Die Diskussion über die Krise der Sozialdemokratie ist nun auch in der Partei selbst angekommen. Klar ist dabei nur, dass sich der Konflikt in der SPÖ nach den Nationalratswahlen vertiefen wird. Es ist nötig, den Bürgerlichen ein eigenständiges Programm für die Arbeiterklasse entgegenzusetzen, argumentiert Emanuel Tomaselli.

 

Rendi-Wagner wurde bisher gezählte drei Mal vom Bundesparteivorstand als Spitzenkandidatin gewählt. Dieses kuriose Verhalten ist Ausdruck für die tiefe Krise der Partei. Überlebt hat sie diese Prozedur, weil ihre Ablöse darunterliegende Konflikte in der SPÖ an die Oberfläche bringen würde, was angesichts der Neuwahlen im Herbst für alle Konfliktparteien riskant ist. Ihr politisches Eigengewicht tendiert dabei gegen Null, was das Ende der liberalen Ära an der Parteispitze anzeigt. Diese Leute verfolgten das Projekt eines „links-liberalen Projekt der Mitte“, welches das „Projekt einer großen Arbeiterpartei als Realitätsverweigerung“ (Christian Kern) begreift. Doch: „Niemand ist heute noch bereit, nur einen Tropfen Blut für sie zu geben“, so bringt ein SPÖ-Genosse die derzeitige Isolation der Parteispitze auf den Punkt. Die liberal-bürgerliche Spitze der SPÖ hat nach Kern, Rendi-Wagner und dem schnöseligen Kulturmanager Drozda als Parteisekretär kaum eine Chance, die kommenden Nationalratswahlen politisch zu überleben.

Doskozil: Regierungspartei um jeden Preis

Der prononcierteste Gegenspieler zur aktuellen Clique in der Löwelstraße ist der burgenländische Landeshauptmann Doskozil. Er setzt auf Law-and-order, das Ausspielen von Armen gegen ArbeiterInnen, eine harte Hand gegen MigrantInnen und er stand für eine Koalition mit der FPÖ. Heute betätigt er sich als Vorkämpfer dafür, dass die SPÖ sich Kurz andient. Um die Dienstbarkeit der SPÖ gegenüber den Interessen der KapitalistInnen zu beweisen, verlangt er, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten auf jegliche Gesetzesinitiativen im koalitionsfreien Parlament verzichten: „Man sollte vorsichtig sein und keine Wahlzuckerl verteilen, weil schlussendlich zahlt den Preis immer der Steuerzahler“, so Doskozil zur APA, und weiter: „die SPÖ ist eine Regierungspartei. Wenn man sozialdemokratische Inhalte umsetzen möchte, dann geht das nur in einer Regierung.“ Nach Doskozils Analyse lag das Nichtzustandekommen einer ÖVP-SPÖ Koalition im Jahr 2017 nur an der Eitelkeit von Kern, und er gibt zu verstehen, dass er verhindern werde, dass sowas nochmals passieren könnte. Der „Sündenfall“ der SPÖ sei die Faymann-Ablöse durch die offene Revolte am Wiener Rathausplatz am 1. Mai 2016 gewesen, macht Doskozil klar.

Doskozils Perspektive könnte die obersten Etagen der sozialdemokratischen Bürokratien vereinen – wenn sie realistisch wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Kurz wird jede andere Regierungsvariante gegenüber einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung bevorzugen. Die Essenz der Kurz’schen Bürgerblock-Politik ist gerade das Zurückdrängen der Sozialdemokratie aus dem Staatsapparat und die Zerschlagung aller solidarischer Sicherungssysteme (Kollektivverträge, Krankenkassen, …) die von der Arbeiterbewegung erkämpft und bisher von Funktionären der Sozialdemokratie getragen wurden. Doskozils Drang in den Staatsapparat gibt den Bürgerlichen viel politischen Spielraum und lässt die Arbeiterbewegung schutzlos gegenüber den rollenden Angriffen des Bürgerblocks. Die Selbstaufgabe der Partei als Reserveteam für den Staatsapparat bedeutet das Ende der Sozialdemokratie als eigenständige politische Kraft.

