In einem „Der Standard“-Artikel vom 5. Jänner erläutern sechs junge SozialdemokratInnen ihre Vision einer politischen Trendumkehr. Wir begrüßen diese Initiative und prüfen, ob sie die Arbeiterbewegung aus der Defensive führen kann. Von Emanuel Tomaselli.

Der Artikel skizziert folgendes Programm: „Die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch eine Ausweitung öffentlicher Investitionen und Beschäftigung; höhere Mindestlöhne, damit Leistung gerecht entgolten wird; verstärkter Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen; eine Beseitigung der Steuerprivilegien der Banken und Superreichen; eine Verkürzung der Arbeitszeit“. Das sind wichtige Forderungen in einer immer schlechter werdenden Situation, die wir MarxistInnen voll unterstützen. Statt Kürzungen und Steuerprivilegien entwerfen sie „ein hoffnungsvolles Projekt der Vielen“, das die „Übel der Gesellschaft beseitigt.“ Dazu gelte es die „Machtfrage zu stellen“ und die „politische Revolution“ anzugehen. „Treuschwüre an die ÖVP und Anbiederung an die FPÖ“ werden gleichermaßen abgelehnt.

Die sozialen Forderungen und die Darstellung einer politischen Option jenseits der großen bürgerlichen Parteien machen diesen Entwurf zum radikalsten politischen Programm, das zurzeit größeren Teilen der Gesellschaft zugänglich ist. Wenn sich so ein Programm innerhalb der Arbeiterbewegung durchsetzen würde, würde es sicherlich einen Aufschrei des Bürgertums mit sich ziehen. Darin liegt die Relevanz des Artikels, den wir deshalb einer eingehenden und kritischen Analyse unterwerfen wollen.

Wie revolutionär ist diese Initiative wirklich?

Der Artikel spricht davon, dass es eine „demokratische Revolution in unserer Partei, in den politischen Institutionen, in allen Lebensbereichen“ braucht. Die wichtigste Frage, die offen bleibt, ist dabei die der konkreten revolutionären Praxis. Wie die Vision der radikalen politischen und sozialen Trendumkehr durchgesetzt werden soll, bleibt weitestgehend offen. Nachdem die großen sozialen Probleme skizziert werden, wird einzig die Unterstützung des Anti-TTIP Volksbegehrens als konkreter Ansatzpunkt genannt. Dies ist objektiv gesehen völlig unzureichend. Auf diesem Widerspruch zwischen Anspruch und Praxis verweisend, erntete der Artikel daher in den sozialen Medien nicht wenige zynische Kommentare. Ein Programm, das zur Revolution aufruft, muss mehr sein als eine abstrakte Darstellung dessen, was wir „gut finden“ würden. Das beste Programm hat keinen Wert, solange es im Reich der Theorie verweilt. Ein revolutionäres Programm ist das Gegenteil dessen: Aufbauend auf einem theoretischen Verständnis der Situation und ansetzend an der sozialen Realität ist es eine Anleitung zum Kampf, die systematisch ArbeiterInnen und Jugendliche gegen den Status Quo mobilisiert und den konkreten Weg zur Veränderung der Gesellschaft aufzeigt. Tut es das nicht, ist es nichts anderes als – soziale – Demagogie, ein politischer Taschenspielertrick, um Unterstützung zu generieren.

Gerade nachdem die Sozialdemokratie zehn Jahre lang die Krisenverwaltung für Österreichs Banken und Konzerne vorangetrieben hat, kann eine politische Initiative aus den Reihen der SPÖ heraus nur dann glaubhaft vertreten werden, wenn den Ansagen auch klare praktische Schritte folgen. Etwa dadurch, dass der Unterzeichnende Max Lercher (Landesgeschäftsführer der SPÖ Steiermark) ab sofort gegen jede soziale Kürzung im steirischen Landtag stimmt und der burgenländische Landtagsabgeordnete Kilian Brandstätter offen mit der rot-blauen Landesregierung bricht, die er noch vor eineinhalb Jahren mit angelobt hatte.

Wenn sie es ernst meinen, sollten die Unterzeichnenden eigene Gesetzesinitiativen, die im Einklang mit ihrem skizzierten sozialen Programm stehen, formulieren, kampagnisieren und in die Landtage einbringen.

Was war der New Deal?

Eine zweite Schwäche der Initiative sehen wir in der Ausrichtung des Programmes selbst, angefangen bei der historischen Analogie zum „New Deal“. Der größte Teil der AutorInnen kommt aus der Sozialistischen Jugend, einer Organisation mit marxistischem Selbstverständnis. Der New Deal steht eindeutig für die Stabilisierung der bürgerlichen Herrschaft und der kapitalistischen Produktionsweise. Als MarxistInnen stehen wir aber für die Aufhebung des Kapitalismus.

