden die von der hohen Lohnsteuer weggefressen. Damit ihre eigene Basis in den Betrieben halbwegs bei der Stange gehalten werden kann, brauchen sie diese Lohnsteuerreform wie einen Bissen Brot. Dies würde aber auch nur dann helfen, wenn sie durch eine Vermögenssteuer gegenfinanziert ist, weil sich sonst die Lohnabhängigen die Reform ja selber zahlen müssten (z.B. durch eine höhere Mehrwertsteuer).
Die Löwelstraße stellte ein paar Rechnungen an und war sich schnell bewusst, dass sie nach der Pfeife der FSG zu tanzen hatte, um das Überleben des Parteivorsitzenden zu sichern. In der Tat mutierte Faymann plötzlich zum eifrigsten Befürworter einer Lohnsteuerreform, als ob die Idee von ihm selbst käme. Und damit auch wirklich nichts dem Zufall überlassen blieb, wurde die Parteitagschoreographie tunlichst in die Hände geschulter Apparatschiks gelegt. Mit ein wenig Nachhilfe aus der Parteizentrale sollten die Delegierten möglichst so ausgewählt werden, dass man mit minimaler Opposition rechnen musste. Uns wurde von Delegierten berichtet, dass sie noch persönlich angerufen wurden, um sie daran zu erinnern, dass es aufgrund der schlechten Umfragewerte für die SPÖ jetzt ganz schlecht wäre, wenn auf dem Parteitag nicht „Geschlossenheit“ demonstriert würde. 90 Prozent Zustimmung für den Vorsitzenden sollten auf diesem Weg kein Problem sein. Sollte man meinen.
Obwohl der Kanzler sein Spiel im Sinne der FSG spielte, obwohl der Apparat seine Arbeit gut gemacht hat, obwohl die FSG-Spitzen geschlossen dem Kanzler den Rücken stärkten, wurde der Parteitag zu einem Desaster für Faymann. Im Endeffekt erhielt er völlig überraschend nur 83,9 Prozent der Stimmen. Die generelle Stimmung der Unzufriedenheit, die in der Gesellschaft und der sozialdemokratischen Basis vorherrscht, fand auf dem Parteitag mehr als deutlich ihren Niederschlag. Dies bekam auch schon Ministerin Heinisch-Hosek auf der Frauenkonferenz zu spüren, die es nun ausbaden muss, dass man Sonja Ablinger, eines der wenigen linken Aushängeschilder der Partei, abserviert hatte. Auch wenn der Konflikt rund um die Frage der Einhaltung der Frauenquote geführt wurde, ging es hier im Grunde darum, was die SPÖ unter ihrem Aufruf zur „Geschlossenheit“ versteht, nämlich das Abwürgen der innerparteilichen Opposition.
Diese Opposition trat aber sehr lautstark in Erscheinung. Neben Ablinger, Andi Babler (Bürgermeister von Traiskirchen) u.a. war es vor allem die Sozialistische Jugend, die ihre Kritik offen vorbrachte. Julia Herr, die neue Verbandsvorsitzende, hat in der medialen Öffentlichkeit und auch innerparteilich mittlerweile den Ruf als linker Stachel im verkümmernden Fleisch der SPÖ. In einer inhaltlichen Frage nach der anderen hat die SJ einen Linksruck eingefordert. Mit ihrem kritischen Auftreten hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass der Unmut mit der Politik der Parteispitze einen Ausdruck findet. Es zeigt, wie wir schon so oft argumentiert haben, welches Potential die SJ bei der Herausbildung eines linken Flügels in der Sozialdemokratie hat.
Aber Eric Frey stellt im Standard zurecht die Frage: „Was wollen denn die Faymann-Gegner?“ Freys Kritik am mangelnden staatsmännischen Kalkül in der Basis ist natürlich nicht die unsere, doch liegt er mit folgender Feststellung richtig: „Wollten sie bloß – ähnlich wie der typische FPÖ-Wähler – ihren Frust über die Partei, die Regierung und die Welt an sich loswerden? Wenn sie ihn loswerden wollten, weil sie ihn nicht mögen, hätten sie einen anderen Kandidaten ins Spiel bringen müssen. Das war nicht der Fall.“
Doch dazu fehlt der Parteilinken sowohl der politische Gegenentwurf wie auch ein/e geeignete GegenkandidatIn. Die Fehler der Vergangenheit wirken hier spürbar nach. Jahrelang weigerte sich die SJ-Führung unter Wolfgang Moitzi die Verantwortung für den Aufbau einer organisierten SP-Linken zu übernehmen. Die Versuche der letzten Monate in diese Richtung hin zu wirken, stecken noch in den Kinderschuhen. Und die gesamte Herangehensweise der SJ-Spitze an dieses Problem steht dem Aufbau einer starken SP-Linken entgegen. Sie setzt im Wesentlichen auf Realpolitik. Anhand einzelner Themen will sie der Sozialdemokratie eine linkere Handschrift verpassen. Sie lotet bei jedem Schritt aus, ob es dafür eine Mehrheit geben kann. Zwar hat sie die Losung „Raus aus der Koalition“ zu der ihren gemacht, doch sie versucht diese nicht als Grundprinzip zu erklären, sondern sucht einen Weg, um diese Forderung, die aus ihrer Sicht keine Aussicht auf Umsetzung hat, möglichst pädagogisch zu erklären. Sie setzt dabei auf eine Verknüpfung der Koalitionsfrage mit der Frage der Lohnsteuersenkung bzw. Einführung einer Vermögenssteuer. Und selbst in dieser abgeschwächten Form hat sie am Parteitag den Kampf gegen die Parteispitze in erster Linie nicht rund um diese zentrale Frage gesucht, sondern versucht auf Nebenschauplätzen Boden zu gewinnen. Eine weitergehende Perspektive, nämlich die Notwendigkeit einer sozialistischen Umwälzung, wurde nur in einer Wortmeldung (von Fiona Kaiser) aufgezeigt, aber auch hier ohne dies in eine Gesamtstrategie, ausgehend von den aktuellen Fragen des Klassenkampfs, einzubetten.
