Die SPÖ-Spitze wünscht sich einen prosperierenden Kapitalismus, einen friedlichen Ausgleich der Interessengegensätze und dadurch die Absicherung ihrer privilegierten gesellschaftlichen Stellung, erklärt Emanuel Tomaselli.

Das ist gerade in Zeiten der Krise des Kapitalismus höchst utopisch und führt in der Realität zu einem Programm der Kürzungen und Verschlechterungen. Unter dem Deckmantel der „Sozialpartnerschaft“ wird mit Unterstützung der SPÖ ein Programm gegen die ArbeiterInnen und für das Kapital durchgesetzt.

An den Reality-Check-Tagen namens „Wahlen“ verweisen SpitzenfunktionärInnen in Hinblick auf die deswegen unvermeidlichen Verluste der Partei dann auf die weltweite Krise. Menschen würden sich hier einfache, aber unrealistische Lösungen wünschen, was es brauche seien komplexe Lösungsmodelle, die die SPÖ habe und umsetze. Das Problem liege nicht etwa an der falschen Politik, sondern höchstens an der mangelnden Kommunikation. Dafür wurde jetzt auch in der Parteizentrale in der Löwelstraße ein Telefon eingerichtet, das „rote Telefon“. Im kleinem Kreis ist die Analyse klarer: Ein Spitzenfunktionär der Partei fasste es so zusammen: „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, solange wir diesen Staat mitverwalten, keine Wahlen mehr gewinnen werden“. Die Schlussfolgerung daraus ist jedoch nicht, dass man seine Politik ändert, sondern dass man lernen müsse, mit Wahlniederlagen umzugehen.

Die Unterordnung der sozialdemokratischen Führung unter die Bedürfnisse des Kapitalismus und die Verschmelzung ihrer Partei- und Gewerkschaftsapparate mit dem Staatsapparat ist nicht neu. In anderen historischen Perioden formierte sich in der Sozialdemokratie eine linke Opposition gegen diesen Kurs: der Bildungsverein „Karl Marx“ etwa und die „Linksradikalen“ im 1. Weltkrieg, die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft revolutionärer Arbeiterräte“ in der Rätebewegung, die Revolutionären Sozialisten nach dem Februar 34, der massive Linksruck der Jugendorganisationen in den 1970ern, die klare Opposition einer starken SJ gegen die Neuauflage der Großen Koalition 2007 („Für eine SPÖ-Minderheitsregierung!“). Heute bleibt es ohrenbetäubend ruhig.

Kompass

Ja, es gibt den „Kompass“, der sich der Rettung der SPÖ verschrieben hat. In Oberösterreich traten 150 GenossInnen zu einer Konferenz zusammen, um über den Wahlausgang zu beraten. Dies zeigt, dass es hier eine ganze Schicht an GenossInnen gibt, die bereit sind aktiv das Ruder herumzureißen. Doch die Orientierungspunkte, auf die der Kompass gerichtet ist, steuern dieses Boot auf die gleichen Sandbänke wie die Gesamtbewegung. Die wichtigste inhaltliche Forderung, die erhoben wurde, ist jene nach dem Erhalt des Soziallandesrates für die Sozialdemokratie. Man fordert also das ein, was die Sozialdemokratie ständig ausblutet: die Mitverwaltung der Krise im Rahmen des Staatsapparates, die inhaltliche Begründung für diese Forderung dabei ist bitter (siehe  Bild).

