Die österreichische Regierung bleibt beim ‚Nein zur Aufnahme von Geflüchteten‘ aus den griechischen Lagern und verweigert damit Zehntausenden Hilfe vor Krankheit und Elend. Von Nora Kühler.
Der ‚Austrian way‘ ist beschlossen: Österreich wird keine Geflüchteten aufnehmen, das Asylrecht und die humanitäre Hilfe sind ausgesetzt. Man lasse sich von Erdogan nicht erpressen, so Kurz bereits Anfang März. Wenn die „griechische Grenze falle“ und es jetzt Menschen gelinge, nach Europa zu kommen, würden Hunderttausenden "und später vielleicht Millionen" folgen. Österreich sei indes vorbereitet, die eigenen Grenzen mit allen Mitteln zu schützen. Auch ÖVP-Integrationsministerin Raab betont, Österreich „brauche keine weitere Flüchtlingszuwanderung“, die „Folgen von 2015“ seien „noch nicht überstanden".
Plädierte Kogler, mit Unterstützung Van der Bellens, noch Anfang März für die Aufnahme einiger Frauen und Kinder aus den griechischen Lagern, ruderte er binnen Tagen zurück – er habe nur seine „Privatmeinung“ kundgetan. Man suche zwar noch nach Einigkeit, es breche ihm aber auch „kein Zacken aus der Krone", wenn es für den grünen Vorschlag keine Mehrheit gebe.
Überraschend ist die Tatenlosigkeit der Grünen allerdings nicht. Sie entspricht vielmehr der „neuen Migrationsstrategie“, die sie bereits Anfang diesen Jahres im Regierungsprogramm akzeptierten: keine weitere Aufnahme von Geflüchteten, Schutz der Außengrenzen, strenge Asylregelungen, aber die Öffnung der Arbeitsmigration, zum Import billiger, rechtloser ArbeitsmigrantInnen und Saisonkräfte (wir berichteten: Türkis-Grün: Füllhorn für Kapital und Reiche). Erkauft wurde dieser ‚Abstrich‘ in der Migrationspolitik mit ein paar scheinbaren Zugeständnissen in der Klimafrage.
Die Politik der Grünen entblößt die Logik vom ‚kleineren Übel‘ – die Grüne seien ein „linkes“ Korrektiv und immerhin wesentlich besser als die FPÖ in einer Regierung mit Kurz – als tödlichen Trugschluss.
Tödliche ‚Kompromisse‘
Auf EU-Ebene hadern seit Wochen fünf ‚willige Staaten‘ mit der Aufnahme 1600 (!) kranker Kinder aus den griechischen Lagern, in denen Zehntausende ums Überleben kämpfen (wir berichteten). Niemand zieht ernsthafte Schritte der Hilfen in Erwägung.
Grund dafür ist weder die Eindämmung der Pandemie, wie Kurz die Haltung seiner Regierung nachträglich noch schnell doppelt absichern wollte, noch der objektive Mangel an Kapazitäten.
Wie der Rest der Welt, ist auch die EU von den kapitalistischen Krisen der letzten Jahrzehnte betroffen: Sparpolitik ist die Konsequenz, politische Instabilität die Folge.
Konfrontiert mit weltweiten wirtschaftlichen Spannungen, Brexit und Handelskriegen müsste sie stark und geeint gegen ihre Konkurrenten auf dem Weltmarkt auftreten, wollen sie ihre Stellung wahren. Doch die EU ist zerrüttet von widersprüchlichen nationalen Interessen. In dieser Situation birgt insbesondere die Flüchtlingsfrage enorme Sprengkraft. Eine „gemeinsame Linie“ gibt es deshalb nicht. Unkoordinierte nationalstaatliche Alleingänge sind vielmehr das Resultat.
Was für die türkis-grüne Regierung in diesem Sinne bleibt, sind ‚Kompromisse‘. „Hilfe vor Ort“ ist das Credo, so wurden drei Millionen Euro für Idlib in Syrien und eine Million für Griechenland in Aussicht gestellt. Letztere schickte Kurz mit einem „starken Zeichen der Solidarität“ an die EU-Außengrenze: 13 Cobra-Spezialeinheiten, Drohnen und Panzerfahrzeuge zum Grenzschutz.
Noch bevor die Corona-Pandemie die weltweite politische Agenda allein beherrschte, war die migrationspolitische Linie der Regierung damit bereits seit Wochen besiegelte Sache. Seitdem tut sich außenpolitisch nichts.
Corona in Traiskirchen
Innerhalb Österreichs bedeutet die Corona-Krise gesundheitsgefährdende neue Restriktionen gegen Geflüchtete und einen Nährboden für weitere rassistische Schikanen.
Auch die österreichischen Flüchtlingsunterkünfte sind inzwischen vom Corona-Virus betroffen. Das Erstaufnahmelager in Traiskirchen, in dem mindestens 300 Personen leben, meldete zwei positive Fälle. Statt die Unterkunft sofort räumen zu lassen und die Menschen dezentral in gegenwärtig leerstehenden Hotels und Wohnungen unterzubringen, wurde die gesamte Einrichtung unter Quarantäne gestellt. Somit sind nun Hunderte ihrer Bewegungsfreiheit beraubt und auf engstem Raum einer Infizierung schutzlos ausgesetzt. Doch damit nicht genug. Weil am Flughafen Schwechat eine Quarantänestelle für rückkehrende UrlauberInnen benötigt wurde, verlegte die Regierung kurzerhand zusätzliche 150, bisher nicht erkrankte, Personen in das bereits unter Quarantäne gestellte Lager Traiskirchen! Auch in Deutschland wurden Erstaufnahmestellen und Geflüchtetenunterkünfte (mit mehr als 500 BewohnerInnen) unter Quarantäne gestellt, so beispielsweise im thüringischen Suhl. Als dort vor zwei Wochen BewohnerInnen gegen die untragbaren Corona-Maßnahmen protestierten, rückte eine Polizeihundertschaft mit Wasserwerfer an, um die ‚Störer‘ in Gewahrsam zu nehmen und „Quarantänebrüche zu verhindern“. In Österreich regte derweil der Identitären-Chef Sellner auf Twitter Gleichgesinnte an, die Einhaltung der Quarantäne in den Unterkünften zu überwachen und mögliche Verstöße anzuzeigen. Die Landespolizeidirektion Wien wusste darauf nur zur antworten, es möge doch bitte der Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten und kein öffentliches Verkehrsmittel für den Zweck verwendet werden.
