In der nächtlichen Finsternis spricht Finanzminister Brunner mit ernster, aber ein Grinsen nur schwer unterdrückter Miene in die Kameras, um die Rettung der Wien Energie durch die jederzeit helfende Hand der Bundesregierung zu verkünden. Andreas Fuchs und Lukas Frank klären auf.

An der Strombörse hat sich Wien Energie vor längerer Zeit verpflichtet, eine bestimmte Menge Strom (die in etwa der Kapazität seiner Stromproduktion entspricht) über das Jahr 2022 zu liefern. Gleichzeitig hatte Wien Energie sich vertraglich gesichert, eine bestimmte Menge Gas zu einem festen Preis über das Jahr 2022 zu erhalten. Im Finanzjargon haben sie auf „sinkende Strompreise und steigende Gaspreise gesetzt“. Dies diente der Risikominimierung, um nicht ständig tagesaktuelle Schwankungen von Stromverkaufs- und Gaseinkaufpreisen balancieren zu müssen.

Für diese sogenannten Termingeschäfte sind Sicherheiten (im Wesentlichen Geld) zu hinterlegen, denn angenommen der Verkäufer geht Konkurs oder muss aus dem Geschäft aussteigen, muss der Vermittler den Terminkontrakt für den Käufer von woanders besorgen. Je nach Wertveränderung der Ware, muss daher der Verkäufer Sicherheiten nachschießen.

Dies sei hier mit Hausnummern erklärt:

Wien Energie verkauft im April 2020 1 MWh Strom, die sie im Jahr 2023 liefern soll – um 100 Euro. Angenommen im Mai 2020 kostet 1 MWh Strom, die im Jahr 2023 geliefert werden, soll 110 Euro, muss Wien Energie 10 Euro an Sicherheiten nachschießen. Allerdings steigt im Normalfall der Gaspreis um dasselbe Verhältnis wie der Strompreis, wofür Wien Energie im gegenlaufenden Gasterminkontrakt Sicherheiten gutgeschrieben bekommt. Von der materiellen Seite her sind diese Finanzströme kontrollierbar, weil Wien Energie in seinen Gaskraftwerken konstant 2 MWh Gas in ca. 1 MWh Strom umwandeln kann.

Unter zwei Bedingungen geht die finanzielle Rechnung aber nicht mehr auf:

Erstens, wenn der Anstieg der Strompreise relevant schneller vor sich geht als jener des Gaspreises. Dann machen die zusätzlich zu stellenden Sicherheiten für das Stromgeschäft mehr als die zusätzlich zu erhaltenden Sicherheiten für das Gasgeschäft aus.

Zweitens wenn Strom und Gaspreise besonders hoch sind. Dann bedeuten auch kleine Abweichung der Strompreissteigerung von der Gaspreissteigerung eine immense zusätzliche Sicherheitsforderungen.

Sowohl die jetzigen Strom- und Gaspreise als auch der immense Unterschied, mit dem sich die Strompreise gegenüber Gaspreisen entwickeln, waren vor 1-2 Jahren, als diese Termingeschäfte abgeschlossen wurden, unvorstellbar. Hätte man damals bürgerlichen Ökonomen die Wirtschaftssituation von heute erklären wollen, wäre man für verrückt gehalten worden. Was wir hier sehen, ist ein ganz normales Geschäft, welches dazu dienen sollte Schwankungen und Risiko zu minimieren. Dieses ist aufgrund der Folgen des imperialistischen Kriegs in der Ukraine (und der damit einhergehenden, immer stärker werdenden Anarchie des Marktes) zur größten Quelle von Volatilität und Unsicherheit geworden.

In der eng zusammenhängenden Energieproduktion müssen unterschiedliche Player sich sowohl in Millisekunden als auch im Jahrestakt aufeinander einstellen. Gleichzeitig erlaubt die Anarchie des Kapitalismus kein sicheres Vorausplanen. Jeder Versuch eines Energieunternehmens, sich auf die nähere oder mittelfristige Zukunft einzustellen, heißt dementsprechend zu spekulieren. Kein Wunder also, dass das kapitalistische Establishment sich freut mit dem Finger auf die „Spekulanten“ bei Wien Energie zeigen zu können, um vom eigentlichen Problem – dem Markt und dem Krieg hervorrufenden Kapitalismus an sich – abzulenken.

Wie aber kommt es, dass die Preisentwicklung des Stroms im europäischen Großhandel noch dynamischer als jene bei Gas war?

Im Sommer 2022 lief auch die Stromproduktion in ganz Europa nicht so wie vorgesehen: In Frankreich mussten wochenlang einige AKWs wegen Wartungsarbeiten stillgelegt werden, der Klimawandel führt zu einem geringeren Stromertrag aus Flusskraftwerken, Kohlekraftwerke konnten z.B. wegen des Niedrigwasser führenden Rheins nicht unter geplanter Last gefahren werden. Hinzu kommt der Mangel an Wechselrichter-Chips, die für den Betrieb von Photovoltaik-Anlagen ebenso essentiell benötigt werden, wie sie am Weltmarkt auch aufgrund der Corona-Pandemie Mangelware sind und die provinzielle Haltung der bayrischen und westösterreichischen Provinzregierungen von CSU und ÖVP, die im Namen des Landschaftsbilds aus jeder Genehmigung eines Windrads ein bürokratisches Hochamt machen. Insgesamt liegt der Ausbau an erneuerbaren Energien in Deutschland weit unter Plan, während in Österreich noch nicht einmal Pläne existieren, sondern ebensolche von der ÖVP blockiert werden.

Die Führung der Sozialdemokratie versucht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Basis der kapitalistischen Produktionsverhältnisse auch im Angesicht von Krieg und Klimawandel zu verteidigen. Sie gesteht in ihrer stärksten Bastion nun ihr Versagen vor dem Markt ein, indem sie zur bürgerlichen Bundesregierung rennt, um Hilfe für ihr Scheitern zu erbetteln und damit der ÖVP einen politischen Rettungsanker zuzuwerfen. Wir zweifeln keine Sekunde daran, dass – während auf der öffentlichen Bühne um die Kreditbedingungen an die Stadt Wien gestritten wird – im Hintergrund ÖVP und Grüne der SPÖ politische Mäßigung im kommenden Winter als Gegenleistung für die Rettung ihrer Wiener Stadtregierung abverlangen werden.

Ein solcher politischer Handel kann sich als Fehlkalkulation erweisen: Zu tief ist der politische Morast des Finanzkapitalismus, in den sich die SPÖ aus selbst auferlegter Treue zu den bürgerlichen Verhältnissen bewegt hat. Zuviel Potential hat eine alternative Wirtschaftsordnung der Planwirtschaft gegenüber den bestehenden und ins Chaos absinkenden Verhältnissen der (Energie-)Produktion für den Profit, i.e. für die reichste Kundschaft. Wir wiederholen, was wir hinsichtlich der Gasversorgung schon gesagt haben: In letzter Instanz sind es nicht die Märkte, sondern die ArbeiterInnen des Elektrizitätswesen, die via Bedienung der Schaltungen über die stromführenden Leitungen in die Industrie und die Haushalte bestimmen.

(Funke Nr. 206, 30.8.2022)


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