Stattdessen muss eine linke Opposition damit beginnen, das Übel an der Wurzel zu packen: Nein zur Kürzungspolitik, raus aus der Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen, für die Unterstützung und Ausweitung aller Arbeitskämpfe. In Oberösterreich, das in diesem Jahr eine Reihe von Arbeitskämpfen im Gesundheits- und Sozialbereich erlebt hat (u.a. gegen die von der SPÖ mitverwalteten Kürzungen), wäre diese Orientierung nicht auf     taube Ohren gestoßen. Eine linke Opposition, die Erfolg haben will, muss sich mit voller Kraft in den Widerstand gegen die bürgerliche Politik der Parteispitze werfen und dies in den Mittelpunkt ihrer Aktivität stellen. Die tatsächlich gewählte Strategie, die Sozialdemokratie zu „retten“, ohne eine klare politische Alternative aufzuzeigen, kann bestenfalls den weiteren Niedergang der organisierten Arbeiterbewegung vor den AktivistInnen verschleiern und isoliert sie gleichzeitig von einer breiten Schicht an AktivistInnen, die von der Politik der SPÖ völlig desillusioniert sind und sich von ihr abgewendet bzw.  sich ihr nie zugewendet haben. Das alles sind Gründe dafür, warum die Initiative bis jetzt außer in Oberösterreich nicht vom Fleck gekommen ist.

In dieser Situation des gesellschaftlichen Vakuums blicken viele mit Hoffnung auf den erdrutschartigen Sieg von Jeremy Corbyn, des linken Kandidaten bei der Wahl zum Vorsitzenden der britischen Labour-Partei. Die Basis dafür war seine konsequente Ablehnung der Politik, nicht nur der Konservativen, sondern auch der rechten Parteispitze unter Tony Blair und seinen Nachfolgern. Alleine zwischen 2005 und 2010 stimmte er 235 Mal gegen die eigene Parteilinie! Außerdem war er aktiv an allen großen Mobilisierungen, Demonstrationen und Streiks beteiligt, die in den letzten Jahren stattfanden, auch wenn sie sich direkt gegen die Parteispitze richteten, wie etwa beiden Großdemonstrationen gegen den Irak-Krieg. In seinem Wahlkampf schließlich war der Moment des Durchbruchs, als er in London vor mehr als 250.000 Menschen, die gegen die Sparpolitik der Regierung demonstrierten, eine Brandrede hielt. Seitdem traten hunderttausende Menschen in die Partei ein, um für ihn zu stimmen. Das war die wichtigste Basis für seinen Sieg. Viele AktivistInnen, die einen Ausweg aus dem Dilemma der SPÖ-Politik suchen, sehen hier eine Alternative. Die Frage ist: Kann es einen Austro-Corbyn geben?

Für uns ist klar: Wir werden jede entschlossen, linke Opposition gegen die bürgerliche Politik der Parteispitze unterstützen. Doch in Österreich ist die Opposition bisher nicht gerade durch Entschlossenheit aufgefallen. Im Gegenteil: In keiner Schlüsselfrage (Sparpakete, Bankenrettungen, Große Koalition und Rot-Blau) schaffte sie es, sich zu formieren. Auch auf gewerkschaftlicher Ebene herrscht eine sozialpartnerschaftlich argumentierte Defensive, und so fehlen große Klassenkämpfe als Basis für eine breite linke Strömung. Dazu kommt, dass die bürokratischen Checks-und-Balances in der österreichischen Sozialdemokratie noch völlig intakt sind und steckt auch  oppositionellen AkteurInnen in Fleisch und Blut. Die brausende Kampagne von Corbyn hat in der Löwelstraße alle Alarmglocken läuten lassen. Die KritikerInnen von Faymann dagegen sind von Entschlusslosigkeit geprägt und haben kein politisches Profil, das sich von der Politik Faymanns merkbar unterscheiden würde. Einige linke Persönlichkeiten, die Widerstand organisieren hätten können, beugten sich stattdessen der Parteispitze (wie Daniela Holzinger) oder verließen ohne Kampf die Partei (wie Sonja Ablinger).

