Der Kapitalismus steckt in seiner tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Wir stehen erst am Beginn eines Prozesses, der dadurch charakterisiert ist, dass die herrschende Klasse absurd hohe Profite einstreift, alle Krisenkosten brutal auf die Arbeiterklasse abwälzt und die natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit zerstört. Die Arbeiterbewegung braucht Programm und Organisation, um das Rad herumzureißen.
Der Kontext der SPÖ-Krise
Die zwanzig, im österreichischen Börsenindex ATX gelisteten, heimischen Topkonzerne haben im vergangenen Jahr ihre Gewinne im Schnitt verdoppelt. Gleichzeitig durchlebt die Arbeiterklasse eine Dauerkrise. Die Teuerung von Lebensmitteln (annähernd 20% im Jahresvergleich) und die ständigen parasitären Mietanhebungen sind nichts als die moderne Form der Ausraubung und Verelendung der Arbeiterfamilien, bei gleichzeitiger unerhörter Bereicherung eines Häufleins von Krisengewinnlern.
Die Krise des Gesundheitssystems und der Bildungseinrichtungen ist ohne radikale Schritte nicht mehr lösbar. Aufgrund von ständiger Überbelastung denken 70% der Beschäftigten des öffentlichen Gesundheitsbereiches an Kündigung. PatientInnen leiden unter langen Wartezeiten bei Behandlungen und fehlenden Medikamenten (aktuell 500), weil die Pharmamonopole die Preise treiben wollen.
Während es der politische Wille aller Parteien ist, die Kinderbetreuung auszubauen, um Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bekommen, herrscht in vielen Kindergärten der Großstädte ein permanenter Notbetrieb wegen Personalmangel. Immer mehr öffentliche Schulen müssen aus den gleichen Gründen ständig ihr Lehrangebot einschränken und die Qualifikationskriterien des Personals heruntersetzen.
Die Auslagerung von öffentlicher medizinscher, betreuerischer und pädagogischer Leistungen an private Einrichtungen ist eine enorme Verschwendung öffentlicher Gelder an (meist politisch vernetze) Profiteure. Nur punktuell erfährt die Öffentlichkeit über die Steuergeldverschwendung an private Anbieter, zuletzt etwa über die Auslagerung der Radiologieärzte im Wilhelminenspital (Klinik Ottakring) an eine private Firma zum Stundensatz von 200 bzw. 350€, oder die Geldflüsse an den mutmaßlich betrügerischen Kindergartenanbieter Minibambini.
Die imperialistische Zuspitzung um den Ukraine-Krieg schwebt wie ein Damoklesschwert über dem österreichischen Kapital. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet am 23. März, dass die europäische Zentralbank den Ausstieg der Raiffeisenbank (RBI) aus Russland zu erzwingen sucht. Österreichs Finanzkapital und Energieversorgung stehen genau auf dieser geopolitischen Frontlinie. Aus eigenem Profitinteresse gehen US- und EU-Behörden gegen die Profitinteressen des heimischen Kapitals vor – die angebliche Neutralität des fest im Westen verankerten österreichischen Imperialismus hin oder her. Die Kombination von internationaler Bankenkrise und politisch angestrebter Schrumpfung der RBI droht das führende österreichische Bankeninstitut in absehbarer Zeit zu ruinieren – es erwirtschaftete im vergangenen Jahr 72% seines gewöhnlichen Geschäftserfolges von 3,6 Mrd. im Kriegsgebiet. Damit steht nicht nur die größte Bank, sondern auch der größte Aktionär österreichischer Industriekonzerne (etwa der voestalpine) des Landes vor einer Krisenperiode historischen Ausmaßes.
Der österreichische Kapitalismus steckt in der Krise. In dieser Situation wollen die Bürgerlichen die Profite sichern, während die Arbeiterklasse auf allen Ebenen Angriffen und Einsparungen ausgesetzt ist.
Die Krise der bürgerlichen Demokratie …
Vertrauensverlust in traditionelle Parteien, erdrutschartige Wahlergebnisse und Regierungskrisen prägen das Bild in allen Ländern. Die krisen- und korruptionsgebeutelte ÖVP versteht, dass ihre einzige Chance auf Regierungsbeteiligung darin besteht, zu verhindern, dass politische Konstellationen gegen sie entstehen: Mit den Grünen regieren sie im Bund, mit der FPÖ nach Oberösterreich jetzt auch im Kernland Niederösterreich, mit der SPÖ in Tirol, aber auch über die Einbindung der SPÖ-Gewerkschaftsspitzen und des Wiener Landeshauptmannes Michael Ludwig in die Staatsgeschäfte. In allen Konstellationen dominiert die ÖVP den politischen Inhalt und die Posten.
… und die Krise des Reformismus
Auch die Krise der Sozialdemokratie ist kein spezifisches österreichisches Phänomen. Ihr grundlegendes internationales Problem ist, dass ein Reformismus ohne Reformen für die Arbeiterklasse nicht nur sinnlos, sondern eine Fessel ist, um die Angriffe des Kapitals zu parieren. Dies führt zu Mitgliederschwund und gesellschaftlichem Bedeutungsverlust.
