Vorarlberg. Die Gemeinde Alberschwende ist durch ihren Protest gegen die unmenschliche Asylpolitik weit über die Grenzen Vorarlbergs bekannt geworden. Florian Keller berichtet.
Alberschwende ist ein Dorf mit 3000 EinwohnerInnen am Eingang des Bregenzerwaldes in Vorarlberg. Ein ländlich geprägtes Dorfidyll, mit allem was 2015 dazu gehört: Ein vielfältiges Vereinsleben, Tourismus und eine ausgeprägte Dominanz der ÖVP (mit blauen und grünen Farbklecksen, aber ohne rote!). Das ist vor allem wichtig für das Kapital: Die Arbeiter sind meist unorganisiert, deswegen gibt es im „Wald“ auch gar nicht so wenig Industrie, weil die Chefs dort machen können, was sie wollen. Gastarbeiter aus Osteuropa sind besonders schlecht dran. Einheimische können sich noch öfters mit Beziehungen oder einem Haus daheim bessere Lebensbedingungen verschaffen, aber rosig schaut es nicht aus. Ganz und gar kein Dorfidyll aus einem Heimatfilm also, aber halt die Realität.
Im Jänner kam noch ein neuer Aspekt zum Dorf hinzu. Im Zuge der Aufteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer wurde auch in Alberschwende angefragt, ob Flüchtlinge aufgenommen werden könnten. Die Gemeinde besitzt ein Haus, das sie von einer Dame unter der Auflage geerbt hat, dass es für soziale Zwecke verwendet wird. Also kamen 8 Flüchtlinge, sie alle stammen aus Syrien und kamen über abenteuerliche Wege nach Österreich. Sie wurden mit offenen Armen aufgenommen und lebten sich in die Dorfgemeinschaft rasch ein, sofern das in wenigen Wochen mit ein wenig Deutsch- dafür aber umso besseren Kochkenntnissen möglich ist.
Das Dublin-Abkommen
So viel zur Nacherzählung. Doch es gibt kein „und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“. Dem macht vor allem der blutige Krieg in Syrien, aber in nicht geringerem Ausmaß auch die unmenschliche Gesetzgebung in der EU einen Strich durch die Rechnung. In Europa gilt das „Dublin-Abkommen“, das dafür sorgt, dass Flüchtlinge von jedem Land der EU in das erste Land der EU zurück abgeschoben werden können, in dem sie einen Asylantrag gestellt haben. Ersthilfe, nachdem man mit einem Boot über das Meer gekommen ist und nicht wie viele tausende andere gestorben ist, gibt es aber meist nur aufgrund so eines Antrages.
Wenn Flüchtlinge aufgegriffen werden, sorgt oft auch direkter Druck, in Ländern wie Ungarn auch Einzelhaft und Folter dafür, dass so ein Antrag gestellt wird. Ist er erst einmal gestellt, kommen die Flüchtlinge wieder frei und kehren klarerweise diesen Ländern oft den Rücken. Damit sind sie zwar in der Datenbank erfasst und es gibt von der EU Ausgleichszahlungen für sie, aber sie kosten dem Staat nichts mehr. Andere kommen ohne Asylantrag durch diese Länder, weil irgendwelche Quoten schon erfüllt sind, oder einfach aus bürokratischer Willkür.
Sind sie dann in Österreich angekommen, wird geprüft, ob sie schon einen Asylantrag gestellt haben oder nicht. Wiederum gibt es Quoten und Willkür, am Schluss steht dann jedenfalls ein völlig unterschiedlicher Aufenthaltsstatus für fast identische Fluchtgeschichten. Erhält man einen weißen Pass, heißt das, man bekommt ein Asylverfahren, was im Falle syrischer Flüchtlinge im Moment meist positiv ausgeht. Bekommt man einen grünen Pass, bedeutet das, dass man höchstwahrscheinlich so bald wie möglich in das „Erstantragsland“ abgeschoben wird, wenn man Pech hat durch „Kettenabschiebungen“ bis in die Türkei oder gar Syrien. Ein Kostenfaktor weniger, und nebenbei noch den Applaus der FPÖ abgeholt.
Dass hochtraumatisierte Kriegsflüchtlinge in diesem unmenschlichen System wie Vieh abgerechnet und behandelt werden, interessiert dabei niemanden. Der Kapitalismus macht aus Menschen Nummern. Und wenn jemand daran zerbricht, dient das sogar noch den rechten Hetzern, die alles Schlechte von außen kommend sehen.
Widerstand formiert sich!
Ihr Schicksal schilderten die Flüchtlinge natürlich auch im persönlichen Gespräch verschiedensten Menschen aus Alberschwende. Schnell setzte sich die Gewissheit durch: „Da müssen wir was tun“. Vor einigen Jahren gab es schon einmal einen Fall in Vorarlberg, in der Gemeinde Röthis, bei dem eine Abschiebung durch die Intervention von Menschen aus dem Dorf (und darüber hinaus) verhindert werden konnte.
Von Anfang an war der Widerstand breit und wird immer noch breiter. Bei der Initiative sind Menschen aus einer Theatergruppe und der Kirche dabei, die ÖVP-Bürgermeisterin neben Grünen, und natürlich auch viele, die gar nicht organisiert sind. Wir vom Funke unterstützten die Initiative natürlich auch! Es wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Initiative überparteilich ist und allen offen steht.