Die Verewigung der Großen Koalition

Diese politische Schwäche nützt Faymann gekonnt aus. In einem selten zynischen Akt ließ er sich von seinen Getreuen zur Frontfigur und zum Garanten von „erfolgreicher menschlicher SPÖ-Politik“ stilisieren. Dies kann man dem Parteivorsitzenden per Unterschrift im Internet attestieren (gegenschwarzblau.at). Scheinbar ist ihm damit Erfolg beschieden: Mittels aktiver Mobilisierung aller Apparate und Direktmails an alle Mitglieder hat er in zehn Tagen 5000 Menschen zur Unterschrift bewogen, zehnmal mehr als jene vom ehemaligen Sozialminister Buchinger und der liberalen Presse zur Unterschrift mobilisierten 500, die auf wirwollenmehr.at seinen Rücktritt fordern. Doch in Wirklichkeit ist es ein Zeichen von großer Schwäche, wenn ein amtierender Regierungschef und Parteivorsitzender zu solchen Methoden greifen muss, um seine Macht abzusichern.

Durchschaut ist Faymanns Zug allemal: Er will nicht nur sich, sondern vor allem die Große Koalition und die Sozialpartnerschaft verewigen. Und dafür kann er soziale Kräfte mobilisieren. Ein Blick auf die ErstunterzeichnerInnen legt seine soziale Basis offen. Da sind auf der einen Seite jene, die ihren Job direkt der momentan herrschenden Clique in der Parteispitze oder der SPÖ-Regierungsbeteiligung verdanken – darunter der Landeshauptmann des Pleitebundeslandes Kärnten, der auf Mildtätigkeit aus dem Bundesbudget angewiesen ist.

Abgesehen davon ist es jedoch der FSG-Apparat, der hier für Faymann wirbt. Gefesselt im Standortdenken, völlig unwillig und zunehmend unfähig die KollegInnen zur Verteidigung des Lebensstandards zu mobilisieren, haben die Spitzen der Gewerkschaften (bisher ohne großen Widerspruch) die Organisationen auf Haut und Haar dem Erhalt des derzeitigen Ordnung quo verschrieben. So haben zwei soziale Kräfte zusammengefunden (Faymanns Apparat-Netzwerk und die Gewerkschaftsbürokratie), die entschlossen sind, den Status quo gegen den kommenden Sturm vorerst gemeinsam aufrecht zu erhalten.

Was macht die Arbeiterbewegung?

Diese Interessenskoalition wird spätestens bei den kommen Nationalratswahlen vom Wahlvolk abgewählt werden. Im bürgerlichen Lager stehen bereits jetzt alle Zeichen auf Offensive: man setzt jetzt das durch, was momentan geht und desavouiert die SPÖ dabei so gut es geht. Damit wird eine schwarz-blaue Regierung vorbereitet, die dann umso entschlossener angreifen kann, nachdem sich die Organisationen der Arbeiterklasse sich ausführlich diskreditiert haben.

Die Aufrechterhaltung des jetzigen Zustands ist keine Alternative zu Schwarz-Blau. Der Grund ist einfach: Man kann keine soziale Bewegung entfachen, die darin besteht, die heutige vergleichsweise langsame Verschlechterung gegen eine schnellere Verschlechterung unter einer neuen Bürgerblockregierung zu verhindern.

Eine Grundvoraussetzung für eine politische Neubewaffnung der Arbeiterbewegung ist die Anerkennung objektiver Tatsachen, wie sie bereits einleitend geschildert worden sind. Es gibt kein Zurück zum prosperierenden Kapitalismus. Kapitalismus heißt heute: Kürzungen, Verschlechterungen, Schließungen etc. Die gegensätzlichen Interessen von Profit und Lebensbedürfnissen von Menschen können nicht mehr gütig ausverhandelt werden, wie dies bis zu einem gewissen Grad während des Nachkriegsbooms möglich war.

Diese Politik führt geradeaus zur Krise der Arbeiterbewegung. Und der erste Schritt in Richtung Widerstand dagegen ist, wie es Jeremy Corbyn gemacht hat, entschlossen NEIN zu sagen.


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