Letzten Samstag hatten sich in Wien zehntausende Menschen bei Kälte und Schneefall zusammengefunden, um gegen die schwarz-blaue Regierung und ihre Politik zu demonstrieren. Dazu aufgerufen hatte das Bündnis „heißer Herbst“ aus linken und gewerkschaftlichen Organisationen, dessen Teil auch der Funke ist.
Die Polizei sprach von 17.000 Demonstrierenden, die Veranstalter von bis zu 50.000. Die Angriffe auf die Sozialversicherungen, der 12-Stunden-Tag, die rassistische Spaltung und viele weitere Themen wurden von den Teilnehmenden und in den Reden von der Bühne als Gründe genannt, warum man gegen diese Regierung demonstrieren muss.
Die bürgerliche Sorge um Weihnachtsfrieden (und das Weihnachtsgeschäft!)
Doch wenn man den Medien Glauben schenkte, gab es an diesem Tag nur eine gerechtfertigte Sorge: Der Einkaufssamstag kurz vor Weihnachten! In völliger Verkennung der Realität wurde so der vorweihnachtliche (Einkaufs-)stress munter zur vorweihnachtlichen „Idylle“ umgedeutet, die durch die Demonstration gestört oder sogar „zerstört“ würde. So wurde auch die Mariahilferstraße in vorauseilendem Gehorsam vor den Wünschen weniger hundert Geschäftsbesitzer schon im Vorfeld für die Demonstration gesperrt – was freilich das panische Geschrei nicht aufhielt.
Zur Diskreditierung der Demonstration ist dem Kapital und seinen VertreterInnen kein Mittel zu billig. Den Höhepunkt der Hysterie markierte wie so oft die FPÖ, mit der Verbreitung eines Videos eines Rettungseinsatzes am Rande der Demonstration. Aus einem Rettungswagen, der sich mit wenig Verzögerung einen Weg durch die Menschenmenge bahnt (wie bei jeder anderen Menschenmenge auch) wird durch die FPÖ zu „Wahnsinn! SPÖ- und grüne Aktivisten blockieren Rettungsauto bei ihrer Krawalldemo!!! Schämt Euch!!!“
Doch es würde zu kurz greifen, diese Hysterie nur als das übliche Geschrei von FPÖ und Boulevard (Krone-Koluminst Jeannée sprach von „Demo-Deppen“) abzutun. Hier lohnt es sich, den Kommentar der neuen Chefredakteurin des „Kurier“, Martina Salomon, mit dem Titel „Jammern auf hohem Niveau“ ausführlich zu zitieren, die mit ein wenig feinerer Klinge, aber derselben Intention wie Strache und Co., die Demonstration angreift. Denn:
„Österreich ist ein Land mit hoher Umverteilung, ausgezeichneten Arbeitnehmerrechten und sozialer Stabilität. Nichts davon ist gefährdet. Dass es jetzt die Möglichkeit gibt, ausnahmsweise 12 Stunden am Stück zu arbeiten, katapultiert uns nicht ins 19. Jahrhundert zurück. Und bei der von der Opposition kritisierten Mindestsicherungsreform geht es auch darum, höhere Arbeitsanreize zu setzen. Mit dem steuerlichen Familienbonus gibt es ab dem neuen Jahr sogar ein politisches Geschenk: mehr Geld für Familien mit Kindern.“
Man will der versammelten österreichischen Bourgeoisie und ihren Vertretern zurufen: „Wenn eh alles so einwandfrei funktioniert, warum regt ihr euch dann über die Demonstration so auf? Sie könnten euch ja in diesem Fall nicht gefährlich werden!“ Doch ihr Geschrei ist kein Zufall. In Wirklichkeit ist es ein Zeichen dafür, dass das Kapital und dessen Regierung die ArbeiterInnen und Jugendlichen isolieren wollen, die jetzt auf die Straße gehen. Unter allen Umständen soll ein Szenario wie in Frankreich verhindert werden
Kämpfen wie in Frankreich
Macron hat wie Kurz auch als Lichtgestalt des Bürgertums angefangen, dessen gute Umfragewerte das Kapital für massive Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse nutzte. Doch im Gegensatz zu Österreich wurde der soziale Inhalt seiner Regierung nicht nur in Reden oder symbolisch, sondern in der Praxis konkret abgetestet: Eine Reihe von Massenbewegungen und Streiks erschüttern seit Monaten die französische Gesellschaft, etwa Schüler- und Studentenproteste, die Bewegung gegen das Arbeitsgesetz, langgezogene Streikbewegungen in einer ganzen Reihe von Sektoren, allen voran den Eisenbahnern. Schon Macrons Vorgänger wurde so auf Herz und Nieren durch Mobilisierungen auf ihren sozialen Inhalt getestet. Diese Bewegungen erreichten zwar wegen kurzsichtiger Führung und falscher Perspektiven ihre unmittelbaren Ziele nicht. Aber sie schafften trotzdem eines: Sie zwangen Macron, zur sozialen Frage direkt Stellung zu beziehen, anstatt wie davor um den heißen Brei herumzureden. Sie zwangen ihn, sein wahres Gesicht zu zeigen, indem er offen zeigen musste, dass er gegen die Proteste, Streiks und ihre Forderungen ist. Sie ermöglichten es damit der Masse an ArbeiterInnen und Jugendlichen, den wahren Charakter der Regierung der Reichen aufzudecken.