Wenn es in der Politik der SPÖ über Jahre auch nur noch einen sehr verzerrten politischen Ausdruck findet, so müssen wir trotzdem festhalten, dass die SPÖ über tiefe Wurzeln in der Arbeiterklasse verfügt. Unabhängig von jeder Parteiaffiliation oder gar verfestigter politischer Enttäuschung auf der Linken ist die weitere Entwicklung der SPÖ von zentralem, objektivem Interesse für die Arbeiterklasse. Das drückt sich im plötzlichen Interesse an SPÖ-Beitritten und der öffentlichen Unterstützung, die Andi Babler erfährt, aus.
Die Arbeiterklasse braucht eine eigenständige Partei, um die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Bedürfnisse unser Klasse gegenüber den Zumutungen des herrschenden Systems und seiner politischen Proponenten zu artikulieren, zu organisieren und durchzusetzen.
Das Parteileben der SPÖ ist in den letzten Jahren von top-down Cliquenkämpfen um schrumpfende Ressourcen und bezahlte Funktionen und Posten geprägt. Nur hie und da nimmt dieses Problem politische Farben an.
Die Essenz des Konflikts zwischen dem Rendi-Wagner-Apparat und dem Doskozil-Apparat sind nur unterschiedliche Überlegungen, wie man die SPÖ besser zurück an die Regierungsmacht bringt. Eine programmatische Differenz zwischen den bisherigen Hauptkontrahenten ist nicht greifbar.
Rendi-Wagner genießt die Unterstützung des zentralen Wiener Partei- und Staatsapparats (mit Einschränkung auch in den Bezirken), der Frauenorganisation und der Gewerkschaften, die (abseits von staatlichen Geldern) die zentrale Finanzierungsquelle der SPÖ-Wahlkämpfe sind. Doch gerade unter den mächtigen GewerkschafterInnen machte sich in dieser Woche eine breite Absetzbewegung von Rendi-Wagner bemerkbar.
Doskozils Clique verteilt sich über mehrere Persönlichkeiten und Strukturen, wobei sich im gegebenen Schlamassel wichtige Strippenzieher (wie Max Lercher) und designierte ProponentInnen in den Bundesländern (inklusive in Wien und im Parlamentsclub) aktuell bedeckt halten, um sich selbst nicht zu beschädigen.
Beide Seiten kommen aus dem Staatsapparat und wollen wieder dorthin zurück, um eine neue Krisenregierung im Interesse der österreichischen Kapitalisten zu bilden.
Eine Neuauflage der Koalition von ÖVP und SPÖ unter Rendi-Wager wird seit Monaten von der Industriellenvereinigung, einer Interessensvertretung von Großindustriellen, vorbereitet. Doch die tiefe politische Krise der ÖVP, die Wahlerfolge der FPÖ und die Stimmenverluste der SPÖ bei den Landtagswahlen lassen diese Variante wieder unsicher erscheinen. Das beunruhigt die SPÖ-Spitze selbst, genauso die Bourgeoisie.
Das Patt, in das Rendi-Wagner und Doskozil die Partei geführt haben, führt zu Erosionserscheinungen in beiden Cliquen. Eine allgemein geteilte Auffassung macht sich breit, dass beide ProponentInnen sich verbraucht haben. Wie zugespitzt die Situation ist, zeigt sich zuletzt darin, dass bei der letzten „entscheidenden“ Sitzung des Parteipräsidiums (die nächste findet bereits am Montag statt) drei Bundesländer fernblieben.
Es bleibt abzuwarten, ob es der Wiener Partei, also dem Bürgermeister Ludwig, gelingt, einen Kompromisskandidaten aufzustellen, auf den sich die zentralen Teile des Apparates friedlich einigen können. Die Vorgangsweise, die an der Parteispitze einstimmig beschlossen wurde, lautet, dass die vereinbarte Mitgliederbefragung zum Vorsitz eine unverbindliche Übung ist. Dies ermöglicht den Parteigranden formal bis zum Juni-Parteitag hinter den Kulissen weiter an einer Lösung der Führungskrise zu arbeiten. Doch in dieser tiefen Krise ist alles möglich.
Voraussetzungen und Aufgaben des linken Kandidaten
Andi Bablers Ansage, sich um die Führung der Partei zu bewerben, hat das Potential, die SPÖ-Krise mit politischem Inhalt zu füllen, wenn er Schritte setzt, um den Kampf für die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen zu organisieren.
