In den letzten Wochen wurden zahlreiche Gesetzespakete verabschiedet und Verordnungen erlassen. Insbesondere die Versammlungsfreiheit wurde dabei eingeschränkt. Von Julia Brandstätter.

In Krisenzeiten sind grundlegende demokratische Rechte und „Rechtsstaatlichkeit“ meist das erste und leichteste Opfer, wie das Beispiel Ungarn in aller Deutlichkeit beweist. Aber auch in Österreich stehen Grundrechte unter Beschuss, was viele bürgerliche Verfassungsrechtler bezeugen und kritisieren.

Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich auf die Ausnahmeregelung bei der Dienstfreistellung für Angehörige von Risikogruppen. Medizinisches Personal und Pflegekräfte dürfen nämlich – auch wenn sie zur Risikogruppe gehören – nicht freigestellt werden. Das verletzt den Gleichheitsgrundsatz, so Rechtsexperten. Verfassungsrechtliche Bedenken gibt es auch bei der Aushebelung des Epidemiegesetzes, wodurch (Klein-)Unternehmer und Selbständige nach behördlichen Betriebsschließungen den automatischen Rechtsanspruch auf Entschädigung verlieren. Kanzler Kurz wischt diese Kritik mit der provokanten Bemerkung vom Tisch, es handle sich um „juristische Spitzfindigkeiten“, die der Verfassungsgerichtshof schon „nachträglich korrigieren“ würde.

Rechtssetzung via Pressekonferenz

Auch die von der Regierung vollzogene „Rechtssetzung via Pressekonferenz und Twitter“ steht in der Kritik. Die Regierungsmitglieder würden bei ihren öffentlichen Auftritten politische Empfehlungen zu rechtlichen Verboten umdeuten und „Fake Laws“ verbreiten. Sie wollen, unabhängig von der Gesetzeslage, dass einfach ihr gesprochenes Wort gilt.

Ein Beispiel ist die eigenwillige, sehr rigide Auslegung der Ausgangsbeschränkungen. Das Haus dürfe nur für dringende Besorgungen, den Arbeitsweg und Hilfeleistung verlassen werden. Aber eine Generalklausel der Verordnung über die Ausgangsbeschränkungen bestimmt, dass das Betreten öffentlicher Orte im Freien generell und ohne Vorliegen von Gründen gestattet ist, wenn ein Mindestabstand von einem Meter eingehalten wird oder die Personen in einem gemeinsamen Haushalt leben (nur für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel galt eine andere Regelung).

Gesetzwidrige Verordnungen

Aber nicht nur die Interpretation dieser Verordnung vonseiten der Regierung, sondern die Verordnung selbst wird von JuristInnen als gesetzwidrig eingestuft, weil sie einer Bestimmung im Covid- 19-Maßnahmengesetz widerspricht. Die Ausgangsbeschränkung, deren Gültigkeit also auf einer gesetzwidrigen Verordnung beruht, stellt die gravierendste Grundrechtseinschränkung seit 1945 dar und beseitigt nicht nur das allgemeine Freiheitsrecht, sondern auch das Veranstaltungs-, Versammlungs- und Demonstrationsrecht.

Auch mit dem „Ostererlass“ vom 1. April, mit dem das Betreten privater Wohnungen anlässlich der bevorstehenden Osterfeiern normiert werden sollte, hat der Gesundheitsminister seine Verordnungsermächtigung missbraucht. Nach nur fünf Tagen sah sich der Minister gezwungen, den Erlass wieder zurückzuziehen. Damit wurde durch öffentlichen Druck verhindert, dass private Besuche in Wohnungen mit vierwöchigen Gefängnisstrafen belangt werden können.

Außerdem hat das Parlament diese Woche eine Bestimmung des Epidemiegesetzes novelliert, die den Behörden erlaubt, Veranstaltungen zu verbieten, die das Zusammenströmen großer Menschenmengen mit sich bringen. Bis Ende 2021 (!) können Veranstaltungen, etwa Konzerte, Kulturevents oder Messen, auch an bestimmte Auflagen geknüpft oder auf „bestimmte Personengruppen“ eingeschränkt werden. Dieses Gesetz greift tief in Grund- und Freiheitsrechte, besonders in die Versammlungsfreiheit ein. Behörden könnten bestimmte Personengruppen von Versammlungen, Kundgebungen und Veranstaltungen ausschließen – Pflegepersonal von Kundgebungen, BetriebsrätInnen von Betriebsversammlungen oder auch Studierende von Demos!

Metternichsche Methoden

Nach dem Gesetz dürften Personen eigentlich eine Menschenkette im öffentlichen Raum bilden, wenn sie den Mindestabstand von einem Meter und sonstige Schutzvorkehrungen wie das Tragen von Masken einhalten. Die Auslegung der Regierung ist aber eine andere. In einer Pressekonferenz hat die Regierung bestätigt, dass alle (!) Versammlungen untersagt werden. Während also Menschenketten vorm Baumarkt und in Supermärkten kein Problem sind, werden Menschenketten mit politischem Charakter verboten. Für diese Diskrepanz gibt es keine gesundheitspolitische Rechtfertigung.

Seit Mitte März wurden in Österreich alle Demonstrationen – sofern sie nicht bereits vom Veranstalter abgesagt wurden – behördlich untersagt. In mehreren Fällen nahm die Wiener Polizei die Regierungsvorgaben zum Anlass, geplante Kundgebungen mit drei oder vier Personen zu untersagen oder Protestierenden, die ihre Solidarität mit Geflüchteten kundtun wollten, Anzeigen und hohe Strafen anzudrohen.

Polizeistaatliche Methoden und Willkür bestimmen im Moment das Handeln der Behörden. Ein politisches Interesse an der Beschränkung öffentlicher Debatten und politischer Kundgebungen gibt es aber nicht erst seit heute: Erinnern wir uns etwa an die Verschärfung des Versammlungsgesetzes 2017, damals noch unter der großen Koalition.

Während die Bürgerlichen intensiv darüber diskutieren, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche wann wieder „hochgefahren“ werden sollen, verlieren sie natürlich kein Wort über die Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit. Die Verteidigung und Durchsetzung grundlegender demokratischer Rechte ist daher eine der zentralen Aufgaben, vor der die Arbeiterbewegung in den kommenden Monaten stehen wird.

(Funke Nr. 183/27.4.2020)


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