Jede Woche zaubert die schwarz-blaue Regierung eine neue Kopftuch- oder Flüchtlingsdebatte aus dem Hut, mit der sie von den sozialen Angriffen auf uns alle ablenkt. Dieses rassistische Lügenspiel kann nur im gemeinsamen Klassenkampf gegen den Rundumschlag der Regierung durchbrochen werden. Von Martin Halder.
In den Boulevardmedien lesen wir jeden Tag neue Hetzgeschichten über „Fremde“ und „Illegale“. Dabei wird mit völlig verlogenen Zahlen argumentiert, Asyl, Arbeits- und innereuropäische Migration wahllos durcheinandergeworfen, Kriminalitätsstatistiken gröbstens verfälscht. Was die „Krone“ bislang ohne offene Unterstützung durch die Politik leistete, wird nun der Polizei vom Innenministerium höchst selbst in einem Rundschreiben als Kommunikationsstrategie aufgezwungen: Über Sexualstraftaten und die Herkunft Verdächtiger solle doch bitte besonders prominent berichtet werden – gegenüber kritischen Medien allerdings nur das allernötigste kommuniziert werden. Der Staat gibt die Propagandalinie jetzt unmittelbar vor.
Alles und jedes wird der rassistischen Spaltung unterworfen.
So wird die Führerscheinprüfung auf Türkisch abgeschafft, wobei es nicht um eine finanzielle Einsparung von lächerlichen 30.000 € (Übersetzungskosten) geht, sondern ausschließlich um rassistisches Auseinanderdividieren. Asylwerbende dürfen keine Lehre mehr machen. Weiter soll die Mindestsicherung für MigrantInnen eingeschränkt und an Sprachkenntnisse gebunden werden, während im gleichen Atemzug das Geld für Deutschkurse gekürzt wird, und dort statt Vokabeln und Grammatik hauptsächlich „Werte“ gelehrt werden. Für das Abfangen von zehn (!) illegalen Grenzübertritten an der slowenischen Grenze werden von Jänner bis Juni 20 Mio. € investiert. Die ganze Gesellschaft soll darauf eingeschworen werden, die Auseinandersetzung mit dem „Fremden“ als das entscheidende Problem unserer Zeit zu verstehen. Das „Fremde“ sei entweder zu beseitigen, und wenn das schon nicht geht, dann zumindest durch Integration unschädlich zu machen. Wenn häusliche Gewalt auf deutschösterreichisch passiert, das Opfer kein Kopftuch trägt und das Ganze daher unter dem Namen „Familiendrama“ durchgeht, ist das Integrationsziel der Bürgerlichen erreicht.
Bildungssystem
Mit Ziffernnoten in der Volksschule und „Talent-Checks“, die für den weiteren Bildungs- und Arbeitsweg mitbestimmend sein sollen, wird der Druck auf SchülerInnen gnadenlos weiter erhöht. Auch die Strafen fürs Schwänzen (bis zu 440 €) vertiefen die Gräben in den Schulen weiter. Davon werden vor allem ärmere Familien betroffen sein, die sowieso schon nicht zurechtkommen und mehr Unterstützung statt Strafen bräuchten. Gleichzeitig wird Sprachförderung und Sozialarbeit in Schulen gekürzt – das beste Rezept, um soziale Spaltung weiter voran zu treiben.
Und so ist nun auch das Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ der Lehrerin Susanne Wiesinger durch die Medien gegeistert. Es hebt den Islam als zentrales Problem in der Bildung hervor. Dieser literarische Auswurf des Rassismus ist natürlich weit davon entfernt eine ehrliche Debatte über Bildungspolitik zu führen. Er stimmt in den Kanon von rechter Hetze der Medien und der Regierung der Industriellen ein. Da passt es auch sehr gut, dass sowohl der Verlag QVV, als auch der Co-Autor Jan Thies vom Red-Bull-Milliardär Mateschitz finanziert bzw. bezahlt wird. Die erste Buchpräsentation hat der neoliberale Thinktank Agenda Austria bereitwillig organisiert.
Diese Leute haben ein klares materielles Interesse an der Demagogie. Denn umso mehr Hetze und Spaltungen, desto ruhiger können Kurz und Co. mit unliebsamen Reformen, wie dem 12 Stunden Tag, deren Profitbedingungen in die Höhe katapultieren. Ihnen ist natürlich egal, wie diese Regierung das öffentliche Bildungssystem zerstört. Sie werden sich Nachhilfe und Privatstunden immer leisten können – glauben sie.
Inhaltsloser Widerstand
Weder die SPÖ noch sonst eine relevante gesellschaftliche Kraft setzt dieser elenden Hetzjagd etwas entgegen. Das zeigt sich beispielhaft an der Frage des „Asylpapiers“, mit dem die SPÖ in dieser Frage völlig kapituliert hat (siehe Seite 2). Auch der Großteil der sogenannten Linken weiß keine Perspektive zu formulieren. Hier wird das Problem des Rassismus als Problem der Bewusstseinsbildung, des Denkens verstanden, welches durch Aufklärung zu beseitigen sei. Der Hetze werden emotionale Phrasen wie „Toleranz“ oder „Menschenrechte“ entgegengestellt, anstelle der Perspektive des gemeinsamen sozialen Kampfes. So war der zentrale Slogan auf der Demonstration gegen den EU-Flüchtlingsgipfel am 13.9 „Baut Brücken, nicht Mauern.“
Die einzige „Brücke“, die aber gegen die herrschenden Zustände etwas auszurichten imstande ist, ist der gemeinsamer Kampf der Jugend und Arbeiterklasse unabhängig von der Herkunft gegen die Regierung der Bosse, die unser Leben zerstört. Migrantische und einheimische SchülerInnen gegen die Kürzungen und gegen jegliche Bekleidungsvorschrift! Migrantische und einheimische ArbeiterInnen gegen den 12-Stunden-Tag! MigrantInnen und Einheimische gemeinsam gegen den Kapitalismus!
Das ist die objektive Notwendigkeit, die in der Situation verankert ist. Das ist die Lösung für die Probleme, die weite Teile der Gesellschaft jetzt noch dem Rassismus in die Arme treiben. Rassistische Tendenzen in der Arbeiterklasse sind meist nur die Oberfläche, unter der sich ein tieferer Hass gegen die herrschenden Zustände und den sinkenden Lebensstandard befindet. Das Pendel wird nach links ausschlagen, wenn die Nutzlosigkeit des Rassismus zur Beseitigung der Probleme offenbar geworden ist. Angesichts realer Kämpfe zeigt sich sehr schnell, auf welcher Seite die rassistischen Demagogen stehen und dass sie nur mit dem gemeinsamen Kampf über nationale Grenzen hinweg zu besiegen sind. Hier kommt der Gewerkschaftsbewegung angesichts des Konflikts, der in den Herbstlohnrunden angelegt ist (siehe S. 1,3 und 4), eine besondere Verantwortung zu, den Rassismus zu entlarven. Je mehr sich die SPÖ-Führung im Gegensatz dazu jedoch den Rassismus zu Eigen macht, mit desto größerer Sicherheit wird sie im Augenblick der Wahrheit überrollt werden.
Die nationalstaatlichen und ethnischen Grenzen sind Kinder des Kapitalismus. Wie er selbst, sind sie in der heutigen Welt vollkommen obsolet. Wer sein Denken danach ausrichtet, wird vom Leben heftig überrascht werden. Was Karl Marx und Friedrich Engels hingegen schon im Jahr 1848 formulierten, gilt heute mehr denn je: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
(Funke Nr. 167/Oktober 2018)