Mitte Dezember wird im Parlament der größte Angriff auf die Sozialversicherung in der 2. Republik abgestimmt. Die Zerstörung des Sozialstaats bekommt einen kräftigen Schwung. Von Yola Kipcak.

 

Gepflastert mit Fake-News der Regierung („die Verwaltungsmilliarde wird eine Patientenmilliarde“) passierte die Sozialversicherungsreform den Ministerrat am 24. Oktober. Wie zu erwarten wurden die allermeisten eingebrachten Änderungsvorschläge geflissentlich übergangen. Gewerkschaften (und selbst der Rechnungshof) wiesen darauf hin, dass die angeblichen Einsparungen von einer Milliarde Euro in der „Verwaltung“ der Kassen überhaupt nicht nachvollziehbar seien – die Zusammenlegung der Versicherungen sogar eher eine Milliarde oder mehr kosten würde. Bundeskanzler Sebastian Kurz, sich keiner Lüge zu Schade, erwiderte darauf, dass die Debatte über die genaue Höhe der Einsparung wohl nur ein „Ablenkungsmanöver“ von Kritikern sei. Die Taktik seiner Regierung besteht aus nichts anderem als Ablenkungsmanövern, um die sich zuspitzenden sozialen Angriffe zu verschleiern. Sebastian Kurz sagt zu den Einsparungen: „Maßnahmen“ (lies: Kürzungen) sollen in „Zusammenarbeit“ mit der Selbstverwaltung durchgesetzt werden – „zumindest solange es die Selbstverwaltung gibt.“ Führen wir uns noch einmal vor Augen, was die bisher bekannten „Maßnahmen“ bedeuten:

Geld für Regierung und Kapitalisten – Enteignung der Versicherten

Die Unternehmerbeiträge für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) sollen von 1,3% (des Lohns pro Arbeiter) auf anvisierte 0,8% gesenkt werden. Das ist ein Geschenk von jährlich ca. 500 Mio. € an die Unternehmer. Künftig soll außerdem das Finanzministerium und nicht mehr die selbstverwaltete Versicherung die eingezahlten Beiträge prüfen. Es wird dabei aber nicht die richtige Lohn-Einstufung der Arbeiter berücksichtigen, sondern nur ob eingezahlt wird, was Lohndumping vorprogrammiert.

Die im Sommer beschlossene Ausgabensperre, die es den Krankenkassen verbietet zusätzliche Ausgaben zu tätigen, bedeutet, dass die Krankenkassen in den nächsten Jahren hohe Geldsummen ansparen werden (es wird ein Beitragsplus von 12,66 Mrd. € 2018-2023 erwartet).

Diese kann der Staat nach der Verwaltungsreform de facto enteignen, wenn er erst seine zwei Bundeskommissare in den Vorstandsgremien sitzen hat. Ähnlich mit der Zentralisierung der Gebietskrankenkassen in eine Österreichische Gesundheitskassa (ÖGK) – hier werden Rücklagen aus den Bundesländern in den zentralen, für die Regierung greifbaren, Topf fließen. Gleichzeitig wurden Privatisierungen eingeleitet, angefangen mit der Auslagerung von AUVA-Einrichtungen in eine „Betriebs GmbH“ und mit zusätzlichen 15 Mio. € jährlich mehr für (profitorientierte) Privateinrichtungen.

ArbeiterInnen verlieren auf allen Ebenen

Die Reform bedeuten nicht einfach ganz allgemeine Einsparungen – sie stellt einen gezielten Angriff auf die Versicherungen der ArbeiterInnen dar, während die UnternehmerInnen und derzeit auch noch Beamte – immerhin eine wichtige Basis der ÖVP – verschont bleiben: Zuerst wurden Einsparungen von 430 Mio. € jährlich bei der AUVA durchgeboxt, jetzt sollen die Unternehmer selbst nicht mehr in der gerupften AUVA, sondern in der neu fusionierten „Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft und Bauern“ unfallversichert werden. Die Einsparungen in der AUVA selbst werden indes zu einem beachtlichen Teil von den Arbeiterkrankenkassen (derzeit GKK, künftig ÖGK) geschultert werden müssen, nämlich mit mind. 156 Mio. €.

