Der Wahlkampf zur Stichwahl der Bundespräsidentschaftswahl geht in die heiße Phase und die politische Situation in Österreich ist so polarisiert wie schon seit Jahren nicht mehr. Eine Analyse von Florian Keller.

Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen hat offensichtlich gemacht, was sich schon seit Monaten ankündigt. Auf der einen Seite mussten die Regierungsparteien eine herbe Niederlage einstecken, die das Fortbestehen der großen Koalition stark in Frage stellt. Auf der anderen Seite konnte die FPÖ ihre starken Umfragewerte das erste Mal auch bei einer bundesweiten Wahl realisieren. Mit über 35% im ersten Wahlgang konnte ihr Kandidat Norbert Hofer klar den ersten Platz erringen und geht jetzt mit einigem Rückenwind gegen den ehemaligen Vorsitzenden der Grünen Alexander Van der Bellen in die Stichwahl.

Dieses Ergebnis war für viele ein Schock und ist tatsächlich ein deutliches Warnsignal. Die Frage, die sich vielen stellt ist: Wie konnte eine Partei, die offensichtlich Überschneidungspunkte mit dem Rechtsradikalismus hat und eine so offen rassistische Politik betreibt, so viele WählerInnen gewinnen? Und vor allem: Was können wir jetzt gegen den Rechtsruck tun? Es ist nötig, diese Fragen nicht nur oberflächlich und impulsiv zu beantworten, sondern die gesamte Situation zu analysieren.

Die offiziellen Erklärungen für das Erstarken der FPÖ variieren dabei stark. Die meisten davon spiegeln dabei das eigene gesellschaftliche und politische Interesse viel eindeutiger wieder, als dass sie eine wirkliche Analyse wären. Die Bürgerlichen jeder Couleur führen den „Stillstand in der Regierung“ ins Feld – ihre Vorschläge (wie immer): Es muss mehr gekürzt werden, mehr Konterreformen auf den Weg gebracht und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs wieder hergestellt werden. Die rechten ReformistInnen in SPÖ und Gewerkschaft wollen, dass man der FPÖ den „Raum“ nimmt, indem man selbst das „Asylthema“ offensiv angeht (sprich: die rassistische Politik noch weiter verschärft). Die linkeren ReformistInnen wollen das zwar nicht, aber wollen auch gleichzeitig nicht auf Konfrontationskurs mit den RechtsreformistInnen gehen – und sagen deswegen, dass über das Asylthema und die FPÖ am besten gar nicht gesprochen werden soll.

Tatsächlich ist der Erfolg von Hofer und der FPÖ nicht aus deren eigenen Programm zu erklären, nicht einmal aus der Flüchtlingsfrage heraus. In Wirklichkeit ist es genau anders herum als vielfach behauptet: Nicht die Flüchtlingsfrage hat das politische System auf den Kopf gestellt, sondern das unvermeidliche Aufbrechen der politischen Nachkriegsstabilität findet seinen Ausdruck in der Flüchtlingsfrage. Die Flüchtlinge wurden zur Projektionsfläche der sozialen Frage, die sich wiederrum in der Krise des Kapitalismus unvermeidlich zuspitzt. Alle bürgerlichen Parteien geben keine Antwort auf die soziale Frage, oder sie geben eine rassistische - die Flüchtlinge nehmen uns die Arbeitsplätze weg, belasten das Sozialsystem, den Wohnungsmarkt etc. Auch die ReformistInnen in der Arbeiterbewegung finden keinen Raum für Reformen mehr vor, die rechteren geben sich deswegen ebenso dem unverblümten Rassismus hin, um ihre Posten zu bewahren.

