Die ÖVP bemüht sich seit Wochen um ein neues Image und gibt die Verteidigerin „der Normalen“, der Mehrheit der Bevölkerung. Damit zeigt sie aber nur, wie wenig Verständnis sie für die soziale Realität der „Normalen“ hat. Von Konstantin Korn.
Nach der Aussage von Johanna Mikl-Leitner, die ÖVP sei die Partei der „normal denkenden Menschen“, schaukelte sich über Wochen die Debatte hoch. Die Grünen warnten schon vor „präfaschistoidem“ Gedankengut, denn wo es „Normale“ gibt, ist angelegt, dass es auch „Abnormale“ geben müsse. Und Kanzler Nehammer und seine Jugendstaatssekretärin Plakolm, die eine Verkörperung der ganz normalen „Landidiotie“ (Marx) darstellt, erklärten auch, wer diese Minderheit sei, von der man sich nicht vorschreiben lassen wolle, ob am Sonntag ein billiges Schnitzel auf den Tisch kommt und ob man unter der Woche mit dem Auto auf dem Weg in die Hockn im Stau steht. Plakolm:
„Für mich sind die normalen Menschen nicht die, die fahnenschwenkend auf Demos lautstark ihre Meinung kundtun; auch nicht die, die sich mit Superkleber auf die Straße picken. Für mich sind es die, die tagtäglich in der Früh aufstehen, arbeiten gehen, Steuern zahlen, für ihre Familien sorgen und sich ehrenamtlich engagieren für Zusammenhalt in der Gesellschaft.“
Der Spin der ÖVP erinnert ein wenig an längst vergangene Zeiten, als Linke als „Berufsdemonstranten in ihren Turnschuhen und Jesus-Patscherln“ verunglimpft wurden, die als verkappte Kommunisten doch am besten alle nach Russland gehen mögen. Jahrzehntelang traf diese reaktionäre Propaganda der Springer-Presse in Deutschland oder der „Krone“ in Österreich genau die Stimmung der Bevölkerung. Nicht nur die Kleinbürger, sondern auch viele Hackler, die sich unter den Bedingungen des Nachkriegsbooms einen gewissen Wohlstand erarbeiteten und sich mit dem „Wohlfahrtsstaat“ identifizierten, teilten diese Meinung.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Für unsere Eltern und Großeltern gab es noch die Perspektive, sich mit Fleiß, Disziplin und „Funktionieren“ etwas aufzubauen. Durch die krisenhaften Entwicklungen der letzten 15 Jahre ist dieses Modell ständig erodiert. Wenn die ÖVP sagt, die Jungen müssen sich wieder Eigentum schaffen können, dann weiß jeder, dass dies nicht mit eigener Arbeit möglich ist. Ohne Erben geht gar nix. Und gleichzeitig akkumuliert eine kleine Minderheit von Superreichen Vermögen, wie sie für die Normalsterblichen unvorstellbar sind. Und in der Arbeitswelt nimmt der Drück überall ins Unermessliche zu, weil Spardruck und Profitmaximierung das A und O sind.
Diese Krise des Kapitalismus frisst sich tief in alle Sphären der Gesellschaft und findet ihren Ausdruck in einer politischen Instabilität, wie man sie jahrzehntelang in Österreich nicht mehr kannte. Die Parteien verlieren immer mehr an Unterstützung, den meisten Institutionen begegnen die Menschen mit Skepsis und Ablehnung. Bei den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen wird diese politische Krise der bürgerlichen Demokratie schlagend werden. Eine der größten Sorgen der weitblickenderen Bürgerlichen ist die drohende Schwierigkeit bei der Bildung einer neuen Bundesregierung. Schon jetzt zieht das Gerede von einer möglichen „Staatskrise“ die Runden.
Dass die ÖVP mit ihrer Selbstdarstellung als „Partei der normalen Mehrheit“ gesellschaftliche Unterstützung mobilisieren könnte, ist de facto ausgeschlossen. Dazu ist sie schon durch die Skandale der Vergangenheit zu sehr erschüttert und das anstehende Gerichtsverfahren gegen Sebastian Kurz könnte für weitere Enthüllungen sorgen. Und die Vertiefung der sozialen Krise wird immer größeren Schichten die Notwendigkeit einer politischen Wende vor Augen führen.
Die ÖVP warnt vor einer Radikalisierung der politischen Ränder, Stichwort „Klimakleber“ und Identitäre), der eine Masse braver, stillschweigender BürgerInnen gegenübersteht. Die zunehmende politische Radikalisierung hat aber längst größere Schichten erfasst. Man denke nur an die Mobilisierungsfähigkeit der Corona-Leugner während der Pandemie, die bis heute nachwirkt in den Wahlerfolgen und starken Umfrageergebnissen der FPÖ. Obwohl Teuerung und steigende Mieten mittlerweile die soziale Realität der Massen prägen, gelingt es Kickl mit seiner Rhetorik gegen „die Eliten“ sehr erfolgreich, diese Stimmung in politischen Rückenwind umzuwandeln. Aber mit Babler und der KPÖ sieht man auch auf der Linken endlich einen Ausdruck der wachsenden Systemkritik.
In den kommenden Monaten werden diese politischen Radikalisierungsprozesse weitergehen. Angesichts der hohen Inflation und der sozialen Lage sollten wir nicht überrascht sein, wenn sie auch in einer Welle von ökonomischen Klassenkämpfen einen Ausdruck findet. Wir erleben, wie sich eine neue Normalität herausbildet, in der immer mehr Menschen die Appelle an den „Zusammenhalt“ und die Verteidigung der alten Normalität als Widerspruch zu ihrer Lebensrealität und zu ihrem Wunsch nach einem besseren Leben sehen werden. Dann können sich Nehammer, Van der Bellen, Kickl und alle, die den Status quo verteidigen, warm anziehen! Denn das sind die Verhältnisse, unter denen kommunistische Ideen wieder eine Massenkraft werden können.
(Funke Nr. 216/30.8.2023)