Die Parteiführung kann mit dieser Konzeption durchaus leben und hat auf dem Parteitag auch eine Reihe von Zugeständnissen an die linken KritikerInnen in Einzelfragen gemacht. Zu einem gefährlichen Bumerang könnten sich die Forderung nach einer Organisationsreform und die Konzentration auf die Parteiprogrammdebatte seitens der Parteilinken erweisen. Auf diesem Terrain ist aufgrund des Allgemeinzustands der Sozialdemokratie und dem niedrigen Niveau des Parteilebens wenig zu holen. In diesen Diskussions- und Organisationsentwicklungsprozessen werden nur die besten Kräfte gebunden und aufgesogen. Bestenfalls kann man auf dem Papier kleine fortschrittliche Veränderungen durchsetzen, in der Praxis wird dies aber keinen Widerhall finden.
Zentral sind und bleiben die tatsächlichen Konflikte im Klassenkampf. Die Debatte über eine Lohnsteuerreform wird dabei von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Die Stellungnahme von Bau-Holz-Gewerkschafter Muchitsch hat bereits in diese Richtung gewiesen: „Steuerreform 2015 – jetzt erst recht, Faymann hat nichts mehr zu verlieren! Das ÖGB/AK-Steuermodell muss eine Richtschnur für das dringend notwendige Steuerreform-Modell sein. Finanzierungen zu Lasten der Beschäftigten müssen tabu bleiben. (…)Wir müssen auf unserem Weg öfter nach Links abbiegen, um wieder jene Menschen an Bord zu holen, welche uns früher gewählt haben.“
In der Debatte um die Lohnsteuerreform steht die Gewerkschaft unter Erfolgszwang. Ihr Motto war bisher: „Jetzt liegt’s an der Regierung!“ Doch jetzt kann sie noch weniger als zuvor darauf vertrauen, dass es Faymann für die ArbeitnehmerInnen richten wird. Man muss kein großer Prophet sein, um zu wissen, dass das ÖGB-Programm mit der ÖVP nicht durchsetzbar ist (egal wie viele Prozent Faymann auf dem Parteitag erhalten hätte!). Entweder die SPÖ geht also erneut in die Knie vor den Bürgerlichen oder die Große Koalition wird im Frühjahr 2015 in arge Bedrängnis kommen. Die bevorstehenden Landtagswahlen und die zu erwartenden Verluste der SPÖ könnten die Instabilität in der Großen Koalition zusätzlich befördern. Rund um den Parteitag wurden erneut Stimmen laut, die eine künftige Zusammenarbeit mit der FPÖ ins Spiel bringen. Was von vielen auch in der FSG als mögliche Option gesehen wird, um sich aus der tödlichen Umklammerung durch die ÖVP zu befreien, birgt aber für die Sozialdemokratie enorme Sprengkraft. Rot-Blau ist mit dem antifaschistischen Grundverständnis der Linken in der Sozialdemokratie unvereinbar. Ein solcher Schritt würde Spaltungsprozesse und die Herausbildung einer linken Wahlalternative zur SPÖ gewaltig beschleunigen.
Der SPÖ-Parteitag hat jedenfalls neue Elemente der politischen Instabilität hinzugefügt. Der nationale Schulterschluss, der von der SPÖ- und ÖGB-Spitze als absolute Notwendigkeit verkauft wird, erodiert Stück für Stück. Die wirtschaftliche Rezession wird diesen Prozess nur noch verschärfen. Die internationalen Erfahrungen (Spanien, Großbritannien,…) zeigen, dass eine gesamthafte Reformierung der Sozialdemokratie zu einer Partei der Arbeiterklasse ausgeschlossen ist. An der Spitze der SPÖ hat sich eine offen bürgerliche Führung festgesetzt, die den Apparat gegenwärtig fest unter ihrer Kontrolle hat. Diese in der SPÖ tonangebenden Kräfte sind auf Gedeih und Verderb in das bürgerliche System integriert. In ihrer Funktion sind sie objektiv der verlängerte Arm der Bürgerlichen in der Arbeiterklasse, d.h. sie passen ihre Politik an die grundlegenden Bedürfnisse des Kapitals an. Die kommenden Erschütterungen drohen die Arbeiterbewegung, die politisch völlig entwaffnet ist, in eine noch schwerere Krise zu stürzen.
Die Linke in der Sozialdemokratie, allen voran die SJ, muss sich politisch darauf vorbereiten. Das Gebot der Stunde ist es nicht, Kompromisse anhand von zweitrangigen Fragen mit der Parteiführung zu suchen, sondern eine klare Opposition anhand der Überlebensfragen der österreichischen Arbeiterklasse zu organisieren:
Nein zur Bankenrettung im Dienste des Finanzkapitals!
Nein zu jedem Sparpaket!
Nein zu jeder Lohnkürzung!
Nein zu jeder Massenentlassung!
Raus aus der Großen Koalition, raus aus dem nationalen Schulterschluss!