Max Lercher: Identitätspolitik in Rot

Am Anfang der steilen SPÖ-Karriere des ehemaligen Landesvorsitzenden der SJ-Steiermark stand seine Zustimmung zum sozialen Kahlschlag der rot-schwarzen Landesregierung im steirischen Landtag im Jahr 2013. Dies zwang ihn zum Rückzug aus der Sozialistischen Jugend und war zugleich der Einstieg für höchste Ämter in der Partei. Nach der vollständigen Zerrüttung der steirischen Sozialdemokratie durch die harte neoliberale Politik ihrer Spitze, galt es die Partei wiederaufzurichten. Lercher löste diese Aufgabenstellung als Parteimanager, indem er die ausgedünnten Parteistrukturen zusammenlegte, die Wahllisten für QuereinsteigerInnen öffnete und gleichzeitig die „rote Identität“ betonte. Weil er dies in den Augen der Parteispitze gut machte, holte ihn dann Christian Kern in die bundesweite Parteizentrale, aus der er durch Rendi-Wagner wieder entfernt wurde (nicht ohne ihn vorher mit Beratungsaufträgen auszustatten).

Die bis heute anhaltende, steirische „Reformpartnerschaft“ von SPÖ und ÖVP bedeutete ein Kürzen des Sozialbudgets um 25 % im Jahr 2013 und eine bis zum heutigen Tag anhaltende Ausdünnung der öffentlichen Infrastruktur in den ländlichen Gebieten der Steiermark. Die Gemeindezusammenlegungen brachten keinerlei Ersparnis, nur die Reduktion kommunaler Leistungen. Aktuell herrscht in den ländlichen Regionen der Steiermark eine helle Aufregung wegen des Abbaus der medizinischen Versorgung. Spitalsstandorte werden geschlossen, es fehlen Fachärzte (im Bezirk Murtal etwa gibt es für mehr als 35.000 Frauen nur mehr einen Frauenarzt mit Kassenvertrag), übers Wochenende und in der Nacht gibt es großflächig keine abrufbereiten Ärzte. Zu all dem hört man vom SPÖ-Spitzenkandidaten der Region-Obersteiermark, dem nämlichen Max Lercher, nichts.

Stattdessen setzt er sich literarisch und rhetorisch für den Erhalt der SPÖ als Arbeiterpartei ein. In einem langen Artikel auf kontrast.at argumentiert dafür, dass der Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit als objektive Tatsache akzeptiert wird. Wenn diese Grundsatzfrage geklärt ist so löse sich die „Identitätsfrage aller auf Lohnarbeit angewiesenen Menschen“ durch die „realpolitische Kraft unserer Visionen als unsere eigene Geschichte“ (sic). Dabei will er die großen Fragen der Menschheit im Rahmen „eines gezähmten Marktes“ lösen. Laut Lercher sei dies seit jeher die Vision der Sozialdemokratie gewesen.

Dies ist eine Geschichtslüge: die politische Einigung (am Hainfelder Parteitag 1889) und der darauffolgende Aufstieg der Sozialdemokratie als politische Kraft basierte vielmehr auf dem Verständnis, dass die Klassengegensätze durch die Enteignung des Kapitals, also den Sozialismus, aufgehoben werden müssen. Nur in harten gesellschaftlichen Kämpfen gegen das Kapital konnte die Arbeiterbewegung soziale und demokratische Errungenschaften erkämpfen. So konnte sich die Sozialdemokratie als ideologisch, politisch und organisatorisch eigenständige Kraft herausbilden und behaupten.

Genau diesem Kampf geht Lercher aber aus dem Weg. Auch er strebt die Regierungszusammenarbeit mit den Bürgerlichen an. Sein Programm setzt daher den Zumutungen des Kapitals weder in der Praxis noch in der Theorie irgendetwas entgegen. Anstatt sich etwa dem Kampf für qualitätsvolles staatliches Gesundheitssystem anzuschließen (in seiner Heimatregion gibt es dafür ständig konkrete Ansatzpunkte), argumentiert er für eine massive staatliche Subventionsprogramme für den privaten Sektor – also eine Intensivierung des Neoliberalismus, für eine schlagkräftige EU und eine harte Abschottung gegen MigrantInnen. Dadurch, so hofft er, ließe sich die sich zuspitzende soziale Frage abfedern, denn wenn die KapitalistInnen durch Steuerzahlers Hilfe gute Profite machen, seien sie auch bereit, höhere Löhne zu zahlen, so seine bequeme Logik. Selbstverständlich bedeutet dies: keinerlei Kritik an der Koalition in Graz und an ihrer Anti-Arbeiter-Politik zu üben, sondern bei jedem Konflikt in der Partei wortreich die Einheit und Breite der Partei zu beschwören, anstatt die politische Klarheit zu befördern.