Die Partei, die den rassistischen Sozialpopulismus am weitesten treibt und in ihrer Oppositionsrolle am glaubhaftesten vertritt, ist die FPÖ. Nur so ist der Sieg Norbert Hofers zu erklären, und hier liegt auch der Punkt, an dem ihr Aufstieg aufgehalten werden könnte: Eine offensive Antwort auf die soziale Frage von links. Doch die traditionellen Massenorganisationen der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie, befinden sich in einem selbstgewählten „sozialpartnerschaftlichen“ und „großkoalitionären“ Würgegriff des Kapitals.

Der Nährboden für so eine barbarische Ideologie wie den Rassismus ist darin zu suchen, dass seit Jahrzehnten die ArbeiterInnen für ihre Probleme individuell verantwortlich gemacht werden. Bilde dich besser, dann verdienst du mehr! Sei flexibler, dann findest du einen Job! Sei mit weniger zufrieden, dann wirst du schon ein Auskommen finden! Nachdem der Klassenkampf von den BürokratInnen in der Arbeiterbewegung aus Angst vor einem Bruch mit den Bürgerlichen seit Jahrzehnten erbittert bekämpft wird, sind Enttäuschung und Schwächung dieser Organisationen die Folge. An seine Stelle tritt unvermeidlich die Individualisierung, der Kampf gegen den konkurrierenden Arbeiter statt der gemeinsame Kampf gegen die Chefität. Dass diese Spaltung in Wirklichkeit die Situation der ArbeiterInnen noch schlimmer macht, ist zwar richtig, aber ohne konkrete Alternative des gemeinsamen Kampfes wird dies nur von wenigen gehört werden.

Wir müssen deswegen klar sagen: So lange eine Antwort auf die soziale Frage nur von rechts kommt, wird die Zuspitzung der Krise die Rechte und den Rassismus nur weiter stärken. Die erste Aufgabe für alle linken SozialdemokratInnen, kämpferischen GewerkschafterInnen und linken Jugendlichen ist deswegen, in diesen Organisationen und in der gesamten Gesellschaft für einen solchen klassenkämpferischen Kurswechsel sowie für eine möglichst schnelle und einheitliche Organisierung des Widerstandes von Links zu kämpfen. Dazu müssen Linke innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie alles beseitigen, das einem gemeinsamen Kampf im Wege stehen könnte. Dazu gehört es, dass sowohl Vorurteile gegenüber Entwicklungen innerhalb als auch außerhalb der Sozialdemokratie abgebaut werden müssen.

Zur Entwicklung einer eigenständigen Position der Linken gehört auch eine breite und aktive Widerstandskampagne gegen Norbert Hofer auf der Straße aufzubauen. Sofort als nach dem ersten Wahlgang eine Demonstration gegen Norbert Hofer angekündigt wurde, gab es einen Aufschrei im liberalen Feuilleton und bei den Grünen. Demonstrationen gegen Hofer würden diesem nur helfen, Stimmung zu machen und sich als Opfer einer Medienkampagne darzustellen, jetzt sei ein Wahlkampf für Van der Bellen und nicht Aktionen gegen Hofer gefragt, die Linke sei mit so einem Verhalten unverantwortlich und schüre Panik. Der ganze Druck der bürgerlichen „öffentlichen Meinung“ lastet auf der Linken.

Die Gründe dafür sind schnell genannt. Erstens fürchtet das Kapital nichts mehr als eine massenhafte Bewegung. Das österreichische Bürgertum ist stolz auf „seinen“ Klassenfrieden – das heißt darauf, dass der Klassenkampf von oben relativ ungestört stattfinden kann. Doch die Situation ist so zugespitzt, dass auch eine Massenbewegung gegen Rechts als Startpunkt dafür dienen kann, diese sorgsam gehegte Ruhe aufbrechen zu lassen.