Die Ziele der Initiative sind klar: Die Syrer dürfen nicht abgeschoben werden! Was davor schon innerhalb der Gruppe diskutiert wurde, ist konkret geworden, seit einige von ihnen schon negative Bescheide bekommen haben und die Abschiebung jederzeit droht. Sofort wurden die Medien breit informiert, aber auch Infoabende in der Gemeinde veranstaltet, Unterschriften gesammelt, Plakate zur Unterstützung erstellt, eine Facebookseite gegründet... kurz: Alles nur Erdenkliche getan, um möglichst viele Menschen auf das Thema aufmerksam zu machen. Dabei wurde immer betont, dass es nicht nur um das Schicksal der 8 geht, die schon da sind, sondern um die unmenschliche Praxis der Abschiebung allgemein.
Wir stellen uns in den Weg!
Doch die Gruppe bleibt nicht dabei stehen, „nur“ öffentlichkeitswirksam zu handeln. Auch für den Fall der Abschiebung ist vorgesorgt. Weit über hundert Personen haben sich schon in eine Telefonliste eingetragen, die im Falle einer Abschiebung aktiviert wird. Dann werden sich wie in Röthis die Menschen der Polizei in den Weg stellen.
Dass die AktivistInnen entschlossen sind, hat sich bei der Überbringung von zwei Abschiebungsbescheiden gezeigt: Obwohl es sich eigentlich nur um eine polizeiliche Briefüberstellung handelte und somit in gewisser Weise nur eine „Generalprobe“ war, sind jeweils 20-30 Menschen gekommen. Auch sonst ist eine große Opferbereitschaft und kreative Energie zu spüren: Jede Nacht schlafen mittlerweile mehrere Österreicher im Haus der Flüchtlinge. Ein Leitfaden wurde erstellt, wie auf einen Polizeieinsatz oder einen Angriff auf das Haus reagiert werden sollte. Sogar ein „Widerstandstraining“ wurde angedacht! Bei jedem Treffen gibt es neue Ideen und viel Enthusiasmus.
Angriffe
Doch dass das Dorf bei weitem nicht so geeint ist, wie es am Anfang den Anschein hatte, zeigte sich am Osterwochenende. Eine Horde betrunkener junger Männer begann damit, Plakate mit Solidaritätsnachrichten zum Asylthema von verschiedenen Hausfassaden herunter zu reißen. Ihre Gesinnung offenbarte sich, als sie darauf angesprochen mit „Dreckslinker“ und „Drecksjude“ antworteten. Später in der Nacht machte noch einmal einer von ihnen vor dem Flüchtlingsheim Radau. Zuerst gab er sich gesprächsbereit. Dann aber kam es zu einer Schlägerei, im Nachhinein wurde das Fenster der Haustüre und dessen Gitter mit Faustschlägen demoliert.
Auch wenn die Täter später angaben, lediglich betrunken gewesen zu sein und und sich im Nachhinein naiverweise tatsächlich wunderten, warum ihre Tat in den Medien als rechtsradikal bezeichnet wurde, ist doch die geistige Grundlage für ihr Handeln klar. Der Boden für diese Taten wird durch die dauernde Medienhetze von Krone und Co. über „ausländische Straftäter“ genauso wie durch die Hetzpropaganda der FPÖ bestellt. Doch die Grundlage, auf der diese Saat erst aufgehen kann, ist der soziale Verfall im Land, der auch vor Gemeinden wie Alberschwende nicht halt macht – mangels einer linken Alternative kann die rechte Propaganda auch bei jungen Arbeitern aufgehen, dass AsylwerberInnen, Muslime und allgemein AusländerInnen der Grund allen Übels sind.
Wie weiter?
Was auch in den nächsten Wochen in Alberschwende passiert, schon jetzt kann man feststellen, dass die Initiative „Wir sind Asyl“ ein großer Erfolg ist. Tausende Flüchtlinge wurden in den letzten Jahren abgeschoben, in den meisten Fällen ohne dass großer Widerstand daraus erwachsen wäre. Die Initiative hat so eine Energie entwickelt, dass sie enorm bekannt geworden ist und ihrerseits für zukünftige Kämpfe einen Vorbildcharakter haben wird! Die Initiative hat gute Chancen, mit der Entschlossenheit und Energie, die sie entwickelt, zu Erfolg zu kommen. Letztendlich ist der Effekt auf das Bewusstsein vieler Menschen doch das Entscheidende: Der Staat zeigt hier auch in einer der konservativsten Ecken Vorarlbergs, dass er kein neutraler Beobachter ist, dessen Macht vom Volke ausgeht und der sich Gerechtigkeit auf die Fahnen schreibt, sondern dass er klare Interessen auch gegen den Willen des Volkes und mit schreiender Unmenschlichkeit durchsetzt.
Das ist kein Zufall oder Fehler im System, sondern so gewollt: Der Staat, wie er heute ist, ist dafür geschaffen im Notfall auch ArbeiterInnen und die Bevölkerung im Allgemeinen zu unterdrücken, wenn diese gegen die Interessen der Reichen und Mächtigen handeln. Dies zu erkennen, ist der erste Schritt dahin, dass eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung aufgebaut werden kann. Erst dann werden Unmenschlichkeiten wie Abschiebungen endgültig der Vergangenheit angehören.