Andi Babler ging durch die Schulung der Stamokap-Strömung der Sozialistischen Jugend, er hat damit ein hinlängliches ideologisches Fundament (das im Wesentlichen jenem der KPÖ Steiermark entspricht), um die Wesenserscheinungen des modernen Monopol-Kapitalismus und seine negativen Auswirkungen auf die Lebensperspektiven der Arbeiterklasse einzuordnen. Neben dem heutigen Nationalrats-Abgeordneten Andreas Kollross war er ein führender Proponent der linken SJÖ-Führung ab 2000, die die Sozialistische Jugend vor der politischen Bedeutungslosigkeit rettete und einen Programmprozess anleitete, dem die Arbeiterbewegung das linkste, aktuell gültige Grundsatzprogramm einer Massenorganisation der Arbeiterklasse im Land verdankt. In seiner bisherigen Haupttätigkeit als Bürgermeister in Traiskirchen, Standort des gleichnamigen Bundesasylzentrums, zeigt er, dass er der rassistischen Spaltung erfolgreich die Stirn bieten und populäre kommunalpolitische Symbole (Freizeitgestaltung, Bildung, Klimaschutz) zu Brennthemen zu setzen vermag. So wurde er bundespolitisch zu einem Hoffnungsträger für eine Alternative zu den SPÖ-Führungen. Die Ankündigung seiner Bewerbung um den SPÖ-Vorsitz vom 23.3. begründet er damit, dass sie Teil seines Lebens sei, und sie zu einer einigen, würdigen Sozialdemokratie der Vielen gestalten möchte.
Da es das Prozedere der Mitgliederbefragung gibt, stellt dies Interessierte und AktivistInnen vor die Frage, ob man noch heute der SPÖ beitreten sollte, um so Andi Babler als linken Kandidaten unterstützen zu können. Wir halten dies für richtig.
Jeder Schritt, der die bleierne Decke der Alternativlosigkeit zum rechten Kurs der Partei lockert, ist ein Schritt nach vorne. Denn das bietet Möglichkeiten, endlich eine offene Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Arbeiterorganisationen zu führen. Es gilt, dieses Potenzial zu verwirklichen. Der sozialpartnerschaftliche Kurs und die Unterordnung der Arbeiterbewegung unter die Interessen des Kapitals muss durchbrochen werden. Babler wird sich festlegen müssen, wie er programmatisch an die Arbeiterklassetradition und -verankerung der Partei ansetzt. Angesichts der Ideen- und der Mutlosigkeit der SPÖ-Linken in der aktuellen Periode, wird er dafür Zeit brauchen.
Aus unserer Sicht muss die programmatische Ausrichtung der Linkskandidatur rund um die zentrale Frage der Kontrolle und der Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Reichtum gehen. Die Profite der Kapitalisten sind unermesslich, egal ob es um die Banken, Konzerne oder Immofirmen geht. Jede sinnvolle gesellschaftliche Reform stellt die Frage, ob der von der Arbeiterklasse erarbeitete gesellschaftlicher Reichtum Reiche reicher und die Erde kaputter macht, oder ob das Leben der Arbeiterklassefamilien erleichtert und verbessert wird. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, vollständige automatische Lohn und Sozialleistungsanpassung an die Teuerung, eine qualitätsvolle öffentliche Bildung, ein funktionierendes Gesundheitssystem, öffentlicher Wohnbau, der Ausbau der Öffentlichen etc. stellt die Frage der Finanzierung und der Ausrichtung der Wirtschaft entweder auf die Profite Weniger oder auf die Bedürfnisse Vieler.
Andi Bablers Kandidatur bietet die Chance, praktische Schritte in dieser notwendigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu setzen. Das Grundsatzprogramm der SJÖ hält dazu fest: „Die Kraft der organisierten ArbeiterInnen kann sich jedoch nur entfalten, wenn der politische Einfluss der KlassenversöhnerInnen in der ArbeiterInnenbewegung gebrochen wird.“ Diese Möglichkeit ist heute in Österreich so gut und so notwendig wie noch nie, seit dieses Programm verabschiedet wurde.
Wir befürworten weiter, dass Andi Babler eine breite Basiskampagne von Partei- und Nichtparteimitgliedern um seine Kandidatur organisiert und werden diese mittragen, sofern er diesen Weg wählt. Das Potential, eine politische Bewegung zu entfachen, ist gegeben. Babler könnte diese Stimmung organisieren, indem er im Zuge seiner Wahlkampagne zu einer Aktivistenkonferenz aufruft.
Die Erfahrung aus Großbritannien zeigt, dass der kleinbürgerliche Parteiapparat und die offen bürgerlichen Repräsentanten der Partei vor offener Sabotage und parteischädigenden Ausschluss- und Charaktermordkampagnen nicht zurückschrecken werden, wenn die Unterordnung unter private Profitinteressen politisch herausgefordert wird. So wurde Corbyn sabotiert und nun auch die klassenkämpferischen Gewerkschaftsvorsitzenden in Unison (vergleichbar GPA) und Unite (vergleichbar PRO-GE).
Das ist kein Zufall. Der Krisenkapitalismus muss eine Trendwende in den Arbeiterklasseorganisationen unbedingt verhindern, um den Schein der politischen Alternativlosigkeit zu den herrschenden Verhältnissen vor der Jugend und der Arbeiterklasse aufrecht zu erhalten.
Jetzt gilt es die Chance zu nützen, um eine Trendwende in der Arbeiterbewegung durchzusetzen!
Die Redaktion, am 24.3.2023