Zweitens wollen auch entscheidende Teile des Großkapitals, die Brotgeber der liberalen und kleinbürgerlichen Schreiberlinge, einen Sieg von Norbert Hofer nicht und sehen in Alexander Van der Bellen eine sicherere Option. Die FPÖ ist für sie ein wichtiges Teil im Puzzle des Betruges der ArbeiterInnen und Jugendlichen. Sie soll, wenn es nach ihnen geht, wie schon in den frühen 2000er Jahren auf sozialdemagogischer und rassistischer Basis Arbeiterstimmen einsammeln, um dann in einer Regierung als Rammbock des Sozialabbaus zu dienen. Doch der rechte Populismus der FPÖ ist unkontrolliert eine Gefahr für gewisse Interessen des Kapitals – vor allem in Bezug auf die Anti- EU-Rhetorik.

Deswegen würde das Großkapital lieber einen Präsidenten Alexander Van der Bellen sehen, der als „Ausgleich“ und Rückversicherung zu einer durch die FPÖ dominierte Regierung in der Zukunft dient – und auch als Sicherheitsventil für unvermeidliche Massenbewegungen gegen so eine Regierung. Und Van der Bellen hat mit allen Auftritten im Wahlkampf und darüber hinaus klargestellt, dass er sich genau in dieser Rolle des Bewahrers des Status Quo für das Kapital sieht. Van der Bellen ist ein klarer Verfechter der Wirtschaftsunion EU mitsamt aller Rettungspakete und Wirtschaftsliberalisierungen, so war er nach Aussage der jungen Grünen „maßgeblich für die grüne Zustimmung zu Bankenrettung und Euro-Rettungsfonds ESM verantwortlich“. Seine Aussagen, dass er einen Bundeskanzler Strache nicht angeloben würde, hat er vorsichtig so modifiziert, dass er diese Frage mit der Stellung der FPÖ zur EU verknüpft – nicht etwa mit ihren Sozialabbauforderungen, dem Rassismus oder ähnlichem.

Viele Jugendliche und ArbeiterInnen werden verständlicherweise trotzdem mit zugehaltener Nase ihre Stimme für Alexander Van der Bellen abgeben, um damit die FPÖ und Norbert Hofer zu verhindern. Doch es muss klar sein, dass ein Sieg Van der Bellens die grundlegenden Widersprüche in Österreich nicht lösen würde, sondern sie nur noch für eine Weile unter der Oberfläche halten würde. Wir halten es deswegen für einen Fehler, wenn linke Organisationen, oft auch mit marxistischem Selbstverständnis, zur Wahl von Alexander Van der Bellen als das „kleinere Übel“ aufrufen. Er befürwortete bis vor kurzem noch TTIP, sprach sich für die Einführung von Studiengebühren aus und hat in der Vergangenheit auch Bestrebungen unterstützt, das Pensionsantrittsalter anzuheben. Das „kleinere Übel“ der großen Koalition, mit dem die BürokratInnen in der Arbeiterbewegung argumentierten, hielt die FPÖ nicht auf, sondern stärkte sie im Gegenteil dazu noch weiter.

In diesem Licht ist es auch klar, warum die selben liberalen PolitikerInnen und Schreiberlinge, die die Linke zur Untätigkeit auffordern, diejenigen sind, die für einem FPÖ-Sieg von der möglichen Abschaffung der Demokratie, der Rückkehr der 30er-Jahre und Ähnlichem schwadronieren und eine Stimmung der Panik schaffen. Wir müssen uns klar darüber sein, dass diese „Hilfe“ im Kampf gegen Rechts tatsächlich ein vergiftetes Geschenk ist. Tatsächlich sind es genau solche Übertreibungen, die die Position der FPÖ bestärken und die Linke zahm machen sollen.