1932 trat T. Roosevelt seine erste Präsidentschaft an. Er verstand, dass nur durch staatliche Intervention die Rettung des Bankensektors zu bewerkstelligen und damit eine Stabilisierung der Wirtschaft möglich war. Eine frühe Maßnahme bestand in der Abwertung des US-Dollars, was die amerikanischen Exporte um etwa 20 % verbilligte. Weiter wurde eine gezielte Subventionspolitik und Preisstabilisierungspolitik für die Großindustrie und landwirtschaftliche Großfarmen betrieben. Nachdem die industrielle Produktion sich von 1929 bis 1932 mehr als halbiert hatte, schnellte sie mit der Bankensanierung innerhalb von Monaten wieder auf 85 % des Ausgangswerts von 1929 zurück. Roosevelts staatliche Interventionen erzielten damit die höchsten Wachstumsraten der Geschichte der USA. Wir stellen fest: Was Roosevelt mit Teil eins seines „New Deals“ in wenigen Monaten erreichte, dauert in der aktuellen Krise mit den gleichen politischen Maßnahmen bereits seit acht Jahren an, ohne einen einzigen positiven Indikator hervorzubringen – außer beim Anstieg der Verschuldung. Seit 2008 wurden weder die Banken stabilisiert, noch konnte irgendwo auf der Welt ein signifikantes Wirtschaftswachstums erzielt werden. Mittels Verschrottungsprämien für Autos, staatlichen Garantien und Kreditlinien für industrielle Großbetriebe wurde versucht die private Nachfrage anzukurbeln. Die soziale Lage verschärft sich trotzdem global, die Arbeitslosigkeit steigt überall und zeigt nirgends eine fallende Tendenz. Auch die Staatsverschuldung schreibt Rekordwerte. Im Vergleich dazu betrug die US-amerikanische Staatsverschuldung nach dem Auslaufen des New Deals nur 40 % des BIP.

Daran ändert auch eine andere Gewichtung der Besteuerung nichts. Auch die MarxistInnen unterstützen die stärkere Besteuerung der Reichen, allerdings ohne uns Illusionen hinzugeben, dass so die Krise überwunden werden könnte. Die Finanzierungsform der Staatsausgaben (Verschuldung oder Besteuerung) löst nicht das grundlegende Problem der Krise – die massive Überproduktion an Waren, die danach drängt die kapitalistische Produktionsweise zu durchbrechen – in Form der Krise oder eben der sozialen Revolution. Die Geschichte des New Deals selbst bietet keinen Anlass sich Illusionen bezüglich eines Überwindens der Krise durch eine geschickte Wirtschaftspolitik zu machen. Nach den anfänglichen Stabilisierungserfolgen krachte die US-Ökonomie 1937 erneut tief ein. Erst der Zweite Weltkrieg überwand die Krise von 1929 endgültig.

Die Bezugnahme auf den „New Deal“ kommt aber nicht von den AutorInnen. Christian Kern hat diese Debatte gestartet und wird nach Erstellung dieses Artikels auch eine viel erwartete Rede halten, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Doch er hat tatsächlich Recht damit sich auf den New Deal zu bezieht, denn Kern hat immer wieder deutlich gemacht, dass die Stabilisierung des Kapitalismus sein Ziel ist, nur mit einem anderen „Politikstil“ als bisher.

Das skizzierte soziale Programm wird sich aber nur durch einen entschiedenen Bruch mit dem Kapitalismus umsetzen lassen. Die jungen SozialdemokratInnen werden sich also entscheiden müssen: Wollen sie Christian Kern dabei helfen, das System zu stabilisieren oder mit dem System brechen? Entscheiden sie sich für die erste Option, ist das gesamte Programm sowie jede Bezugnahme auf eine nötige Revolution nichts anderes als eine linke Flankendeckung für den Ausverkauf von Arbeiterinteressen, sei es in der jetzige Regierung oder eine Vorbereitung eines zukünftigen Bündnisses mit anderen bürgerlichen Kräften. Eine solche Option, die von Parteistrategen immer wieder betont wird, ist ein Bündnis „Rot-Grün-NEOS“. Wenn sie sich jedoch für Zweiteres entscheiden, wird das nicht nur auf den Widerstand der Bürgerlichen, sondern auch der derzeit dominierenden Kräfte in der SPÖ mitsamt Christian Kern an der Spitze treffen.

Die MarxistInnen des „Funke“ kämpfen entschlossen für so einen klaren Bruch mit den Bürgerlichen und ihrer Politik, so ein Schritt hätte unsere vollste Unterstützung. Es bleibt somit für eine abschließende Bewertung des Artikels im „Standard“ abzuwarten, ob den Worten der jungen SozialdemokratInnen auch tatsächlich Taten folgen werden.

 


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