Dieser Prozess des ‚Abtestens an der Realität‘ kommt mit der schwarz-blauen Regierung in Österreich nur äußerst schleppend voran. Die Oppositionspolitik der SPÖ kann man im allerbesten Fall als zahnlos bezeichnen, die soziale Frage offensiv zu stellen oder gar Widerstand der Arbeiterklasse direkt zu organisieren, das sieht die Parteispitze mit ihrem bürgerlichen Ausblick nicht als ihre Aufgabe. Die Gewerkschaftsspitzen haben den groß angekündigten heißen Herbst in der sozialpartnerschaftlichen Logik so lange selbstbeschränkt, bis kaum etwas davon übrig geblieben ist.
Es stimmt, die Regierung lügt, dass sich die Balken biegen, von der Sozialversicherung bis hin zur Mindestsicherungsreform. Aber der Kampf mit der „angezogenen Handbremse“ verhindert, dass die leeren Worthülsen der Regierung tatsächlich herausgefordert werden. So wird die Politik der Regierung eine „Glaubensfrage“: Glaubt man der Regierung, dass sie nur unser Aller bestes im Sinn hat? Oder glaubt man der SPÖ und den Gewerkschaftsspitzen, dass sie unser Leben zerstören? Nach 10 Jahren der Großen Koalition, inklusive dauernder Lügen über „gute Kollektivvertrags-Abschlüsse“ und „gute Arbeit der Regierung“ bei ständig niedriger werdendem Lebensstandard und höherer Arbeitslosigkeit ist das Vertrauen in die Spitzen der Arbeiterbewegung verständlicherweise enden wollend. Das ist die Erklärung für die weiter hohen Umfragewerte der Regierung.
Wenn Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida, bei seiner Rede auf der Demonstration also davon sprach, dass der widerständigste Akt im Moment ist, Gewerkschaftsmitglied zu werden, antworten wir ihm: Richtig – aber nur dann, wenn dieses Mitglied nicht auf Anweisungen von oben wartet, sondern die sozialpartnerschaftliche Orientierung der Spitze durchbricht, mit den KollegInnen direkt an die Verteidigung der eigenen Lebensbedingungen schreitet und um eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung kämpft!
Die nächsten Schritte
Wir können festhalten: Unter den Umständen vom Samstag, mit dem Gegenwind nicht nur von Schnee und Kälte, sondern vor allem einer massiven Propaganda des Bürgertums und der Demobilisierung der Gewerkschaftsbewegung nach den, auf halbem Weg abgedrehten, Kollektivvertragskämpfen, war diese Demonstration ein voller Erfolg. Sie zeigt die Reserven des Widerstandes gegen die Regierung selbst unter schlechten Bedingungen auf und kann so als ein Sammlungspunkt des Kampfes für die kommende Zeit wirken. Auf diesem Erfolg gilt es aufzubauen.
Dabei müssen wir uns die Frage stellen: Wie können wir aus diesem einmaligen Erfolg eine dauerhafte Stärkung der Bewegung machen? Diese Frage ist zentral: Denn seit der Angelobung der Regierung hat es schon eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Großdemonstrationen gegeben, insbesondere die Demonstration am 30. Juni mit 120.000 TeilnehmerInnen, die gegen die 12-Stunden-Höchstarbeitszeit auf die Straße gingen. Gerade diese Demonstration hatte wegen ihrer Größe, der gemeinsamen Forderung, das Gesetz zu verhindern, und der direkten Einbeziehung der Arbeiterklasse in den Kampf das Potential, der Auftakt einer breiteren Bewegung zu werden. Damit zeigte sie auch allgemein das Potential von Großdemonstrationen auf: Mit einem klaren Ziel kann sie dieses als Idee verbreiten. Sie dient als Sammlungspunkt und kollektiver Ausdruck für vorhandenen Unmut, der die Entschlossenheit zum Kampf und das Selbstvertrauen für künftige Konfrontationen stärken kann. Diese Möglichkeit wurde durch die Gewerkschaftsstrategie verschenkt.
