Obwohl das türkise Regierungsprojekt in einer Dauerkrise ist, gelingt es der SPÖ weiterhin nicht davon zu profitieren. Emanuel Tomaselli analysiert den Zustand und den Kurs der Sozialdemokratie vor dem SPÖ-Parteitag Ende Juni.
Der erste Grund dafür, dass die SPÖ trotz der türkisen Krise nicht stärker wird, liegt darin, dass die Parteispitze die politische Führungsrolle im Land gar nicht offensiv anstrebt. Sie stützt ihre Politik stattdessen auf die Hoffnung, eine Selbstreinigung der ÖVP und einen Machtverlust von Kurz in der eigenen Partei einleiten zu können. Zu diesem Zweck betont sie die Notwendigkeit, die Politik müsse sich fest auf den Boden der Verfassung, des Rechtsstaates, der parlamentarischen Demokratie und des „Anstandes“ stellen, und nimmt sie die katholische Kirche vor unmoralischen Erpressungsversuchen der Türkisen in Schutz. Dies tut man möglichst trocken und langweilig, was auch damit zu tun hat wen man überhaupt adressiert. Denn man redet weniger zur Wählerschaft, sondern sendet in erster Linie Signale an die österreichischen Kapitalisten aus. Die wichtigste Botschaft lautet: „Wir brauchen eine stabile Regierung“ (was so viel heißt, wie: „Das bekommt ihr nur mit der SPÖ“). Die gesamte Partei wird ganz auf staatstragendes Verhalten eingestellt. Die Absage der Maiaufmärsche zielte genau darauf ab.
Dazu gehört auch die Art, wie die SPÖ ihre Kritik an der Regierung formuliert. Mittlerweile wird auch Kurz selbst thematisiert, aber diese Kritik ist zahnlos und schüchtern. Ein deutscher Kabarettist (Jan Böhmermann) verbreitet mehr Hoffnung als Rendi-Wagner und den Rest der SPÖ-Spitze. Die wird nicht müde zu betonen, dass des Kanzlers Schicksal ganz in den Händen der Justiz liege. Neuwahlen strebt die SPÖ ohnehin nicht an, und der wirklich starke Mann in der SPÖ, Bürgermeister Ludwig, schließt eine Koalition mit der Kurz-ÖVP vorsichtshalber nicht aus.
Diese Orientierung ist nicht das Resultat einer von schlechten Politberatern vorgeschlagenen falschen Taktik, sondern entspringt dem festen Willen der SPÖ-Spitze, als staatstragende Partei zur Stabilisierung der bürgerlichen Gesellschaft beitragen zu können. Der einstige Grundgedanke der Sozialdemokratie, die Partei der Arbeiterbewegung zu sein, eine eigene Ideologie zu haben, gewerkschaftliche und politische Kämpfe gegen die Kapitalisten zu führen und einen gesellschaftlichen Entwurf zur Überwindung des Kapitalismus zu verfolgen, ist tief verschüttet und findet in der Partei seit Jahren keinen relevanten politischen Ausdruck.
Die Sozialdemokratie konzentriert sich stattdessen darauf, die „besseren“ Vorschläge für die wirtschaftliche, politische und soziale Stabilisierung des Standorts Österreich zu entwickeln, sie mobilisiert aber für keine einzige soziale Auseinandersetzung und versucht erst gar nicht, durch den Druck aus der Gesellschaft auch nur eine einzige Forderung aktiv durchzusetzen.
Aus der Sicht der Arbeiterklasse bräuchte es aber genau das: Argumente, Kampfslogans und eine Organisierung der sozialen Auseinandersetzung, um das Machtgefüge, das Sebastian Kurz verkörpert, zu destabilisieren und zu Fall zu bringen. Die Verknüpfung der sozialen Krise mit der schamlosen Politik der ÖVP bietet viel Raum die Bürgerlichen ordentlich unter Druck zu setzen. Mit ihrer staatstragenden Rolle überlässt die SPÖ letztlich Herbert Kickl die Rolle des angriffigen Oppositionspolitikers.
Die Sozialdemokratie kann nicht gesamthaft reformiert werden. Trotzdem wäre es falsch die SPÖ einfach zu ignorieren. Ihr Zustand ist für die Arbeiterbewegung ein Problem, das gelöst werden muss. Denn die Arbeiterklasse braucht eine Organisation, ein taugliches Werkzeug für den Klassenkampf. RepräsentantInnen der Parteilinken, der Jugendorganisationen und der Gewerkschaften sollten sich nicht der Logik der Parteispitze unterordnen und sich auf eine Nischen- und Symbolpolitik festlegen lassen. Sie sollten den politischen Konflikt gegen die Bürgerlichen, auch in der eigenen Parteispitze offen austragen.
Auf dem anstehenden Parteitag werden wir ein Hickhack zwischen der Löwelstraße und Eisenstadt um die Frage sehen, wer die SPÖ besser zurück an die Futtertröge der Macht führen kann. Die Regionalisierung der Partei, wo jede Landes- und Stadtorganisation ihren eigenen Kurs verfolgt (allen voran die SPÖ Burgenland und die SPÖ Steiermark), ist notwendiges Resultat eines fehlenden einigenden Kampfauftrages. Wer ja zum Kapitalismus sagt, holt sich die Krise der bürgerlichen Gesellschaft frei Haus in die eigenen Reihen. Delegierte auf dem Parteitag haben die Möglichkeit dort ihre Stimme für eine sozialistische Alternative zu Kurz und Kapitalismus zu erheben. Damit könnten sie ein Signal setzen, für den Aufbau eines klassenkämpferischen Pols in der Arbeiterbewegung.
(Funke Nr. 194/26.5.2021)