Mit der Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor dem österr. Parlament hat die Bundesregierung im Ukrainekrieg einmal mehr klar Partei auf Seiten der NATO ergriffen. Dass neben der FPÖ auch Teile der SPÖ dem Spektakel fernblieben, hat einen liberalen Shitstorm ausgelöst. Eine Analyse von Konstantin Korn.
Das österreichische Kapital ist durch diesen Krieg in eine äußerst schwierige Position gekommen. Die Investitionspolitik in Russland und der Ukraine und der Zugang zu relativ günstigem russischem Erdgas waren lange Zeit ein Motor der rot-weiß-roten Wirtschaft. Diese Expansionsstrategie im Osten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war nicht zuletzt dadurch möglich, dass Österreich über Jahrzehnte seine Position als neutraler Staat genutzt hatte, um in Osteuropa wirtschaftliche Kontakte zu pflegen. Im Ost-West-Konflikt (aber auch im Nahost-Konflikt) war die Neutralität und die vor allem unter Bruno Kreisky in den 1970ern forcierte Rolle als internationaler Vermittler ein politischer Standortvorteil, der sich in hohen Profiten messen ließ.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass Österreich trotz Neutralität wirtschaftlich, politisch und letztlich auch militärisch in den Westen integriert war. Mit dem EU-Beitritt war die Neutralität dann ohnedies nur noch ein Papiertiger und Österreich war de facto gezwungen, den außenpolitischen Kurs der EU mitzutragen – was durch den uneingeschränkten Zugang zu den EU-Märkten mit Milliardenprofiten versüßt wurde. Diese Bindung ist für das österreichische Kapital alternativlos. Die Unterstützung der Ukraine durch die EU und die Sanktionspolitik gegen Russland wird daher von der Bundesregierung (und ebenso von der sozialdemokratischen „Opposition“) bislang vorbehaltlos mitgetragen – auch wenn wir davon ausgehen können, dass gerade so manche Kapitalkreise (und damit verbundene Kräfte in Parteien und Verbänden) eine Politik gegenüber Russland bevorzugen würden, die ihre wirtschaftlichen Interessen weniger schädigen würde.
Die Rolle der unbeirrten „Falken“, die diesen Krieg mit allen Mitteln führen wollen, kommt so den grünen und pinken Liberalen zu. Sie repräsentieren Kapitalfraktionen, die sich nach einer Abkoppelung von Erdgasimporten aus Russland einen wachsenden Markt für ihre „ökologische Transformation“ erhoffen und die in der Aufrechterhaltung des Labels der „Neutralität“ keinen Vorteil sehen. Natürlich versehen sie ihre Kriegspropaganda mit dem Etikett „Menschenrechte“ und „europäische Werte“, was aber nichts an den wahren imperialistischen Interessen ändert.
Selbst, wenn diese Parteien im Parlament eine Minderheit darstellen und in der Bevölkerung außerhalb ihrer Bubble für ihre Politik kaum Rückhalt haben, so bestimmen sie derzeit doch die öffentliche Meinung.
Die SPÖ-Spitze hat sich seit den 1990er Jahren ganz im Interesse des Kapitals dem Projekt „geeintes Europa“ verschrieben. Ihr Ziel ist es bestenfalls, die EU etwas „sozialer“ zu gestalten, aber unter den Bedingungen der aktuellen Krisen ist das leere Rhetorik. Übrig bleibt in der Praxis die volle Unterstützung für den Kurs des westlichen Imperialismus, was im Ukrainekrieg Sanktionen gegen Russland und finanzielle und auch militärische Leistungen an die Ukraine bedeutet.
