«Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit
Und neues Leben blüht aus den Ruinen»
Seit der Schlappe bei den Nationalratswahlen kommt die SPÖ nicht mehr zur Ruhe. Der Ruf nach Erneuerung ist unüberhörbar. Die Parteiführung reagierte darauf mit einem Pseudo-Reformprozess und nun mit einem schweren Foul gegen Max Lercher. Von der Funke-Redaktion.
Die Nachricht einer Boulevard-Zeitung, der ehemalige Bundesgeschäftsführer Max Lercher würde als Berater der Löwelstraße 20.000 € monatlich kassieren, hat am Wochenende viel Staub aufgewirbelt. Gerade er, der in den letzten Wochen wie kein anderer mit kritischen Wortmeldungen aufgefallen ist und sogar eine Neugründung der SPÖ (ein „zweites Hainfeld“) gefordert hat, soll eine Luxusgage auf Parteikosten kassieren. Der „Parteirebell“ ist also nicht mehr als ein Abklatsch des „Genosse Prozda“, der mit Rolex, Porsche und teurer Kunst als Inbegriff der Verbürgerlichung der SPÖ-Spitze firmiert.
Doch binnen kürzester Zeit mehrten sich die Stimmen, die Löwelstraße selbst habe das besagte Gratisblatt mit der heißen Info gefüttert und der Vorwurf gegen Lercher stimme nicht. Christian Deutsch, Bundesgeschäftsführer und leibliche Verkörperung des grauen Parteiapparats und berüchtigter Vollstrecker von Faymanns „Liesinger Partie“, hatte im Parteivorstand am Tag zuvor selbst das Halali auf Lercher eröffnet.
Die Absicht hinter diesem Manöver ist glasklar: Der schärfste Kritiker der jetzigen Parteispitze soll mithilfe des Boulevards diskreditiert werden (wie man es schon mit Andreas Babler vor einigen Jahren gemacht hat). Und wer ihm zur Seite steht, bekommt gleich eine mit: Die Vorsitzende der Jungen Generation (JG) Claudia O‘Brien, die Lercher öffentlich unterstützte, wurde von einem „Genossen“ als Haupt einer „neuen Splittergruppe in der SPÖ“ verunglimpft. Mittlerweile droht Deutsch seinen KritikerInnen sogar mit Klagen. Der potentielle Machtkampf in der Partei soll also schon im Keim erstickt werden, und das mit Hilfe bürgerlicher Medien und des bürgerlichen Staatsapparats. Doch mit bürokratischen Manövern lässt sich diese Krise nicht lösen. Jeder Versuch, kritische GenossInnen zu mobben oder rauszuekeln, wird erst recht Widerstand auslösen. Unter diesen Bedingungen kann sich das Pfeifkonzert vom 1. Mai 2016 gegen den damaligen Parteivorsitzenden Werner Faymann bald schon wiederholen.
Warum keine Demokratisierung?
Eine unter allen Umständen verlässliche SPÖ-Parteispitze ist für die Bürgerlichen der Garant dafür, dass man sich auf die Sozialdemokratie als stabilisierende Kraft stützen kann. „Die Presse“ kommentiert in ihrem Leitartikel am 21.10.: „Aber Österreich braucht eine Partei der Gewerkschaften und der Linken, die Staatsverantwortung zumindest noch vom Hörensagen kennt. Eine linkspopulistische Alternative, wie sie derzeit von manchen angedacht wird, wäre nicht förderlich für Österreich.“
Eine Demokratisierung der Partei, die diesen Namen verdienen würde, kann die Parteispitze unter keinen Umständen dulden. Damit würde ein Unsicherheitsfaktor ins Spiel kommen, der ihrer Perspektive der permanenten Einbindung der Sozialdemokratie in die Staatsgeschäfte und die Sozialpartnerschaft völlig entgegenläuft.
Rendi-Wagner, Bures & Co. streben selbst jetzt noch eine Regierungsbeteiligung an, auch wenn die konkrete Chance dafür in der jetzigen Situation minimal ist. Zudem wäre diese SPÖ-Regierungsbeteiligung nur über einen neuerlichen Ausverkauf zentraler sozialdemokratischer Wahlversprechen möglich – was diese Leute aber einmal mehr in Kauf nehmen würden.
