Der Personalmangel geistert durch die österreichische Wirtschaft. Während die Unternehmer nach „mehr Fachkräften“ rufen, um ihre vollen Auftragsbücher abzuarbeiten, ist der zunehmende Druck auf die Arbeiterklasse nicht länger tragbar. Immer mehr Menschen entscheiden sich aus ihrem Job zu fliehen. Christoph Pechtl berichtet.
Im Lockdown schickten die Unternehmer ihre Angestellten noch in Kurzarbeit oder hatten sie gar gleich entlassen. Mit dem Hochfahren der Wirtschaft stellen sie nun fest, dass ihnen die Leute fehlen. Allein im Tourismus fehlt es an 50.000 Arbeitskräften. Viele der ausländischen Arbeitskräfte, die für Hungerlöhne die österreichische Hotellerie am Laufen hielten, sind nach zwei Jahren Pandemie nicht wiedergekommen. Gleichzeitig findet sich kein neues inländisches Personal, dass unter diesen Arbeitsbedingungen schinden will.
Hackeln bis zum Umfallen
Auch die Ausbildung lag für zwei Jahre brach. Gestern noch war kein Unternehmer bereit Geld für eine Ausbildung aufzubringen, konnte er sich ja nicht sicher sein, dass sein „Investment“ auch Früchte trägt. Heute beklagt er sich über die fehlenden ausgebildeten Arbeitskräfte. Diese Kurzsichtigkeit und Planlosigkeit des Kapitalismus zieht sich durch alle Sektoren der Wirtschaft, vom Tourismus über die Pflege bis zum Handel. Überall führt dies zu Personalmangel und Unterbesetzung. Um die vollen Auftragsbücher der Bourgeoisie abzuarbeiten, müssen die Maschinen glühen, Laptops heißlaufen und die LKWs einen Gang zulegen. Für die zu wenigen ArbeiterInnen heißt das vor allem: längere Arbeitstage, dichtere Arbeitsstunden und kein Leben außerhalb der Arbeit.
In den Supermärkten wird immer öfter schon um zwei Uhr früh begonnen. Im Akkord werden Regale geschlichtet, Wurstplatten aufgelegt und das alles ohne Zuschläge für Nachtarbeit. Untertags gilt es dann keine Müdigkeit „vorzutäuschen“. Bei einigen Ketten gilt es sein „Minutenlevel an eingescannten Produkten“ an der Kasse zu erfüllen. Während der Arbeitsalltag zur Tortur wird, ist das Privatleben nur noch dafür da, sich für den nächsten Arbeitstag auszukurieren.
Geregelte Dienstpläne sind dabei längst passé. Bei einem Minimum an Personal sind ständige Dienstplan-Änderungen, zahlreiche Überstunden und abgesagte Urlaube die Norm. Wer das Kind abholen soll, wenn Mama spontan Überstunden leisten muss ist der Chefetage herzlich egal. Kommt man schließlich doch nach Hause, ist die „Freizeit“ ständig überschattet von der Möglichkeit, sofort abrufbar zu sein. Gerade bei ohnehin schon psychisch belastenden Berufen wie der Pflege macht dieser Zustand Entspannung und „Abschalten nach der Arbeit“ zur Unmöglichkeit.
Lieber kündigen als Burnout
Unter diesem Druck entscheiden immer mehr ArbeiterInnen ihrem Job zu entfliehen, um die Reste ihrer psychischen und physischen Gesundheit zu retten. Ein Teufelskreis, der den Personalmangel zusätzlich verschärft. Ein Rekord an offenen Stellen neben weiterhin bestehender Arbeitslosigkeit ist der absurde Ausdruck eines Kapitalismus, der keine ertragbaren Arbeitsbedingungen mehr garantieren kann. „Der vielbejammerte Fachkräftemangel existiert nicht. Wir haben vielmehr einen Ausbildungs- und Bezahlmangel“(Tusch-Vida).
Die Antwort der österreichischen Bourgeoisie trieft wiederum vor Zynismus. Höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen um neue Leute anzuziehen kommt für sie nicht in Frage. Die Industriellen Vereinigung in Österreich pocht stattdessen auf die ohnehin geplante Arbeitsmarktreform. Diese zielt darauf ab die Situation von Arbeitslosen massiv zu verschlechtern und sie so einfach zum Arbeiten zu zwingen. Solange der Profit der einzelnen Unternehmer nicht eingeschränkt wird, ist ihnen alles recht.
Angriff ist die beste Verteidigung
Zu kündigen ist für viele die kurzfristige Notwehr vor Burnout und Horrorarbeitsbedingungen. Doch Angriff ist die beste Verteidigung, wie die ArbeiterInnen in den USA gerade beweisen. Dort verließen seit April 20 Mio. Amerikaner „freiwillig“ ihren alten Job. Doch individuelle Resignation schlug schnell um in kämpferische Stimmung, als die Medien vom „Big Quit“ berichteten. Die massenhafte Weigerung für einen Mindestlohn ins Burnout geschickt zu werden fand breites Echo in der Bevölkerung. Jedes „Help Wanted“-Schild in den Auslagen der Supermärkte und Fastfood Ketten wurde bereits als Sieg gegen die Konzernbesitzer gefeiert.
Schließlich fand die Stimmung ihren wahren Ausdruck in einer noch immer andauernden Streikwelle, in der sich mehr als 100.000 ArbeiterInnen dafür aussprachen ihre Arbeit niederzulegen.
Der Zwischenstand lässt sich sehen. Nach 3 Wochen Streik wurde der Belegschaft von John Deere, einem Landtechnik Industrieunternehmens, ein zweites Angebot gemacht. 10% Lohnerhöhungen + massive Pensionserhöhung. Die Antwort der Streikenden: Das reicht nicht. Sie wissen, dass sie an der Spitze einer beginnenden Bewegung gegen die untragbaren Löhne und Arbeitsbedingungen stehen. Ihr Sieg wird für die gesamte Arbeiterklasse ein Zeichen sein, diese Zustände nicht länger zu dulden.
(Funke Nr. 198/5.11.2021)