Uns erreichte folgender Bericht von Andreas Fuchs über die Eindrücke vom SPÖ-Maiaufmarsch in Wien. Einen allgemeinen Bericht über den Tag der Arbeit in Österreich und die Aktivitäten des Funke an diesem Tag werden wir in Kürze veröffentlichen.
Der Maiaufmarsch zum 1. Mai 2022 fand nach zweijähriger, von der SPÖ Wien selbstgewählter, Zwangspause statt. 2021 konnte sich in ganz Österreich im Wesentlichen nur die Parteiorganisation Oberösterreichs gemeinsam mit der lokalen gewerkschaftlichen Führung der MetallarbeiterInnen im von Schließung bedrohten MAN-Werk in Steyr dazu durchringen, entgegen der politischen Linie der Bundesparteiführung eine öffentliche 1.Mai-Kundgebung durchzuführen.
In den Zügen der Bezirksorganisationen der Wiener SPÖ, die sich traditionell am Rathausplatz versammelten, war Erleichterung ob der Aufhebung des faktischen Demonstrationsverbots der Parteiführung zu erkennen. Die AK-Präsidentin Renate Anderl gab dieser Stimmung dann auch vom Podium Ausdruck, als sie formulierte: „Wir sind wieder zurück!“.
Die politische Lage der AktivistInnen und Hauptamtlichen in den Bezirksorganisationen steht in Bezug auf den von NATO und Russland geführten Ukraine-Krieg am Scheidepunkt. Das wird am besten durch folgende Episode charakterisiert: Eine SJ-Genossin, die Funke-Unterstützerin ist, sammelte im Bezirkszug der SPÖ Hernals Spenden für das marxistische Pfingstseminar, zu dem 140 GenossInnen erwartet werden. Dort soll unter anderem über die Strategie für den politischen Kampf gegen die imperialistischen Kriegstreiber auf Seiten von EU/NATO und Russlands unter dem Motto „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ diskutiert werden. Dabei kommt sie mit drei Genossinnen aus der Erwachsenenorganisation ins Gespräch. Dies bemerkend fühlte sich eine führende Genossin der SJ-Bezirksorganisation bemüßigt, die Diskussion und das Sammeln von Spenden für das Pfingstseminar zu unterbinden.
Die Funke-Unterstützerin reagierte, wie man es sich im Sinne einer solidarischen Diskussion wünschen würde: Sie erklärt der lokalen SJ-Führung, dass sie herzlich zum Pfingstseminar eingeladen sei und man jede politische Differenz auch dort tiefer diskutieren könne. Die lokale SJ-Führung, ebenso wie die SPÖ-Parteiführung generell zu einer politischen Antwort unfähig, entgegnet, dass sie wohl auf das IMT-Seminar eingeladen sei, sie aber nicht in den Bezirkszug der SPÖ Hernals. Wir werden auf den Ausgang dieser Episode am Schluss dieses Artikels noch zurückkommen.
Am Rathausplatz eröffnet der Wiener SPÖ-Parteivorsitzende und Bürgermeister Michael Ludwig die Kundgebung mit seiner Rede. Nach dem üblichen Abspulen der Erfolge der Wiener Stadtregierung (Jahresnetzkarte, Wohnbau, Grünflächen) wendet er sich der Causa Prima des imperialistischen Kriegs in der Ukraine zu. Mit einem Satz positioniert er die SPÖ fest im Lager des westlichen Imperialismus österreichischer Note, den der Autor sinngemäß wiedergibt: „Wir sind neutral und wir verurteilen Putins Angriffskrieg in der Ukraine!“
Kein Wort zur Rolle der NATO, zur Rolle der amerikanischen, europäischen oder österreichischen herrschenden Klasse. Hingegen nur: „Die EU muss geschlossen auftreten!“ Geschlossen für das Steuergeld österreichischer ArbeiterInnen und Angestellter für die Lieferungen schwerer Waffen an das rechtsradikale Asow-Regiment? Geschlossen für ein Gasembargo, das Österreichs Haushalte kalt oder Österreichs Industrie stillliegend zurücklassen wird? Geschlossen für Medienzensur? Geschlossen für die Integration Finnlands und Schwedens in den imperialistischen Militärapparat der NATO, Genosse Ludwig?
Die AK-Präsidentin Anderl, die sozialen und solidarischen Bedürfnisse des Publikums besser erahnend, betont in ihrer Rede die „schlimmen Folgen für die Bevölkerung in der Ukraine“ und kommt auf die sozialen Folgen für die österreichische Bevölkerung zu sprechen. Die selbst auferlegte Machtlosigkeit der Arbeiterbewegung verstärkend, richtet sie sodann einen flehenden Appell an Cobra-Nehammer: „Die Bundesregierung muss (da-)für sorgen, dass [setze soziale Forderungen der SPÖ ein]“.
Sie übersieht dabei zweierlei: die österreichische Bourgeoisie hat kein Interesse daran, ihre Profite zugunsten der sozialen Lage der arbeitenden Menschen zu schmälern. Selbst wenn die österreichische Bourgeoisie daran Interesse hätte, sich ins eigene Fleisch zu schneiden, sind ihre politischen Repräsentanten in der Bundesregierung (und die „Huren für die Reichen“ in den zugehörigen Kabinetten) nicht in der Lage, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Anderl bringt zum Schluss aber einen Satz, dessen wahre Bedeutung sie wohl selbst nicht erkannt hat: „Unser Vermögen muss für uns arbeiten!“ Unser Vermögen als Arbeiterbewegung ist aber nicht ein herabgewirtschafteter Sozialstaat, wie Anderl zu meinen scheint. Vielmehr sind „unsere“ Vermögen die Produktionsmittel (Energieversorgung, Industrie, Banken) und wir sollten die Kontrolle über diese der herrschenden Klasse entreißen.
Die Vorsitzende der Frauenorganisation der SPÖ Wien hält, ausgehend vom Standpunkt der lohnabhängigen Frauen, die radikalste Rede und erhält zigfach mehr Applaus als alle anderen RednerInnen (die derweil an den innerparteilichen bürokratischen Machtkampf denkend mit sauren Gesichtern zuschauen) auf dieser Kundgebung. Sie formuliert sinngemäß richtigerweise, dass wir „keine Männer mit ihren nationalistischen und Macht-Phantasien brauchen. Wir brauchen sie nicht in Russland, nicht in der Türkei, nicht in Ungarn, nicht in Afghanistan. Wie brauchen sie nirgends in der Welt“. Hanke stoppt ihren Angriff aber, bevor sie logischerweise auf die Unbrauchbarkeit solcher Männer für die ArbeiterInnen in den USA, Frankreich, Deutschland und Österreich zu sprechen kommen müsste. Sie bleibt damit leider auf der Seite des Burgfriedens hinsichtlich des Klassenkampfs in den westlichen Ländern.
Die Rede der Vorsitzenden der SPÖ-Bundespartei Rendi-Wagner ist, abgesehen davon, dass in der Mitte der Rede Michael Ludwig sie mit Schirm vor Elementarereignissen (einsetzender Regen) beschützt, was sie freudig begrüßt, keiner besonderen Betrachtung wert.
Die eingangs erwähnten drei Genossinnen der SPÖ Hernals sind im Verlauf des 1. Mai nochmals an die Funke-Unterstützerin herangetreten und haben 50 Euro für die Organisation des Pfingstseminars als politische Kraftzentrale für den Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und Krieg gespendet.