Die KritikerInnen rund um Max Lercher, Julia Herr u.a. erheben vor allem die Forderung nach einer Demokratisierung der SPÖ. Sie setzen ganz auf einen Reformparteitag. Auch an der Basis wünschten sich viele AktivistInnen die Demokratisierung, um eine Basis für die inhaltliche Neupositionierung der Partei herzustellen.
Eine Urabstimmung über ein Koalitionsabkommen – eine zentrale Forderung für den Reformparteitag – würde eine weitere Plattform ergeben, auf der sich die Unzufriedenheit in Teilen der Basis ausdrücken könnte. Die Wahl des Bundesparteivorsitzes durch die Mitglieder hat aber das Risiko in sich, dass früher oder später ein Austro-Corbyn die bürgerlichen Cliquen an der Parteispitze herausfordert. All das muss aus der Sicht der obersten Parteibürokratie verhindert werden.
Zwar sah sich die Löwelstraße angesichts der wachsenden Unruhe in den eigenen Reihen genötigt, Rendi-Wagner vorzuschicken und sie „tabulose, ehrliche, radikale Diskussionen“ versprechen zu lassen. Zwei Tage später wurde diese Ansage jedoch schon wieder abgeschwächt. Der von der Spitze vorgelegte Plan (Zukunftslabore, Mitgliederbefragung, Zukunftskongress) dient lediglich dazu, die Basis zu beschäftigen und ruhigzustellen. Keinesfalls soll der Mitgliedschaft der Partei eine reale Möglichkeit in die Hand gegeben werden, die Politik der Partei in Abstimmungen festzulegen. Nach der jüngsten Eskalation ist es wohl ausgeschlossen, dass die Basis bei dieser Farce mitspielen wird.
Es ist völlig klar, dass wir den Kampf gegen die bürokratischen Manöver und für einen demokratischen Meinungsbildungsprozess in der Arbeiterbewegung mit aller Kraft unterstützen.
Für eine Niederlage der Löwelstraße – für eine sozialistische Opposition
In Zeiten der Krise des Kapitalismus werden die Spielräume für Reformen immer kleiner. Im Gegenteil, das Kapital macht immer mehr Druck auf Konterreformen und Kürzungspolitik, dem die Sozialdemokratie ideologisch und politisch nichts entgegenzusetzen hat. Wo sie Regierungspartei ist, exekutiert sie in den zentralen Fragen (Stabilitätspakt u.a.) die Pläne der Bürgerlichen. Dies ist die wahre Erklärung für die Krise des sozialdemokratischen Projekts und die lange Reihe von Wahlniederlagen sozialdemokratischer Parteien in den meisten europäischen Staaten.
Doch für die Parteibürokratie gibt es keine Existenz abseits des Staatsapparates. Parteienförderung, Kontrolle über Ministerien und Budgets, Projektförderungen und damit verbundene Jobs sind ihr Lebenselixier und ermöglichen ihr die eigene Reproduktion als Bürokratie. Daher klammert sie sich wie ein Ertrinkender an jeden Strohhalm, der die Perspektive aufrechterhält, ein Teil des Staatsapparates zu sein. In den Augen dieser Schicht hat die Sozialdemokratie außerhalb von Regierungsverantwortung und Sozialpartnerschaft dem Wahlvolk nichts anzubieten. Diese Analyse ist vollkommen richtig, daher braucht es einen kompletten Bruch mit dieser Logik und ihren ExponentInnen.
Der Angriff der Löwelstraße auf Max Lercher zielte darauf ab, den Wortführer der KritikerInnen zu diskreditieren, um das Aufkommen einer parteiinternen Opposition im Keim zu ersticken. Dies war umso notwendiger, weil in dieser Situation nicht nur die Macht der Faymann-Clique bedroht ist, sondern weil in der Re-Politisierung der SPÖ unweigerlich sozialistische Ideen wieder zur Debatte stehen.
Was wir brauchen, ist eine Arbeiterpartei, die mit den Methoden des Klassenkampfes für die Überwindung des Kapitalismus und die soziale Befreiung des Menschen vor Ausbeutung und Unterdrückung jeder Form kämpft. Das steht im kompletten Widerspruch zur derzeitigen Rolle der Sozialdemokratie.
