Sozialversicherung. Bis 19. Oktober ist der Regierungsentwurf zur Kassenreform in Begutachtung. Die Angriffe nehmen konkrete Formen an. Von Yola Kipcak.

 

Die „Medienstrategie“ der Regierung besteht im Wesentlichen aus Verzerrungen, Halbwahrheiten und direkten Lügen. So auch in der Debatte um die Sozialversicherungen. Das tatsächliche Ziel – Kürzungen bei und Privatisierungen von Gesundheitsleistungen soll verschleiert werden.

Lüge: Durch diese „Verschlankung“ der Verwaltung würden nur Versicherungsfunktionäre ihre ‚Pfründe‘ verlieren, es würde im System gespart, damit mehr Geld für Gesundheit da sei.

Die „Selbstverwaltung“ also die Leitung der Versicherung durch die VertreterInnen der Versicherten, kostet jährlich 5,67 Mio. Euro, oder umgerechnet 0,009% des Gesamtaufwandes der Gebietskrankenkassen (GKK). Die meisten erhalten nämliche nur eine geringe Aufwandsentschädigung oder sind Ersatzfunktionäre. In den fusionierten Kassen sollen die von roten Arbeitnehmervertreter dominierten Entscheidungsstrukturen (also die Führung von GKK und die Eisenbahnerversicherungsanstalt VAEB) zu Gunsten von Kapitalvertretern (in der GKK) und schwarzen Beamtengewerkschaftern (ex-VAEB) entmachtet werden. In die ehemaligen GKK werden zusätzlich zwei stimmberechtigte „Bundeskommissare“ verankert. Die AK- und WKO-Vertreter sollen in einem „Rotationsprinzip“ stets ausgetauscht werden. Da dies kontinuierliche Arbeit verunmöglicht, steigt so die Entscheidungsmacht der Bundeskommissare, d.h. der Regierung.

Klientelpolitik und Geldgeschenke

Lüge: Die Krankenkassenreform würde bis 2023 eine Mrd. € einspielen, dies durch effizientere Verwaltung und Reduktion der 2000 Funktionäre auf ca. 500.

Sogar die Regierung selbst verlautbart im Vorblatt zu ihrer Gesetzesvorlage, dass in den Jahren 2020-2022 Mehrkosten aufgrund der Fusionierung anfallen werden. Gleichzeitig behautet sie, dass dann im Jahr 2023 33 Mio. € eingespart werden könnten. Woher sollen die restlichen Einsparungen kommen, sodass aus 33 Mio. eine Mrd. wird? In Juristensprache formuliert sollen diese Einsparungen ab 2023 „mittels Zielvereinbarungen und deren konsequenter Umsetzung“, erreicht werden. Wie wir bereits in vergangenen Artikeln schrieben, heißt das im Klartext nichts anderes als Kürzungen: nachdem man „die Roten“ aus den Krankenkassen hinausgedrängt hat, werden ab 2023 gesetzliche Richtlinien verabschiedet, die Spargebote enthalten - die die Krankenkassen dann „selbstverwaltet“ umsetzen dürfen. Bereits im Juli wurde eine „Ausgabenbremse“ gesetzlich beschlossen. Die Regierung verbietet den Kassen also gesetzlich jede Verbesserung (neue medizinische Einrichtungen, Versicherungsleistungen, Reduktionen von Selbstbehalten,...) für Versicherte, und dies obwohl alle Krankenkassen zur Zeit große Überschüsse erzielen!

Das ist aber noch immer nicht die ganze Wahrheit. Schätzungen von Sozialversicherungsexperten zufolge werden die Regierungsvorhaben in der KK bis 2023 sogar 1,5 Mrd. kosten - so bekommt die „Patientenmilliarde“ allerdings eine neue Bedeutung! Diese Summe ergibt sich, weil den Unternehmern ein Teil der Beitragszahlungen in der AUVA erlassen wird (629 Mio. € zusätzlichen Profit für Unternehmer bis 2023), weil Privatkrankenanstalten jährlich mehr Geld aus unseren Versicherungsbeiträgen bekommen sollen (insgesamt 53 Mio. mehr bis 2023) und weil die Fusion eine Menge Geld kosten wird.

Die Klientelpolitik fürs Kapital könnte nicht offensichtlicher sein: Profitorientierte Privatkrankenhäuser bekommen Geld, während der Ausgleichsfond (für schwächere Kassen) durch einen niedriger dotieren „Innovationsfond“ ersetzt wird. Aber es geht noch schamloser: Just als die AUVA einsparen soll, bekommen die Unternehmer eine eigene Unfallversicherung, sodass die zusammengekürzte AUVA ganz den ArbeiterInnen bleibt. Die fünf existenten Betriebskrankenkassen (Kapfenberg, Mondi, Voestalpine BS, Wiener Verkehrsbetriebe, Zeltweg), die sich durch bessere Leistungen für die Arbeiter auszeichnen, müssen sich in die ÖGK eingliedern oder werden zu „privaten Wohlfahrtsgemeinschaften“, während die Notariatsversicherung eine „eigenständige berufsständische Versorgungseinrichtung“ wird. Kurz: die ArbeiterInnen sollen überall die Kürzeren ziehen.

Widerstand zwecklos?

All dies wird von der AK, der SPÖ und dem ÖGB klar erkannt: „Das ist ein Fusions-Fiasko, mit dem das Gesundheitssystem an die Wand gefahren wird“ (AK-Präsidentin Anderl). „Die heute präsentierten Pläne sind ein Generalangriff auf die Patienten und die Versicherten“ (ÖGB-Präsident Katzian). „künftig haben Großkonzerne das Sagen in den Krankenkassen […] Das ist der Startschuss für eine schleichende Privatisierung unseres solidarischen Gesundheitssystems“ (SPÖ-Vositzende in spe Rendi-Wagner). Dies ist alles richtig. Doch was schlagen sie als Gegenmaßnahme vor? Man will versuchen, dem Gesetz in der Begutachtung seine „Giftzähne“ zu ziehen (Anderl). Eventuell („man lässt es noch offen“- ÖGB) – will man eine Klage auf Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, da es die dort festgeschriebene Selbstverwaltung der Sozialversicherungen angreife, wagen. Dies wäre erst möglich, nachdem das Gesetz bereits beschlossen ist. AK-Präsidentin Anderl lichtet sich inzwischen mit FPÖ-Verkehrsminister Hofer beim Würstelstand ab. Die Zeit für solche Halbherzigkeiten ist jedoch eindeutig vorbei: Die Angriffe der Regierung sind hinterhältig, getarnt von Rassismus und Lügen und strategisch ausgerichtet. Wir müssen sie offen entlarven und einen entschlossenen Gegenangriff organisieren.

Erstmals veröffentlicht am 5.10.2018 im Funke Nr. 167


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