Mit dem Ukrainekrieg und den Sanktionen gegen Russland taucht die Frage auf, wie es dazu kam, dass Österreichs Energieversorgung so stark von Russland abhängig ist. Von Lukas Frank.

Österreichs Kapital hat sich darauf spezialisiert, sich in den Zwischenräumen einzunisten, die sich in Pattsituationen der Weltmächte ergeben. Der heimische Energiekonzern OMV ist Schrittmacher und Paradebeispiel dieser Orientierung, welche jetzt in Zeiten der imperialistischen Zuspitzung an ihre Grenzen gerät.

Die Krise treibt nach Russland

Der arabische Frühling, eine Massenbewegung, die ab 2010 den Nahen Osten erschütterte, stürzte einen Diktator nach dem anderen und bescherte in dessen Folgen der OMV Ausfälle und schlussendlich den Stopp der Erdölproduktion in Libyen. Im Gegensatz zum westlichen Imperialismus, der Libyen sanktionierte, hatte Österreich in den 1980er Jahren wirtschaftliche Beziehungen zum nordafrikanischen Land verstärkt.

2011 war es mit dem billigen und profitablen Öl aus Nordafrika aber vorbei. Die neue Devise des OMV-Bosses Gerhard Roiss hieß daher „teuer aber sicher“ und Milliarden wurden in norwegische Öl- und Gasfelder gesteckt. Leistbar war dies durch die damaligen hohen Erdölpreise, denen kein Ende vorausgesagt wurde. Doch dies passierte: Um die aufstrebende Schiefererdölindustrie der USA im Keim zu ersticken, öffneten die ölfördernden Staaten ihre Schleusen und der Ölpreis kollabierte von 2014 bis 2016 auf 40$ pro Barrel.

Als Rainer Seele 2015 den Konzern übernahm, zeichnete er ein düsteres Bild: Die OMV produzierte um 10% teurer als die Konkurrenz, war vergleichsweise stark überschuldet und ihre Öl- und Gasfelder wären in zehn Jahren aufgebraucht. Aus seiner Sicht gab es im weltweiten Gedränge der Öl-Multis für die kleine OMV nur noch Platz in Russland. Dieses war zuvor, nach der Annexion der ukrainischen Krim 2014, mit Sanktionen belegt und zunehmend wirtschaftlich isoliert worden. Während US-Ölkonzern Exxon noch im selben Jahr ein Joint-Venture mit der russischen Rosneft auf Eis legte, investierte die OMV wenig später 2,5 Mrd. Euro in den Kauf von Anteilen eines sibirischen Gasfeldes und den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2. Aus einem traditionellen Konsumenten von russischem Erdgas (80% des Verbrauchs) wurde auch ein Produzent und Transporteur.

Die Speerspitze nach Russland

Ermöglicht hat diese Geschäfte die „ambivalente“ Außenpolitik Österreichs. Während die USA und Europa versuchten, eine wirtschaftliche Front gegen Russland zu errichten, wurden Putin drei Monate nach der Annexion der Krim in Wien die roten Teppiche ausgerollt.

„Ein neutrales Land wie Österreich kann genau diese Kanäle bieten“, so der damalige Außenminister Sebastian Kurz. Kanäle suchten die österreichischen Kapitalisten aber vor allem zu den gerade freigewordenen Rohstoffen Russlands.

Wie aus einem aktuellem Profil-Interview mit dem damaligen OMV-Boss Gerhard Roiss hervorgeht, kam der OMV bei diesem Vorstoß nach Osten eine entscheidende Rolle zu:

„Tatsache ist, dass die Stimmung auf Ebene der Eigentümervertreter damals wahrnehmbar in Richtung Russland gekippt war. Es gab da eine große Fraktion von Russland- und Putin-Verstehern, die darauf drängte, dass die OMV sich stärker in Russland engagiert. Die OMV sollte Basis dafür sein, die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Russland zu vertiefen. Der OMV-Konzern sollte als eine Art Schrittmacher dienen. Da wurde kräftig lobbyiert. Das brachte mich in eine zunehmend schwierige Situation, denn ich wollte mit der OMV keinen Cent in Russland investieren.“

Diese Fraktion der österreichischen Bourgeoisie sah die Chancen und schaltete schnell. Roiss wurde ratzfatz abmontiert und durch Rainer Seele ersetzt. Laut Profil soll an der Demontage maßgeblich der damalige ÖIAG-Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Wolf beteiligt gewesen sein, der schon lange gute Kontakte zu Russlands Kapitalisten hatte und aktuell in mehrere Korruptionsermittlungen rund um hochrangige ÖVP-Minister verwickelt ist.

Ausgewieselt

Doch aus dem gemütlichen Einnisten wurde nichts. Die imperialistischen Spannungen zwischen dem Westen und Russland eskalierten dieses Jahr mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine und verwandelten die Russland-Bestrebungen Österreichs in einen Scherbenhaufen.

Mit Abschreibungen in Milliardenhöhe einzelner österreichischer Konzerne beginnen jetzt Schuldzuweisungen innerhalb der österreichischen Bourgeoisie.

Das ist heuchlerisch. Ein Blick in die Pressearchive zeigt, welch Goldgräberstimmung unter allen heimischen Kapitalisten in Bezug auf Russland herrschte. Das war soweit nicht verwunderlich, ist es der österreichischen Bourgeoisie seit 1955 doch immer gelungen, profitabel zwischen den Fronten der Weltmächte zu navigieren – meist ideologisch mit der Neutralität Österreichs verkleidet.

Aber seit der Finanzkrise von 2008 hat sich die Situation grundlegend geändert. Der Kapitalismus ist in der Krise, die Spielräume werden kleiner, die Beziehungen zwischen den Weltmächten sind zutiefst destabilisiert und Fronten können sich über Nacht relevant verschieben. Die Wirtschafts- und Coronakrise 2020 hat diesem Prozess nochmals neue Dynamik verliehen.

Für die Kapitalisten des österreichischen Kleinstaates wird es dementsprechend rasant schwieriger, zwischen den Fronten zu manövrieren und profitable Nischen zu finden. Sie werden den gestiegenen Druck auf die Arbeiterklasse abladen und damit hierzulande den Klassenkampf zuspitzen. Wie ÖVP-Außenminister Schallenberg meinte: „Der Urlaub ist vorbei“. Wir haben verstanden.

(Funke Nr. 202/22.3.2022)


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