Jahrelang von Liberalen gekapert, steht jetzt die Parteilinke an der Spitze der Partei. Die Bemühungen, die SPÖ wieder als Partei der Arbeiterklasse herzurichten, stoßen auf Hindernisse, analysiert Emanuel Tomaselli.
Brandgefährlich für die „liberale Demokratie“ sei der „Populismus“, der etwa die Spaltung der Gesellschaft in ein „oben“ und „unten“ benenne, dozierte Bundespräsident Van der Bellen (VdB) diesen Sommer unverhohlen in Richtung des neuen SPÖ-Vorsitzenden Babler.
VdB greift die SPÖ deshalb an, da mit Babler die sicher geglaubte Neuauflage einer SPÖ-ÖVP-Koalition in Frage steht. Er appelliert daher an die geprüften staatsorientierten Kräfte in der Sozialdemokratie, sie sollen die „zerbrochene Fensterscheibe“ wieder schnell reparieren, sonst weite sich dieses unschöne Ereignis unkontrolliert aus.
Linke SPÖ: Problem für Kapitalisten
Ein Jahr vor den planmäßigen Nationalratswahlen hat das Kapital keinen klaren Plan, wer das Land in Zukunft in seinem Sinne verwalten darf, daher diese scharfe Positionierung. Eine von liberalen Kräften dominierte SPÖ wäre eine sichere Regierungsoption, dies bewies die ehemalige SP-Vorsitzende Rendi-Wagner selbst in der „Opposition“. Aber die ehemalige Parteispitze manövrierte die Partei mit ihrer bedingungslosen Unterordnung unter bürgerliche Profit- und Stabilitätsinteressen in eine unkontrollierbare Krise. Die Krise des Kapitalismus zieht auch die Krise der traditionell größten Partei der Arbeiterklasse mit sich, wenn sie die Interessen der Arbeiterklasse nicht verteidigt. Obwohl sich alle Machtzentren (SPÖ Wien, Gewerkschaftsspitze) hinter die ehemalige liberale Parteispitze stellten, verlor Rendi-Wagner die Abstimmung zur Parteivorsitzenden.
Der linke Vorsitz-Kandidat Andreas Babler nützte die Gunst der Stunde, er löste eine Basisbewegung aus, die von tausenden neuen SP-Parteimitgliedern getragen wurde. Zum Vorsitzenden ließ er sich im Juni allerdings mit Hilfe der bestehenden Machtzentren machen, Mitbewerber Doskozil galt diesen als unkontrollierbar.
Babler: Preis des Kompromisses
Der politische Kompromiss mit alten Machtzentren, mit dem Babler Vorsitzender wurde, kommt mit einem politischen Preis. Sobald der Druck der Basisbewegung nachließ, platzierten die pro-bürgerlichen Teile der SPÖ ihre Wünsche, auch öffentlich und zunehmend selbstbewusster. Während Babler versucht, die Bundespartei mit nur einem kleinen Team um ihn herum als Oppositionskraft „der Vielen“ konsolidieren und auf den Pfad einer „Fortschrittskoalition ohne ÖVP“ zu führen, stutzen die SPÖ-Regionalfürsten das Programm und die Haltung Bablers ständig zurecht.
Andi Babler versucht bisher diese Gräben innerhalb der Sozialdemokratie wegzulächeln, zu übertünchen und klein zu reden. Aus der innerparteilichen Defensive, in der er heute steckt, kann er so nicht herauskommen. Dafür müsste er an seine Anhänger appellieren, den Klassenkampf innerhalb der SPÖ offensiv und gemeinsam, anstatt nur vereinzelt zu führen. Seine ursprüngliche Idee war es, den Sommer für einen Anstoß zu einer neuen politischen Ausrichtung und der Demokratisierung der Partei zu nützen und dies in einem Parteitag im November politisch abzusichern. Es scheint, als ob er diesen Ansatz nicht weiterverfolgt.
Die gegenläufige Dynamik manifestiert sich daher politisch: Kein dezidierter Ausschluss einer Koalition mit der ÖVP mehr, keine Neuausrichtung der Partei in der Asylfrage und Babler beharrt auch nicht mehr auf einer Mitgliederabstimmung zu Koalitionen (er verweist hier auf die Ergebnisse einer „Arbeitsgruppe“): Das sind die ersten greifbaren Zugeständnisse, die der Vorsitzende unter dem Druck der alten Kräfte in der Partei machte.
Die Arbeiterklasse und die Krise
Demgegenüber vertieft sich die Krise des Kapitalismus und dies erschwert das Leben der Arbeiterklasse bis hinein in die Mittelschichten. Gleichzeitig steigen die Profite der Konzerne und Banken enorm. Die ExponentInnen der linken Sozialdemokratie greifen das jetzt härter als zuvor politisch an: Benkos Spekulationsgewinne auf Kosten der Beschäftigten und Steuerzahler, die Zinsgewinne der Banken zuungunsten ihrer Kreditnehmer und Sparer, die Korruptionsermittlungen gegen ÖVPler, für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, …
Diese politischen Vorstöße bestechen dabei durch Flickwerk, um das Kapital möglichst nicht zu beleidigen: so will man etwa die Zinsbelastung für Kreditnehmer durch staatliche Zinssubventionen senken und die notwendigen Mittel dafür aus einer Bankenprofitabgabe finanzieren. Tatsächlich aber kann man etwas nicht kontrollieren, was einem nicht gehört. Der parasitäre Charakter der Banken und Konzerne ist ein bestimmendes Merkmal der Epoche, den man nicht weg-regulieren oder weg-subventionieren kann – man muss sie enteignen und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen führen.
So weit gehen die linken ExponentInnen der SPÖ nicht, weil sie keinen Kampf um den Sozialismus führen wollen. Aus ihrer Sicht gilt es, eine Wahlbewegung zu organisieren, um dann in Parlament und Regierung Teilreformen (womöglich) umzusetzen. Es wird sich zeigen, dass diese Strategie nicht ausreicht, weil die Krise der Arbeiterklasse so nicht gelöst werden kann. Wir brauchen eine kämpfende Partei der Arbeiterklasse, die einen umfassenden Kampf der Arbeiterklasse propagiert und anschiebt. In den Betrieben, auf der Straße und auf der Bühne des Parlaments. Konkret, wenn die SPÖ die Verstaatlichung von Benkos Sigma fordert, dann wird der Betriebsrat nicht darum herumkommen, die Geschäftsbücher und Lagerbestände zu sichern, um diese Option überhaupt erst möglich zu machen. Radikale Probleme verlangen radikale Lösungen. In der Klassenauseinandersetzung um die Teuerung, Einlassungen, die Arbeitszeitverkürzung, den Pflegenotstand etc. bieten die Initiativen Bablers und anderer linker ExponentInnen also bessere politische Ansatzpunkte als zuvor. Eine gesamthafte Trendumkehr in der Arbeiterbewegung braucht aber auch programmatische Klarheit. Dafür stehen wir.
(Funke Nr. 216/30.8.2023)