Während die noch existierenden Betriebskassen (die historisch speziell in einzelnen gut organisierten Unternehmen wie die VOEST erkämpft wurden) in die ÖGK eingegliedert oder zu „privaten Wohlfahrtsvereinen“ werden müssen, darf die privilegierte Kaste der selbstständigen Notare ihre Kassa in eine „eigenständige berufsständische Versorgungseinrichtung“ verwandeln.

Auch die Versicherung von Arbeitslosen, die bisher auf verschiedene Kassen aufgeteilt war, wird nun gänzlich in die ÖGK wandern. Der Ausgleichsfonds zwischen Gebietskrankenkassen, zur Stützung schwächerer Kassen, wird zu einem „Innovationsfonds“, von dem 30 Mio. an die Unternehmerversicherung SVA gehen. Er wird zwischen 2020-2023 um 61 Mio. € weniger Geld beinhalten als der Ausgleichsfonds, nämlich nur noch 100 Mio. Es ergibt sich insgesamt das Bild, dass alle Einsparungen und Verwaltungsänderung zum Nachteil der ArbeiterInnen gestaltet werden, während die Versicherungsleistungen der Unternehmer unangetastet bleiben, und ihre Profite durch niedrigere Beiträge und Auftragschancen im privaten Versorgungsbereich vergrößert werden.

Einstieg in die untere Liga

Das alles sind erst die zarten Anfänge. In der bürgerlichen Presse wird bereits Druck gemacht, dass die Regierung nun endlich die Pensionsversicherung angreifen solle. Und indem der Vorstand der Krankenkassen, der bisher zu 4/5 von der Arbeiterkammer kontrolliert wurde, nun 50:50 mit der Wirtschaftskammer geteilt wird, können Verschlechterungen zukünftig leicht durchgebracht werden. Nach derzeitigem Stand kommen ÖVP-nahe Vertreter in den neuen Gremien der Kranken-, Pensions-, und Unfallversicherung auf 81 Mandate gegenüber 67 der Roten.

Führungspositionen müssen künftig von der Regierung abgesegnet werden. Auch auf Funktionärsebene verkniff sich die Regierung keine Chance auf kleine Schikanen: es wird einen Eignungstest für Funktionäre geben, von der „zufällig“ Juristen sowie Geschäftsführer von GmbHs ausgenommen sind – wir können davon ausgehen, dass sich diese dem gesetzlichen Ziel der „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ (sprich in den Profitträchtigkeit für die Superreichen) der Krankenkassen mit Herzensblut verschreiben werden.

Die schwarz-blaue Regierung organisiert einen Angriff auf die bestmögliche Unversehrtheit unseres Lebens im Fall von Krankheit oder Unfall, und deklariert damit offen unsere Wertlosigkeit, wenn wir einst nicht mehr wie ein Uhrwerk für ihren Profit arbeiten können.

Kampf für Recht auf Gesundheit

Die Gewerkschaften, SPÖ und einige Gebietskrankenkassen visieren nun eine Klage am Verfassungsgerichtshof gegen die Reform an, da sie klar gegen die Selbstverwaltung verstößt, die die Gebietskrankenkasse unter mehrheitlicher Kontrolle von Arbeiterkammer-Funktionäre garantiert. Diese Halbheit kommt einer Kapitulation gleich, denn während der lange Rechtsweg begangen wird, soll die Zusammenlegung der 21 Versicherungsträger auf fünf bereits 2020 abgeschlossen sein. Der Kampf für unseren Zugang zu bestmöglicher Gesundheitsversorgung verlangt einen bedingungslosen, offen geführten Kampf gegen die Profitinteressen und deren politischen Rammbock, die schwarz-blaue Regierung. Kompromisslos.

(Funke Nr. 168 / November 2018)


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