Gesundheit. Bei einer Abstimmung der Ärztekammer unter den Wiener Spitalsärzten zeigten sich 93% streikbereit.  Sarah Sattelberger über eine neue Runde in der Auseinandersetzung um das Wiener Gesundheitssystem.

Anlass für die Abstimmung der Ärztekammer war der Beschluss des Krankenanstaltenverbundes (KAV), rund ein Viertel der Nachtschichten für ÄrztInnen an den Spitälern einzusparen. Die Ärztekammer macht sich zum Sprachrohr des Widerstandes und hat die Einsetzung eines Aktions- und Streikkomitees beschlossen, das die weiteren Kampfmaßnahmen bis hin zum Streik ausarbeiten und organisieren soll. Konkret sind bisher eine Protestversammlung am 7. und ein erster Warnstreik mit Demonstration am 12. September festgelegt worden. Die Ärztekammer betont, dass die Maßnahmen des KAV ohne vorherige Absprache mit dem betroffenen Personal beschlossen wurden und einen Bruch des Verhandlungsergebnisses zur Ärzte-Arbeitszeit aus dem Vorjahr darstellen. Dazu zähle auch, dass die vereinbarten Rahmenbedingungen, wie die Einrichtung zentraler Notaufnahmen oder der Ausbau des Ärztefunkdiensts, noch nicht weit genug vorangeschritten seien, um die Kürzungen abzufangen. Somit würde die Reduktion der Nachtschichten die in Wien extrem rasch steigende Unterversorgung der PatientInnen verschärfen. Auch würde der häufigere Schichtwechsel durch die 12,5-Stunden-Dienste (anstatt der bisherigen 25 Stunden Schichten) zu einer schlechteren Informationsübergabe und zusätzlicher administrativer Arbeit führen. Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres stellt außerdem fest, dass unklar sei nach welcher Logik die Nachtdienste reduziert werden würden. Auf die Versorgung der PatientInnen sei keine Rücksicht genommen worden. „Wir sehen wachsende Wartezeiten sowohl auf Termine als auch auf Operationen als auch in den Ambulanzen selbst. Es macht keinen Sinn, die Leistungen herunterzufahren, während Wien rasant wächst und die Menschen auch älter werden“, argumentiert Szekeres. Gefährliche Situationen für PatientInnen werden befürchtet. Dies wäre dann der Fall, wenn der verantwortliche Arzt bei Notoperationen im Einsatz ist, gleichzeitig aber eine ganze Station betreuen soll. Gerade in solchen Fällen habe es auch schon Gefährdungsanzeigen gegeben.

Es zeigt sich also immer wieder, dass durch die ständigen Einsparungen die Patientenversorgung immer mehr leidet. Dies wird vor allem auch angesichts andauernder Stationsschließungen deutlich. Vom KAV werden diese nicht als Sparmaßnahmen, sondern als Umstrukturierungen bezeichnet. Wie absurd dies ist, zeigt sich anhand der Orthopädie im Otto-Wagner-Spital. Die bisher zweitgrößte Orthopädie Wiens mit ursprünglich 120 Betten wurde zur kleinsten mit an den Wochenenden nur noch 50 und unter der Woche 75 Betten. Nachdem die Orthopädie im Otto-Wagner-Spital konsiliarisch auch für andere Spitäler zuständig ist – also immer wieder PatientInnen mit speziellen Beschwerden von diesen dorthin überwiesen werden – ist sie ständig überfüllt. Die Folge sind extrem lange Wartezeiten, knapp ein Jahr müssen PatientInnen beispielsweise auf eine künstliche Hüfte warten.

Das Kalkül den KAV ist dabei eindeutig: zuerst werden Betten reduziert, dann die Zahl der ÄrztInnen. Das Argument lautet, dass für weniger Betten ja auch weniger Personal benötigt werden würde. Auf die Bedürfnisse der PatientInnen wird dabei keine Rücksicht genommen. Durch die permanente Sparpolitik werden immer mehr medizinische Leistungen in den kostenpflichtigen Privatsektor ausgelagert. Nicht selten sind es Spitals(ober-)ärzte selbst, die Leistungen neben ihrer Angestelltentätigkeit privat erbringen. PatientInnen die sich dies nicht leisten können, müssen sich mit einem zunehmend ausgehöhlten öffentlichen Sektor abfinden.

Die Bereitschaft der SpitalsärztInnen, sich gegen weitere Verschlechterungen im Gesundheitsbereich zu stellen und auch Kampfmaßnahmen zu ergreifen wird von uns vorbehaltlos unterstützt. Es ist klar, dass die Ärzteschaft, ebenso wie ihre gesetzliche Vertretung, auch Standesinteressen vertreten, die etwa denen (armer) PatientInnen und anderem Spitalspersonal entgegenstehen. Angesichts einer SPÖ-Stadtregierung die sich zum Instrument der Spardiktatur macht (Gesundheitstadrätin Wehsely bekräftigt, dass die Stadt von diesem Vorhaben „keinen Millimeter abweichen wird“ und bezeichnet das Vorgehen der Ärztekammer als „politischen Krawall“) und einer unterwürfigen Gewerkschaft, der Hauptgruppe II der Younion, die seit Jahren den Verschlechterungen zustimmt und auch jetzt die Forderungen der ÄrztInnen als nicht ausreichend für einen Streik bezeichnet, ist das entscheidende Element dies: endlich jemand der eine klare Kampfansage auf den Tisch legt! Es zeigt sich also auch einmal mehr, dass es für die Abwehr von Verschlechterungen eine Gewerkschaft mit Streikfähigkeit benötigt. Der permanente Unmut an den Krankenhäusern darf nicht weiter nur in Medienkampagnen versanden. PatientInnen, ÄrztInnen und Pflegepersonal müssen sich gemeinsam organisieren und zusammen für ein öffentliches Gesundheitssystem kämpfen, das nach den Bedürfnissen aller Beschäftigten und der PatientInnen ausgerichtet ist und nicht nach wirtschaftlichen Interessen. Bei den (Gehalts-)Forderungen einzelner Berufsgruppen stehen zu bleiben ist nicht genug.


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