Am 9. Oktober stehen die Bundespräsidentschaftswahlen an. Florian Keller zeigt, warum die Logik des „kleineren Übels“ eine politische Sackgasse darstellt.

 Wie instabil das politische System in Österreich mittlerweile geworden ist, zeigt sich daran, was seit der letzten Bundespräsidentschaftswahl im Frühjahr 2016 alles passiert ist: In den etwas mehr als sechs Jahren waren insgesamt neun (!) verschiedene Bundeskanzler im Amt (genauso viele wie zwischen 1945 und 2000). Kein einziger Parteiobmann der Parlamentsparteien von damals ist heute noch im Amt.

Fels in der Brandung

Für das Kapital war in dieser Zeit der politischen Instabilität Bundespräsident Alexander Van der Bellen (VdB) der stabile Fels in der Brandung. Er ermöglichte die Koalition der Kurz-ÖVP mit der FPÖ und ließ Türkis-Blau ungestört arbeiten, als Kurz mit Hilfe rassistischer Hetze und Spaltung das Programm des Kapitals umsetzte (12-h-Tag, Sozialversicherungsreform…). Nach dem Ibiza-Skandal (2019) begleitete er die „liberale Wende“ des Bürgertums mit dem Wechsel zu Schwarz-Grün. Und nachdem der ÖVP-Korruptionssumpf zu stark zu stinken begann, dient er seit Monaten als letzter Stützpfeiler der „Stabilität“, damit sich die dahinsiechende ÖVP und die Grünen noch an der Macht halten können. Angesichts der massiven Teuerungsrate fällt VdB nicht viel mehr ein, als an ArbeiterInnen und Jugendliche zu appellieren, „die Zähne zusammenzubeißen“. Mehr muss man eigentlich nicht wissen über den Charakter seiner Präsidentschaft.

So ist es auch kein Wunder, dass VdB dieses Mal so etwas wie der Einheitskandidat fast aller Parlamentsparteien ist. Alle „soliden“ Bürgerlichen (ÖVP, NEOS, Grüne) haben ihm de facto oder tatsächlich die Unterstützung ausgesprochen, denn sie wissen, was sie an ihm haben. Auch die SPÖ wird keinen eigenen Kandidaten aufstellen und VdB unterstützen.

Einzig die FPÖ stellt einen eigenen Kandidaten auf. Doch wird bei dieser Wahl auch die Krise des rechten Lagers offensichtlich. Eine ganze Menagerie an Impfgegnern, Rassisten, Reaktionären und Kleinkapitalisten buhlt im traditionellen Wählerpool der Blauen um Stimmen.

Das „kleinere Übel“

2016 wurde VdB vor der Stichwahl zur „antifaschistischen Hoffnung“ hochstilisiert. Dies war durchaus im Einklang mit den Interessen jener Teile des Kapitals, die einen „Stabilitätskandidaten“ wünschten. VdB, der als Vorsitzender der Grünen seine Partei etwa auf die Bankenrettung eingeschworen hatte und ein waschechter Neoliberaler ist, eignete sich dafür gut.

Der Großteil der Linken verfolgte damals eine Politik des „kleineren Übels“. Nicht wenige hatten schon im ersten Wahlgang in einer Stimme für VdB eine Möglichkeit gesehen, ihrer Unzufriedenheit mit der Politik der SPÖ-Führung zum Ausdruck zu bringen. Angesichts eines drohenden Wahlsieges von Norbert Hofer verschrieb sich dann die Linke fast ausnahmslos dem Ziel, VdB zum Präsidenten zu machen. Wir lehnten es damals ab, in diesen Sumpf des „kleineren Übels“ hineingezogen zu werden und einen Wahlaufruf für VdB zu machen.

Die sechsjährige Amtszeit VdBs bestätigte unsere damalige Position voll und ganz. In der Linken ist eine kritische Haltung zu VdB heute weit verbreitet. Doch welche Schlüsse ziehen viele daraus? Mit denselben Hintergedanken wie 2016 sprechen sich nun etliche Linke aus der Sozialdemokratie oder dem Umfeld der KPÖ für Dominik Wlazny alias Marco Pogo von der Bierpartei aus. Mit seinem „populären“ Auftreten hebt er sich vom Rest der Kandidaten ab, was ihn für viele, die gegen das Polit-Establishment protestieren wollen, interessant macht.

Vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krisen könnten die Bundespräsidentschaftswahlen die politische Instabilität in Österreich zusätzlich befeuern. Da in Österreich der Klassenkampf über Jahrzehnte nicht zuletzt auf der Wahlebene ausgetragen wurde, spielen wahltaktische Überlegungen im Denken der Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch wenn in diesem Herbst angesichts der Teuerung gewerkschaftliche Kämpfe und soziale Proteste vorprogrammiert sind, werden die Wahlen trotzdem große politische Bedeutung haben.

Marco Pogo könnte in dem Klima der absoluten Alternativlosigkeit eine Rolle spielen, die seine reale gesellschaftliche Bedeutung bei weitem übersteigen würde. Ohne Verankerung in der Arbeiterklasse wird er aber wie so viele „Satirekandidaten“ zuvor (etwa die 5-Sterne-Bewegung in Italien) unaufhaltsam in den Sog bürgerlicher Politik geraten. Seine geäußerten Standpunkte bewegen sich vollständig im Rahmen der herrschenden Ordnung. So verteidigt er mit Verweis auf „die Experten“ die Sanktionspolitik gegen Russland und gehört zu jenen, die der Kriegspartei NATO die Flanke decken und einem militärischen Sieg gegen Russland herbeireden. Eine Unterstützung dieser Kandidatur von Links ist ein Fehler.

Das Elend der heutigen österreichischen Politik ist ein Ausdruck davon, dass es keine Kraft gibt, die den Standpunkt und die Interessen der Arbeiterklasse konsequent vertritt: Die SPÖ hat sich mit Haut und Haaren an das Bürgertum verkauft, aber auch links davon fällt man – angeblich mangels einer Alternative – immer wieder opportunistisch in die Logik des „kleineren Übels“ ein. Was es stattdessen braucht, ist ein radikaler Bruch auch mit den „fortschrittlichen“ Bürgerlichen. Gerade jetzt, wo die Perspektive eine Zuspitzung des Klassenkampfs ist, ist es umso wichtiger, dass wir uns nicht wieder vor einen anderen Karren spannen lassen.

(Funke Nr. 206/30.8.2022)


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