Die Durchdringung der Gesellschaft durch das Markt- und damit das Profitprinzip („Ökonomisierung“) bedeutet im Gesundheits- und Sozialbereich die Abkehr von der Idee einer solidarischen Gesellschaft. Der Konflikt um den gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit, Armut und Ungleichheit, wird in den nächsten Jahren zentral sein. Von Lis Mandl.
Die ökonomischen Verhältnisse sind weder natürlich noch neutral, sondern vom Menschen gemacht. Die neue Bundesregierung setzt in allen Bereichen der Daseinsfürsorge auf das Prinzip der „Selbstverantwortung“. Dabei geht es um Kostenersparnis für die öffentliche Hand einerseits, andererseits um die Schaffung neuer Profitmöglichkeiten für private Investoren. Die Behauptung, dass profitorientierte Anbieter soziale Leistungen besser und günstiger erbringen würden, ist dabei eine klare Lüge.
Das Vorantreiben des Profitprinzips ist von einem ideologischen Bekenntnis zu gesellschaftlicher Ungleichheit und Armut begleitet. Hier wird ein Gedanke salonfähig gemacht: „Du bist selbst schuld an deinem Unglück, deiner Krankheit, deiner Armut, erwarte dir keine Hilfe!“. Der nicht-funktionierende, unproduktive Mensch wird zur Belastung erklärt, was er aus der Sicht des Profitprinzips ja auch ist. Das Ideal von Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und einer Gesellschaft in der auch arme und unterprivilegierte Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können wird als linke Utopie bekämpft. Jede und jeder ist „selbstverantwortlich“ und muss sich halt einfach mehr anstrengen.
In der Sozialbranche wird die Akzeptanz von Ungleichheit zunehmend als Fortschritt und Modernisierung verkauft. Die Aufgabe des Sozialsystems ist es nun, möglichst schnell leistungsstarke Menschen zu schaffen, anstatt Lebensqualität und Würde in jeder Lebenslage zu garantieren. Dass diese Ideologie an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei zielt ist offensichtlich. Es wird eine Versorgungsungleichheit geschaffen, Gesundheits- und Unterstützungsleistungen werden zunehmend einkommensabhängig in unterschiedlicher Qualität angeboten.
Gemeinschaft als Stütze und politische Waffe
Der Sozialstaat ist ein Produkt des Kampfes darum, die vererbte, ungleiche Verteilung von Reichtum und Chancen gesellschaftlich auszugleichen. Historisch aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung entstanden, stellt er aber auch den Versuch dar, die große Ungleichheit durch kleine Almosen zwar abzuschwächen, aber aufrecht zu erhalten. Der Sozialstaat war so immer auch ein Ausdruck des aktuellen Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit.
Die soziale Arbeit und mit ihr viele Vereine entstanden aus einem Versorgungsmangel und der Haltung, dass die Gesellschaft solidarisch für die Bekämpfung von Armut und Krankheit zuständig ist. Die Ursprünge der modernen Sozialarbeit in Deutschland und Österreich liegen in der Einführung der Armenhilfe. Diese wurde vor allem ehrenamtlich von (bürgerlichen) Frauen geleistet, die versuchten über eine „eigens für Frauen passende“ Tätigkeit aus dem Mief von Kindern, Küche und Kirche zu entkommen. Eng verbunden mit dem christlichen Leitmotiv der Nächstenliebe war die ehrenamtliche Hilfe von dem altruistischen Gedanken getragen, für die Menschen außerhalb der Gesellschaft tätig zu sein. Durch den Kontakt mit dem Elend und der Not vieler Menschen begannen sowohl die Frauenbewegung als auch die Arbeiterbewegung, politische Forderungen zu formulieren und für sie zu kämpfen. Eigeninitiativen und Freiwilligen-Arbeit haben vieles dazu beigetragen bzw. erkämpft, was heute als „Sozialstaat“ bekannt ist. Mit dem aktuellen Angriff auf diesen wird gleichzeitig auch die humanistische Haltung der sozialen Arbeit und ihre emanzipatorische Wirkung angegriffen.