Eine wirkliche Neuaufstellung setzt daher einen sozialistischen Kurswechsel voraus. Das mag angesichts des Gesamtzustands der SPÖ illusorisch klingen, weshalb sich viele Linke in der Partei darauf beschränken, „realistische“ Veränderungen in kleinen Schritten zu fordern. Angesichts der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus mit all seinen reaktionären Begleiterscheinungen gilt es aber – ganz nach Rosa Luxemburgs Motto „sagen, was ist“ – hier und jetzt die nötige Vorbereitungsarbeit zu leisten, politische Klarheit herzustellen und Kräfte für einen sozialistischen Kurswechsel zu sammeln.
Wir müssen klar sagen: Deutsch, Rendi-Wagner, Bures & Co. stehen für eine Sozialdemokratie, die Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein will und für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung steht. Die Opposition muss sich dagegen fest und entschlossen auf die Seite der Arbeiterklasse stellen – und das geht nur mit einem sozialistischen Programm.
Mit dem alten System brechen!
Die fehlende politische Klarheit in dieser Frage ist die große Schwäche der Opposition. Kritik am tatsächlichen politischen Kurs der Partei sind in den Aussagen von Lercher und Co. rar gesät und schwammig formuliert.
Der Grund für diese politische Schwäche ist, dass sich selbst die aufmüpfigen Jugendorganisationen in den vergangenen zehn Jahren der Großen Koalition der Anziehungskraft der verführerischen Logik der sozialdemokratischen Beteiligung am Staatsapparat nicht entzogen haben, was ihr Verhalten als innerparteiliche Opposition nachhaltig geformt hat.
Aus den Reihen der Jugend entstammen de facto alle, die jetzt eine Erneuerung und Demokratisierung der Sozialdemokratie fordern, allen voran Max Lercher. Er war Vorsitzender der SJ Steiermark. In der SPÖ machte er Karriere, nachdem er die Sparpolitik der steirischen ÖVP-SPÖ-„Reformpartnerschaft“ mitgemacht hat. Sein Aufstieg führte ihn bis in die Löwelstraße, weil seine steirische Landespartei zu Christian Kerns Königsmachern gehörte. Max Lercher hatte danach auch kein Problem damit, Teil der dubiosen Konstruktionen an Agenturen und Beratungsfirmen im Umfeld der SPÖ zu werden. Der „Parteirebell“ ist selbst Teil des Systems, das er parteiintern und öffentlich kritisiert.
Dieses System muss aber aufgebrochen werden, wie die Jugendorganisationen in ihrem Forderungskatalog ganz richtig sagen. Die österreichische Arbeiterbewegung muss zurück zu einer Kultur, in der die Parteiangestellten einen ordentlichen Facharbeiterlohn und nicht mehr verdienen, Amtsträger (Abgeordnete, Bürgermeister usw.) auf Nebenverdienste vollständig verzichten und den Teil ihres Gehalts, der über dem eines durchschnittlichen Facharbeiterlohns liegt, für einen Sozialtopf oder für einen Kampagnenfonds der Arbeiterbewegung zur Verfügung stellen. Das wäre ein Zeichen für echte Erneuerung und für die Bereitschaft, die SPÖ wieder zu einer Arbeiterpartei zu machen.
Für Hainfeld – für Sozialismus!
Es führt kein Weg daran vorbei: es braucht einen sozialistischen Kurswechsel. Als marxistische Strömung in der Arbeiterbewegung unterstützen wir deshalb die Idee einer „Neugründung“, eines „zweiten Hainfelds“. Wer die Geschichte von Hainfeld kennt, weiß, dass die Partei damals auf der Grundlage marxistischer Ideen als revolutionäre, internationalistische Sozialdemokratie geeint wurde. Dem ging ein harter Klärungsprozess voraus, wo die reformistischen Teile der Arbeiterbewegung marginalisiert wurden, weil sich ihre Antworten als unzureichend erwiesen, und die Linken unter der Führung von Victor Adler sich nicht auf die Ausarbeitung einer „neuen, großen Erzählung“ beschränkten, sondern in der Praxis zeigen konnten, dass sie die theoretischen Konzepte und politischen Strategien haben, mit der man den Kampf um Arbeitszeitverkürzung, höhere Löhne und demokratische Rechte unabhängig von Geschlecht und Nation führen kann und deshalb auch die Mehrheit in der Partei erlangen konnten.
Es braucht heute eine solche Arbeiterpartei, einer „Partei der Vielen“, genauso dringend wie vor 130 Jahren.