Es ist klar: Ein Sieg Norbert Hofers wäre in der Tat ein großer Rückschritt. Der Rassismus bekäme einen weiteren großen Schub, faschistische Banden wie die Identitären würden sich tatsächlich bestärkt fühlen. Doch Übertreibungen helfen nicht weiter, im Gegenteil. Denn tatsächlich hat es die FPÖ mit ihrem zynischen Rechtspopulismus geschafft, sich in Teilen der Bevölkerung als Verteidiger der Demokratie zu präsentieren – ein Treppenwitz der Geschichte. Doch es gibt eine materielle Basis dafür, die der FPÖ das ermöglicht hat. Seit dem Beginn der Krise haben die Regierung, die EU-Institutionen und nicht zuletzt das Kapital in den Betrieben gegen den Willen der breitesten Schichten der Bevölkerung immer wieder Maßnahmen der Verschlechterungen durchgesetzt. Ist es demokratisch, wenn gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit die Banken gerettet werden? Wenn die EU gegen ein explizites Nein der griechischen Bevölkerung „Griechenland rettet“ (und damit in Wirklichkeit noch einmal die Banken rettet)? Wenn die Pensionszahlungen de Facto von einem ungewählten „Expertenrat“ kontrolliert werden? Wenn Grundrechte wie das Recht auf Asyl durch Notstandsgesetze ausgehebelt werden? Wenn das Freihandelsabkommen TTIP im Hinterzimmer durchgedrückt werden soll?

Es ist klar, dass eine FPÖ an der Macht auf diesem Kurs gegen alle populistischen Ankündigungen nachfolgen und auch sie die bürgerliche Demokratie weiter abbauen wird. Doch die Grundlagen sowohl für ihren rechten Populismus als auch für die Fortführung so einer Politik werden genau von denjenigen Großkoalitionären und liberalen Bürgerlichen gelegt, die jetzt schon die Demokratie abbauen, diesen Abbau schönreden oder zumindest beschämte schweigen, weil dies für einen Kapitalismus in der Krise eben „alternativlos“ ist.

Es ist deswegen absolut notwendig mit den Methoden der Arbeiterklasse und einem Programm der Linken den Kampf gegen Norbert Hofer und die FPÖ zu führen und sich nicht vor den Karren der Bürgerlichen spannen zu lassen, die letztendlich keine Niederlage der FPÖ, sondern einen Kompromiss mit ihr auf Basis des Rassismus und Sozialabbaus anstreben. Wir unterstützen deswegen mit aller Kraft die Kundgebung der Offensive gegen Rechts gegen Norbert Hofer am Donnerstag - auch wenn wir es für einen Fehler halten, dass nicht die ursprünglich geplante Demonstration stattfindet. Außerdem organisieren wir in Linz, Graz, Bregenz, Pöchlarn und Wien Diskussionsveranstaltungen, die auch die Möglichkeiten des praktischen Kampfes beleuchten sollen.

Doch es ist genauso wichtig, nicht nur bis zu den Wahlen zu arbeiten, sondern darüber hinaus Aktivität zu entfalten. Egal wie die Wahlen ausgehen, der Kampf gegen Rassismus und die FPÖ wird weiter notwendig sein. Sollte Norbert Hofer jedoch tatsächlich Präsident werden, wird sich diese Frage sehr schnell noch viel zugespitzter zeigen. Es ist deswegen jetzt schon nötig, eine Antwort der Linken für diesen Fall vorzubereiten. Dazu muss, wo möglich, an den Schulen, den Unis und auch in den Betrieben Widerstand organisiert werden. Wir MarxistInnen werden dies überall tun, wo es mit unseren Kräften möglich ist. In Vorarlberg etwa ist jetzt schon so eine Demonstration angekündigt, falls Hofer Präsident wird, in anderen Bundesländern werden wir solche Initiativen ebenfalls setzen oder unterstützen.

Letztendlich wird nur die Beseitigung des Kapitalismus und seine Grausamkeiten den Rassismus erfolgreich bekämpfen können. Wir können mit dieser Erkenntnis entschlossen gegen jede Ungerechtigkeit, gegen Rassismus, Sozialabbau und rechte Hetze allgemein kämpfen. Wir laden jeden, der mit uns gemeinsam tun will dazu ein, uns zu kontaktieren. Unsere Wahl heißt Widerstand!


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