Profit statt Selbstbestimmung
Die Firma ORS Services AG gehört zu den großen Playern im Bereich der Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden. Sie weist für das vergangene Jahr bei einer Bilanzsumme von 12,1 Millionen einen Bilanzgewinn von einer Million aus. 500.000 Euro davon werden an die Gesellschafter ausgeschüttet. Hier geht es nicht mehr um Hilfe zur Selbsthilfe, sondern um belegte Betten, die Cash bringen. Im Reha-Bereich drängen private internationale Konzerne auf den Markt, was den Verein pro mente Reha dazu zwang in einen billigeren Kollektivvertrag zu wechseln. Das Unternehmen Senecura macht sich im Pflegebereich breit, private Fahrtendienste bringen Menschen mit Behinderungen von einem Ort zum anderen, unfachliche Behandlungen bis hin zu Übergriffen werden den BetreuerInnen berichtet. In Krankenhäuser werden einzelne Abteilungen privatisiert, um die Leistung dann wieder teuer zuzukaufen (etwa Laborleistungen, Wäsche, Reinigung,...). Die Vielfalt der Sozialfürsorge-Szene, Produkt der Eigeninitiative von Betroffenen, wo die staatliche Versorgung Lücken hat(te), wird nun zum Nachteil, indem Vereine/Organisationen gegeneinander ausgespielt und in Konkurrenz zueinander gebracht werden. Belegschaften und ihre betriebsrätlichen Vertretungen stehen dabei seit Jahren zunehmend unter Druck: Private Anbieter gehen mit Dumping-Preisen in den Markt, ein Erhalt der Arbeitsbedingungen der bestehenden Einrichtungen kann zum Ausscheiden aus dem Markt und damit dem vollständigen Arbeitsplatzverlust führen.
Ausgliederungen, Kürzungen und Privatisierungen im Gesundheits- und Sozialbereich gibt es schon länger. Schwarz/blau verschärft die Gangart deutlich und dahinter steht ein System, das nach Profitlogik funktioniert und nicht auf den Bedürfnissen der Menschen aufbaut. Auch auf die Beschäftigten sind die Auswirkungen massiv. Einerseits werden die Arbeitsbedingungen schlechter (mehr Druck, Leistung, PatientInnen) und andererseits steht eine empathische Haltung den Betroffenen gegenüber im Widerspruch zu (angeblicher) Effizienz und Einsparungen. Die wohlwollende Haltung weicht einer Resignation und entlädt sich aus einer Überforderung auch in Abwertung und Aggression – im Moment noch nicht zielgerichtet gegen die eigentlichen VerursacherInnen. Die Frage ist, wem überlasen wir den Versorgungsauftrag und darf aus Ungleichheit und Schicksalsschlägen Profit gemacht werden? Wer kontrolliert und bestimmt über den gesellschaftlichen Reichtum?
Wir fordern daher:
- Die Umsetzung der 32-Stunden- und der 4-Tage-Woche in allen einschlägigen Kollektivverträgen bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
- Die Anhebung der Mindestlöhne/-gehälter der Kollektivverträge im Sozial- und Gesundheitsbereich zumindest auf das jeweilige Medianeinkommen im Sektor!
- Ein Ende von Ausgliederungen und Privatisierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich und die sofortige Wiedereingliederung aller schon ausgegliederten bzw. privatisierten Bereiche unter Kontrolle der Beschäftigten und Betroffenen: Sozial- und Gesundheitsleistungen dürfen nicht Spielwiese von Profitinteressen sein!
- Keine „politische Neutralität“ der Gewerkschaften! Abwehr des kommenden Belastungspakets im Gesundheits- und Sozialbereich mit allen politischen und gewerkschaftlichen Mitteln!