Über Jahrzehnte war das Bekenntnis zur Neutralität fixer Bestandteil des sozialdemokratischen Selbstverständnisses und ist bis heute mit Übervater Bruno Kreisky verknüpft. Zwar hat der SPÖ-Parlamentsklub die Regierung in der Sanktionspolitik gegen Russland bislang geschlossen unterstützt, doch in der symbolischen Frage der Selenskyj-Rede zeigte sich erstmals eine Spaltung in der SPÖ in Bezug auf den Ukrainekrieg (wobei auch die Plätze der Bundesregierung nur sehr schütter besetzt waren, was nicht gerade auf rasende Begeisterung über diesen Akt schließen lässt). Anders als die FPÖ, die diesen Anlass zu offenem Protest mit einer klaren politischen Botschaft nutzte, blieben 21 SPÖ-Abgeordnete aber einfach der Sitzung fern und suchten mehr oder weniger billige Ausreden. In der Sozialdemokratie herrscht eine tiefsitzende Kultur der politischen Feigheit, weil eigenständiges Denken und Vertreten von Positionen leicht die Karriere kosten können. So waren nur ganz wenige Abgeordnete (Tanzler, Kollross, Silvan) bereit, ihre Position inhaltlich zu verteidigen:
„Eine Rede eines kriegsführenden Staatschefs, der Kriegspropaganda betreibt, die Gewerkschaften in seinem Land bekämpft und angeblich Streu- und Phosphatbomben auf Unschuldige abwerfen lässt, hat in einem Parlament eines sich zur Neutralität bekennenden Landes nichts zu suchen.“
Der öffentliche und parteiinterne Druck war daraufhin gewaltig. Die Haltung zum Ukrainekrieg ist eine Kardinalsfrage, anhand der die SPÖ aus Sicht des Kapitals zeigen muss, dass sie „regierungsfähig“ ist. Dissens kann in der Frage nicht geduldet werden. Vorsichtshalber beugte sich auch Andreas Babler diesem Shitstorm und nimmt entgegen seiner zuvor geäußerten Pro-Neutralitäts-Position Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine als gegeben hin. Journalisten haben Bablers einstige Position gegen Auslandseinsätze des Bundesheers und EU-Kritik ins Visier genommen. So soll sein Internationalismus, den er in seinen Wahlkampfreden nicht zuletzt am Beispiel der Schließung der Semperit in Traiskirchen nachvollziehbar betont, sturmreif geschossen werden.
Was passiert, wenn man nicht nachgibt, musste der Schwechater SP-Stadtparteivorsitzende und Babler-Weggefährte aus der Zeit der SJ-Stamokap-Strömung David Stockinger erfahren. Ihm wurde letztlich sein Faible für Sowjetuniformen aus der Stalin-Zeit zum Verhängnis. Mit einer gesteuerten Medienkampagne wurde er aber in Wirklichkeit für sein Festhalten an einer Neutralitäts- und Anti-EU-Position bestraft und zum Rücktritt gezwungen. In diesen Beispielen zeigt sich, welche Rolle die – angeblich „objektiven“ – bürgerlichen Medien, nicht zuletzt die liberalen Blätter, bei der Aufrechterhaltung der ideologischen Herrschaft des Kapitals einnehmen.
Wir stehen klar gegen solche Versuche, die liberale, bellizistischen Propaganda in der Arbeiterbewegung durchzusetzen. Gleichzeitig braucht es eine politische Debatte in den Organisationen der Arbeiterbewegung zu Krieg und Internationalismus. Die Außenpolitik ist untrennbar verbunden mit der Politik nach innen und nichts anderes als eine Fortsetzung dieser Politik mit anderen Mitteln, von der Diplomatie bis zum Krieg. Deswegen greift auch die Forderung nach Friedensverhandlungen viel zu kurz, denn unter den jetzigen Bedingungen wäre ein Frieden in der Ukraine nur ein Abkommen zwischen zwei Räubern, die sich das Land unter sich aufteilen und nachher wirtschaftlich auspressen würden.
Die Arbeiterbewegung hat in erster Linie die Aufgabe, alles zu unternehmen, damit die Regierung im eigenen Land möglichst wenig Mittel zur Verfügung hat, um sich an diesem Raubzug zu beteiligen – um so bessere Bedingungen für einen solidarischen Kampf der ArbeiterInnen über alle Grenzen hinweg gegen die kapitalistische Herrschaft zu schaffen. Unsere Losung muss sein: Keinen Euro – keine Patrone – keinen Mann für diesen imperialistischen Krieg! Und gleichzeitig gilt unsere Solidarität all jenen Kräften, die in den kriegsführenden Ländern oft unter schwierigsten Bedingungen ebenfalls gegen den imperialistischen Krieg, gegen Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen und klassenkämpferische Gewerkschaften und internationalistische Arbeiterorganisationen aufbauen.
(Funke Nr. 213/24.4.2023)