SPÖ. Am Bundesparteitag noch toll gefeiert, sorgt die neue Parteivorsitzende immer öfters für Kopfschütteln. Doch diese Unbedarftheit ist nur ein Symptom für die allgemeine Krise der Sozialdemokratie.

 

Der Philosoph Spinoza meinte einst zu seinen Kritikern: „Ignorantia non est argumentum“ (Unwissenheit ist kein Beweisgrund). Dieser Ausspruch wurde spätestens mit Marx und Engels zu einem geflügelten Wort in der Arbeiterbewegung. Angesichts der Aussagen von Pamela Rendi-Wagner in jüngster Zeit kommt einem dieser Satz leicht in Erinnerung.

Das Erbe von Hainfeld

Vor 130 Jahren fand der historische Parteitag von Hainfeld statt, wo Victor Adler die österreichische Sozialdemokratie vereint hat. So ein runder Geburtstag will gefeiert werden – umso mehr, wenn man damit die Einheit der Partei beschwören kann und für ein paar Stunden die tiefe innere Zerrissenheit vergessen machen kann. Doch wie kann man Hainfeld hochleben lassen, wenn man mit Marx nichts mehr anfangen kann?! Victor Adler gelang es, die gespaltene Arbeiterbewegung zu vereinigen, weil er mit den Ideen von Marx und Engels die richtigen Antworten auf die politischen Fragen der damaligen Zeit geben konnte und sich so politische Autorität erarbeitete. Wenn hochrangige Parteivertreter heute twittern „seit 130 Jahren für sozialen Zusammenhalt“, dann drückt sich darin die völlige Unwissenheit über die eigene Geschichte aus. Adler hatte der Sozialdemokratie ein revolutionäres Selbstverständnis gegeben, basierend auf einer marxistischen Analyse der Klassengesellschaft und des bürgerlichen Staates. Er hat mit seinen Zeitungsprojekten der kämpfenden Arbeiterklasse eine Stimme gegeben und die Sozialdemokratie zu einem Werkzeug im Kampf um soziale Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung gemacht.

Für Pamela Rendi-Wagner (aber auch den gesamten Rest der Parteispitze) ist dies ein Buch mit sieben Siegeln. Ihre Sozialdemokratie ist eine ganz andere. Der Klassenwiderspruch ist für sie keine Kategorie mehr, ihnen geht es um den „Standort Österreich“ und um „das gemeinsame Europa“, sprich einen starken EU-Kapitalismus. In der wachsenden sozialen Ungleichheit sehen sie nur ein Gefahrenpotential der sozialen und politischen Instabilität, eine Bedrohung für den „sozialen Frieden“. Mit Schaudern blicken sie nach Frankreich, wenn sie die „Exzesse“ der Gelbwesten sehen. So lautet auch der Hauptvorwurf an Kurz und Strache, dass die schwarz-blaue Politik „unsere Gesellschaft spaltet“.

Mit der Denkweise und den Analysen von Karl Marx haben Rendi-Wagner & Co. tatsächlich nichts am Hut, aber genauso wenig mit dem von Victor Adler verkörperten politischen Erbe der eigenen Partei. Adler sah die Bedeutung von Marx für die Sozialdemokratie darin, dass er dem Proletariat die Einsicht gegeben hat, Träger des menschlichen Fortschritts, „Träger der Revolution“, zu sein, und dass er der Klasse damit die „Sicherheit des Sieges“ gegeben hat.

Vermögenssteuer

Rendi-Wagner und GenossInnen haben gar nicht den Anspruch im Klassenkampf zu siegen und den Klassenwiderspruch aufzuheben. Sie wollen diesen nur befrieden, damit dieser sich aufrechterhalten lässt. Genau darin besteht der Inhalt der Warnungen vor der „Spaltung der Gesellschaft“. Mit Ausbruch der Krise vor zehn Jahren setzte sich bei immer größeren Teilen der SPÖ und der Gewerkschaften die Idee durch, dass es für den Erhalt des „sozialen Friedens“ Reichensteuern, sprich eine stärkere Besteuerung der großen Vermögen und Erbschaften, benötigt. Der Druck wurde so stark, dass Werner Faymann einst die Vermögenssteuer ins Programm aufnehmen musste. Die Forderung nach Vermögenssteuer, die in der Bevölkerung eine große Mehrheit finden würde, wurde aber stets fallengelassen, um mit der ÖVP eine Koalition bilden zu können, was sehr viel zur Unglaubwürdigkeit der SPÖ und ihrer heutigen Krise beigetragen hat. Rendi-Wagner geht noch weiter. Sie kann, wie ihr Vorgänger, mit der Vermögenssteuer genauso wenig anfangen, wie mit Marx. Sie ist von ihrem ganzen Selbstverständnis Teil der bürgerlichen Elite und selbst die moderate Forderung nach Vermögenssteuer widerspricht da schon dem eigenen Kurs.

Nach der öffentlichen Kritik an ihrer Position versuchte sie bei der Gedenkveranstaltung in Hainfeld ihre ablehnende Haltung zur Vermögenssteuer geradezubiegen. In Anlehnung an das Hainfelder Programm, wonach der Kampf gegen die Ausbeutung wie die Ausbeutung selbst international sein müsse, meinte sie, eine nationale Vermögenssteuer sei heute nicht mehr ausreichend und es brauche internationale Maßnahmen wie eine Digital- oder eine Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene. Damit lieferte sie wohl endgültig den Beweis für ihre völlige Unwissenheit, was Marx und seinen Ideen sowie das politische Erbe der österreichischen Sozialdemokratie anlangt. Dass gerade die ganzen Linken in der SPÖ dazu schweigen, erinnert nur allzu sehr an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, wo aus Angst um die eigene Stellung niemand die offensichtliche Wahrheit sich auszusprechen traut.

(Erstmals erschienen im Funke Nr. 170/Februar 2019)


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