Julia Herr: Keine Koalition mit Kurz

„Der Weg zu einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung führt nicht über eine Unterwerfung unter den abgewählten Sebastian Kurz. Sondern über die Abwahl des von ihm vertretenen Systems einer käuflichen Politik,“ so die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend. Und sie fügt hinzu: „Der geplante Umbau unseres Staates zum Selbstbedienungsladen für Millionäre ist mit der SPÖ nicht zu machen.“ Sie lehnt eine sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung unter FPÖ und ÖVP also ab. Diese klare politische Festlegung ist eine konkrete Ausgangsposition, die es zu stärken gilt.

Allerdings bleibt ihre Analyse der sozialdemokratischen Krise sehr oberflächlich. Wenn man ihrem Argument folgt, so hätte die „SPÖ schneller, härter, pointierter auf Ibiza reagieren können. Sie hätte den Misstrauensantrag besser begründen, offensiver auftreten müssen. Und sie trägt selbst Schuld an den aktuell schlechten Umfragewerten“. Sie möchte nun das ihre dazu beitragen einen SPÖ-Wahlsieg zu ermöglichen und – implizit - eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung zu ermöglichen.

Aus dieser Perspektive ergibt sich ein Jugendwahlkampf, der Forderungen der Jugend- und Klimabewegung aufnehmen wird, und mit einer Kritik am Kapitalismus verknüpft. Allerdings wäre dies nur ein linkes Feigenblatt für alle anderen Fraktionen in der Partei, wenn man dabei einer zentralen Frage ausweicht und die Parteispitze nicht offen konfrontiert: dass die Mehrheitsfraktionen und Cliquen der Sozialdemokratie weder eine programmatische noch eine politische Antwort auf die Lebensfragen der Jugend und der Arbeiterklasse formulieren.

Die Wahrheit sagen

Die KapitalistInnen aller Länder stehen in einem beinharten Profit-Wettbewerb gegeneinander. Überall werden Löhne gedrückt, Arbeitszeit verlängert, Sozial- und Bildungsausgaben zurückgefahren. Kurz hat die Sozialdemokratie und Gewerkschaften aus Regierung und Staatsapparat gedrängt, um die Erhöhung des Profits des Kapitals besser durchzusetzen. Die globale Krise des Kapitalismus ist dabei längst im Massenbewusstsein angekommen: Klimakrise, Flüchtlingskrise, Verteilungsungleichheit, Kriege, … Die tiefe Krise der Sozialdemokratie ist kein österreichisches Phänomen, sondern weltweite Realität – weil der Reformismus keine Alternative zum Kapitalismus umsetzt, ja nichteinmal aussprechen kann.

Aufgabe einer sozialistischen Politik ist es, diese Wahrheiten offen zu benennen und auf dieser Basis eine Opposition in der Sozialdemokratie aufzubauen. Der Funke steht (gemeinsam mit einer Minderheit von GenossInnen der SJ) dafür, dass die SPÖ und die Gewerkschaften im Wahlkampf (und darüber hinaus) im Parlament und auf der Straße dafür kämpfen, dass der 12-Stunden-Tag, die Zerstörung der Krankenkassen und die Kürzung der Mindestsicherung sofort zurückgenommen werden. Wir sind für die Verstaatlichung von Banken und strategisch wichtiger Industrien unter demokratischer Verwaltung durch die arbeitenden Menschen. Und wir stehen dafür, dass eine SPÖ eine Alleinregierung unter Kontrolle der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen anstrebt.

Illusionär? Nur unter den gegebenen Kräfteverhältnissen in den Arbeiterorganisationen. Aber diese zu offen herauszufordern ist eine Notwendigkeit, der man sich im Klassenkampf stellen muss.

(Funke Nr. 175/Juli 2019)


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