Identitären-Chef Sellner will die Einhaltung der Quarantäne überwachen & die Polizei gibt ihren Segen.
Corona erlaubt Law-and-Order
Doch diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs verantwortungslosen politischen Handelns und rassistischer Demütigungen.
Geflüchtete berichten davon, keine adäquate medizinische Auskunft oder Hilfe zu bekommen, weil ihre Anfragen schlicht nicht ernstgenommen werden. Andere beschreiben wie sie beim Einkaufen im „fremden Stadtbezirk“ mit astronomischen Geldstrafen belegt werden, weil sie angeblich gegen die Ausgangsbeschränkung verstießen. Willkürliche polizeiliche Sanktionen treffen derzeit Viele. Die Polizei scheint freie Hand zu haben: ihre Befugnisse wurden stark ausgeweitet. So kann sie nun Verwaltungsstrafen von bis zu 3.600 Euro verhängen, genaue Regelungen gibt es dazu nicht. Anfang April wurde von bis zu 1.200 gestellten Strafanzeigen täglich berichtet. Damit werden unter Corona nicht nur die kühnsten Law-and-Order Phantasien Realität, sondern auch rechtliche Bedingungen für rassistische Übergriffe und Denunziantentum bereitet.
Die KostenträgerInnen der Krise
Wie an diesem Beispiel deutlich wird: die momentanen Restriktionen und Krisenfolgen treffen nicht nur Geflüchtete allein, diese aber oftmals in extremer Weise. Viele Geflüchtete sind aufgrund der Asylbestimmungen dazu gezwungen schwarz oder unter prekärsten Bedingungen zu arbeiten. Unter den Corona-Einschränkungen verlieren sie mit als erste ihre Jobs und damit ihre Lebensgrundlage. Sie gehören zu der Gruppe derjenigen, welche die sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie am existenzbedrohlichsten spüren. ArbeiterInnen und Studierende, die schlecht bezahlte, unsichere Jobs machen müssen, um zu überleben, zählen ebenso zu dieser Gruppe. Es ist daher auch kein Zufall, dass all diese, gemeinsam mit Arbeitslosen, auf die Felder geschickt werden sollen, um die österreichische Ernte einzuholen. Ein körperlicher Knochenjob, für den sonst rechtlose Saisonarbeiter aus Osteuropa zu Dumpinglöhnen ins Land geholt werden.
Der Grund für das Ausmaß der gegenwärtigen Corona-Krise liegt im Charakter des profitorientierten Kapitalismus‘, der seit Jahren am Gesundheitssystem und anderen öffentlichen Bereichen spart, um Geld für die Überbrückung einer Krise nach der anderen rauszudrücken. Ausgetragen werden soll diese, wie jede vorige Krise, aber auf dem Rücken der ArbeiterInnen und Armen. Dabei trifft es Geflüchtete, die zusätzlich mit meist unsicherem Rechtsstatus, Diskriminierung und Rassismus konfrontiert sind, besonders hart.
Internationalismus statt ‚nationaler Einheit'
Die KapitalistInnen nützen den Deckmantel der „nationalen Einheit“, um ArbeiterInnen gegeneinander ausspielen, während sie für sich selbst einfordern, durch Rettungspakete, Finanzspritzen und Steuererleichterungen ‚gerettet‘ zu werden. Sie und ihre politischen VertreterInnen tragen die Verantwortung für den Tod Zehntausender und für die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Geflüchtete in den reichsten Ländern der Welt gezwungen werden zu leben. Diesem moralischen Bankrott und dieser Barbarei muss die Arbeiterbewegung konsequent ein internationalistisches Programm im Interesse der ArbeiterInnen entgegenhalten. Doch die SPÖ ist in der Flüchtlingsfrage gespalten. Während einige rote Bürgermeister, allen voran Babler in Traiskirchen, „kurzfristig Verantwortung für Kinder und Familien" übernehmen wollen, zögert die Parteichefin. Rendi-Wagner meint zwar, dass „Einzelhilfe für Menschen in Not“ in Österreich realisierbar sein müsste, letztlich aber eine „einheitliche Linie der Bundesregierung" und eine „gemeinsame, entschlossene Linie innerhalb der EU" hermüsse. Doch diese „Entschlossenheit“ kann die EU nicht aufbringen – und wir können uns angesichts der bisherigen EU-Flüchtlingspolitik sicher sein, dass eine „gemeinsame Linie“ nicht zum Wohle der Menschen ausfallen würde. Wir brauchen weit mehr, um ein menschenwürdiges Leben für ALLE sicherzustellen:
- Gegen jede rassistische Spaltung, für den gemeinsamen Kampf für sichere Arbeits- und Lebensbedingungen – während Corona und danach
- Für die menschenwürdige, dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in leerstehenden Hotels und Wohnungen
- Für eine Mindestsicherung für alle, die durch die Corona-Krise ihre Lebensgrundlage verloren haben – unabhängig vom Aufenthaltsstatus