Der beliebteste SPÖ-Politiker, Wiens Bürgermeister Michael Häupl, geht in den Ruhestand. Seine Nachfolge wurde in einem unpolitischen aber umso heftiger ausgetragenen Fraktionskampf ausgetragen. Was bleibt vom Roten Wien?


Michael Ludwig gegen Andreas Schieder lautete das Duell am Landesparteitag am 27. Jänner. Beide Kandidaten betonten die Notwendigkeit, den „Wirtschaftsstandort Wien“ zu stärken, inhaltliche Differenzen waren nur homöopathisch wahrnehmbar. Strategisch jedoch galt Schieder als Kandidat der häuplschen Kontinuität (inklusive der Koalition mit den Grünen), Ludwig steht für Offenheit gegenüber der FPÖ. Schieder stand auch für die Unterordnung unter die Finanzmärkte in der Bundesregierung, Ludwig für besondere Nähe zur privaten Bauwirtschaft und den Boulevard-Medien-Eigentümern in Wien. Ludwig gewann das Duell deutlich, auch die Delegierten der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter sprachen sich für Ludwig aus.


2020 wird in Wien gewählt werden. Dass eine Sozialdemokratie automatisch gewinnt, wenn sie im Bund in Opposition ist, ist nicht selbstverständlich. Es ist kein unwahrscheinliches Szenario für die Wien-Wahl 2020, dass die Wiener SPÖ eine Koalition mit ÖVP oder FPÖ anstrebt. Dieser strategischen Orientierung folgend ist es unwahrscheinlich, dass die Wiener SPÖ im Wahlkampf großen Enthusiasmus auslösen wird können.


SozialistInnen würden sich wünschen, dass Ludwig die harte Hand, mit der er die Partei auf seine Fraktion ausrichtet, an den Hals der Bürgerlichen setzen würde. Doch davon kann keine Rede sein. Er gibt eine ihm ungeliebte Stadträtin nach der anderen dem Boulevard zum Abschuss frei, nichts deutet darauf hin, dass er die Wiener Partei und Stadtregierung als Opposition zur schwarz-blauen rassistischen Bundesregierung positionieren will. Stattdessen vermittelt er die Idee, dass man in Wien die SPÖ unterstützen soll, weil diese eine spezifisch auf Wien zugeschnittene Anti-Migrationspolitik verfolge. So spricht Ludwig etwa von einer „Schutzfunktion für die hier bereits lange [in Wien] lebende Bevölkerung“, genauso wie beim Wohnungsbonus. Dieser „Bonus“ soll auch auf andere Bereiche wie die Mindestsicherung oder öffentliche Aufträge ausgedehnt werden. Dass nicht alle die hier leben gleich sind, akzentuiert seine neue Landesparteisekretärin. Diese stellte sich der Öffentlichkeit so vor, dass sie das Kopftuch moslemischer WienerInnen zur Fahnenfrage erhebt.


Hinter den Kulissen der Berichterstattung haben auch die GewerkschafterInnen erste direkte Erfahrungen mit Ludwig gemacht. Aus der GPA-djp wird berichtet, dass es Ludwigs Leute waren, die einen niederen Gehaltsabschluss und Streikabbruch beim SWÖ-Kollektivvertrag verlangt und durchgesetzt haben. Es gelte das strapazierte Wiener Stadtbudget zu schonen. Sozialistische Politik würde bedeuten einen Arbeitskampf zu unterstützen und politisieren, indem man von der Kapitalistenseite einfordert, dass genügend Mittel für die öffentliche Daseinsfürsorge aufgestellt werden. Die Wohnbausteuer, an die auf jedem Gemeindebau aus der Zwischenkriegszeit erinnert wird, legt dafür Zeugnis ab.


Die verbleibenden Aushängeschilder der SPÖ-Wien, die sich zumindest emotional links von Ludwig begreifen, haben sich einstweilen in London rund um Jeremy Corbyn versammelt. Es tut sicher gut, sich im Lichte des in der britischen Arbeiterklasse mega-populären Labour-Parteiführers zu sonnen. Es bleibt zu hoffen, dass die GenossInnen mittlerweile auch Corbyns politischen Zugang angeeignet haben: konsequent für die sozialen Interessen der arbeitenden Menschen weltweit einzutreten – jahrelang unermüdlich und auch gegen die eigene Partei.

Dieser Artikel erschien erstmals am 24.4.2018 in der Funke-Ausgabe Nr. 163


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