Doch gerade so eine breitere Bewegung muss das Ziel für die Zukunft sein. Hier bietet sich eine entschlossene Orientierung auf eine österreichweite Großdemonstration zum Weltfrauentag am 8. März an . Dieser Anlass bietet die Möglichkeit, die härter werdende soziale Realität der ArbeiterInnen und Jugend mit den Angriffen der jetzigen Bundesregierung zu verknüpfen. Das kann ein Startpunkt für eine tiefere Verankerung des Widerstandes gegen die Regierung sein. Denn auf Dauer werden auch sehr gute einzelne Großdemonstrationen diese Regierung nicht besiegen. Nur eine direkte Konfrontation mit der Regierung in Form von Demonstrationen und Streiks anhand der sozialen Realität der Massen an Jugendlichen und ArbieterInnen werden sie herausfordern können.
Kämpfen – mit welchem Ziel?
Was der Bewegung gegen die Regierung in Österreich aber vor Allem fehlt, ist eine gesamthafte politische Orientierung – ein einigender Slogan, der in Frankreich bei allen Unterschieden in den einzelnen sozialen Forderungen „Macron démission“ ist – das klare Ziel, Macron hier und jetzt loszuwerden; die Erkenntnis, dass alle sozialen Forderungen so lange utopisch sind, wie diese Regierung der Reichen im Amt ist. Dieser „rosa Elefant im Raum“ in Bezug auf die österreichische Situation wurde in den meisten Reden ausgespart oder mit schwammigen Andeutungen bedacht.
Die SJ-Vorsitzende Julia Herr dagegen sprach auf der Schlusskundgebung richtigerweise an, dass es eine Regierung für die „Mehrheit“ und nicht für eine „kleine Elite“ geben müsse, dass es dafür antikapitalistische Politik brauche. Aber der Kampf gegen die jetzige Regierung müsse geführt werden - „bis sie abgewählt ist“. Zunächst einmal würde das bedeuten, dass wir bei normalem Rhythmus noch vier Jahre warten sollen, bis diese Regierung beseitigt werden kann. Vier weitere Jahre der Zerstörung unseres Lebens sind keine Perspektive, die zum Kampf mobilisieren, sondern im Gegenteil demobilisierend und demoralisierend wirkt.
Doch selbst wenn diese Regierung in 4 Jahren abgewählt werden sollte – was würde ihr nachfolgen? Die letzte Bürgerblockregierung wurde von einer Großen Koalition beerbt, die eben gerade die Vorbereitungsarbeit für die jetzige schwarz-blaue Koalition leistete. Und die Führung der SPÖ versucht auch jetzt über 1000 verschiedene Wege, genauso ein Szenario wieder so schnell wie möglich realistisch zu machen und sich ja nicht als möglicher Koalitionspartner für das Bürgertum zu diskreditieren, indem etwa die Arbeiterklasse voll mobilisiert wird. Die SPÖ in der Opposition geht nicht etwa nach links, sondern klammert sich weiter ans Bürgertum. Unter den jetzigen Bedingungen ist eine Orientierung auf eine Abwahl der Regierung also nicht nur demoralisierend und verschiebt den jetzt nötigen Kampf weit in die Zukunft, sondern ist auch schlicht eine Sackgasse – sie würde nichts Grundlegendes ändern.
Nötig wäre stattdessen, klar und offen die Orientierung zu geben, die die derzeitige Führung der Arbeiterbewegung in ihrer Orientierung auf den Kompromiss und die Sozialpartnerschaft unter keinen Umständen einschlagen will: Für den Sturz der Regierung! Der Sturz dieser Regierung ist eine Aufgabe, die nur durch die mobilisierte und organisierte Arbeiterklasse, etwa durch einen Generalstreik bewerkstelligt werden kann. Das impliziert nicht nur, dass die Arbeiterklasse sich ihre Organisationen als Klassenkampfinstrumente zurückerobern muss und sich eine politische Führung schaffen muss, die nicht auf den Kompromiss mit dem Kapital schielt, sondern die sozialen Interessen der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt stellt. Es würde auch bedeuten, dass die Arbeiterklasse sich so selbst die Instrumente in die Hand nehmen würde, nicht das „kleinere Übel“ als Nachfolgerin der jetzigen Regierung akzeptieren zu müssen, sondern das Schicksal selbst in die eigenen Hände nehmen zu können.
Als Funke zeigten wir auch auf dieser Demonstration diese Perspektive auf. Bei unserem lautstarken revolutionären Block mit den Slogans „Nieder mit den Regierungen der Reichen! – A Bas les Gouvernemnts des riches“ und „Schwarz-blau stürzen, Sozialismus erkämpfen“ nahmen insgesamt etwa 150 ArbeiterInnen, SchülerInnen und Studierende teil. Mit gelben Warnwesten und dem Titel unserer neuen Ausgabe des Funke sahen wir es als unsere Aufgabe an, mit der Bewegung in Frankreich solidarisch zu sein und von ihr zu lernen, wenn wir unsere Regierung hierzulande besiegen wollen. Diese Orientierung wird sich nicht von alleine durchsetzen. Daher: Wenn du unsere Ideen teilst und diese stärken willst, schließ dich uns in diesem Kampf an und tritt uns bei!