Die Landtagswahlen in Niederösterreich brachten, wie nicht anders zu erwarten war, eine desaströse Niederlage der SPÖ. Das „System Pröll“ profitiert vom katastrophalen Zustand der Sozialdemokratie und erscheint so gefestigt wie noch nie. Die FPÖ kann sich einmal mehr bei der SP-Spitze dafür bedanken, dass sie zu neuem Leben erwachen durfte. Diese Wahl war eine deutliche Absage an den bisherigen Kurs der Sozialdemokratie in NÖ und vor allem in der Bundesregierung.

Der strahlende Sieger dieser Wahlen heißt Erwin Pröll. Was Pröll hervorragend gelingt, ist die Bedienung der schwarzen Klientel. Was er glaubhaft zu vermitteln vermag, ist, dass er die Verteidigung gesellschaftlicher Strukturen, die durch den ständigen Wandel der kapitalistischen Gesellschaft bedroht werden, ernst nimmt. Dies erklärt seine Mobilisierungsfähigkeit.

Während das konservative Lager einen perfekten Repräsentanten an seiner Spitze weiß und mit dementsprechendem Selbstbewusstsein an die Sache geht, liegt die Sozialdemokratie am Boden. Die niederösterreichische SPÖ, in der über Jahrzehnte die Parteirechte das Sagen hat, begnügt sich traditionell mit ihrer Rolle am Rockzipfel der ÖVP-Macht. Heidemaria Onodi, einst von Alfred Gusenbauer eingesetzt, verkörperte diesen Kuschelkurs wie keine andere. Selbst im Wahlkampf gab sie sich zu allererst als konstruktive Partnerin der ÖVP. Unter normalen Umständen hätte sie damit wohl ein ähnlich durchschnittliches Ergebnis wie bei den letzten Landtagswahlen eingefahren. Aber diese Wahlen waren vor allem ein Stimmungstest für die Arbeit der SPÖ in der Bundesregierung. Und da sprechen die nackten Zahlen mehr als deutlich. Obwohl die Wahlbeteiligung gestiegen ist, hat die SPÖ mehr als 50.000 WählerInnen verloren. In de facto allen roten Hochburgen verliert die Sozialdemokratie deutlich mehr als im Landesschnitt (-7,9 Prozent). In Städten wie St. Pölten, Wr. Neustadt, Traiskirchen, Amstetten, Neunkirchen usw. waren die Verluste allesamt zweistellig. Etliche größere Städte mit rotem Bürgermeister und einer langen SPÖ-Tradition sahen an diesem Sonntag plötzlich eine schwarze Mehrheit. Die SPÖ wurde nach den Gemeinderatswahlen in Graz einmal mehr auf die Treuesten der Getreuen reduziert.

Was war das sonst als ein Abstrafen der politischen Linie der Parteiführung – und zwar im Land und im Bund? Angesichts der Politik der Bundesregierung und den permanenten Umfallern ist es kein Wunder, dass viele rote WählerInnen sich nicht zu den Urnen bewegen ließen. Es gibt wichtigeres zu tun, als jemand die Stimme zu geben, der einem die letzten 12 Monate hindurch auf den Schädel geschissen hat.

Wer von dieser massiven Mobilisierungsschwäche der Sozialdemokratie begünstigt wurde, war die FPÖ. Eigentlich wäre die FPÖ schon längst Geschichte. In Niederösterreich verblieb nach der Todeskrise der Freiheitlichen nach der Abspaltung von Haiders BZÖ an der Spitze mit Barbara Rosenkranz ein besonders ekelhaftes Exemplar blau-brauner Reaktion. Rosenkranz ist die fleischgewordene Inkarnation des deutschen Mutterideals und hat auch sonst ein offen zur Schau gestelltes Naheverhältnis nach Rechtsaußen. Mit ihrem reaktionären und rassistischen Populismus hat sie es geschafft dem Unmut rückständiger Schichten eine Stimme zu geben. Jede/r zweite FPÖ-WählerIn wählte aus Protest gegen die Bundesregierung die Blauen. Wenn die ArbeiterInnenbewegung nur halbwegs einen eigenen Standpunkt präsentieren und offensiv die Interessen der Lohnabhängigen vertreten würde und sich nicht andauernd vor den Karren der ÖVP spannen hätte lassen, dann hätte sich die FPÖ nie und nimmer wieder aufrichten können. Aber die Politik von Gusenbauer & Co. bereitet der FPÖ von Strache und Rosenkranz neuerlich den Boden auf. Dies allein ist schon Argument genug, warum es in der Sozialdemokratie einen linken Kurswechsel benötigt.

Was bedeuten diese Wahlen für die Große Koalition?

In den letzten beiden Wochen hat Alfred Gusenbauer unter dem Druck aus den eigenen Reihen gegenüber der ÖVP einen härteren Kurs eingeschlagen. Wie wir bereits in einem anderen Artikel erklärt haben, ist die Große Koalition am Ende. Die Bundesparteiführungen beider Regierungsparteien sagen zwar ständig, dass SIE keine Neuwahlen wollten. Aber die Regierung ist gegenwärtig handlungsunfähig. Die Regierungsparteien erinnern an zwei Radfahrer in einem Steherrennen, die sich belauern, Zentimeter um Zentimeter um eine möglichst gute Ausgangsposition taktieren, nur um zum richtigen Zeitpunkt loszusprinten und den Sieg nach Hause zu tragen. Es wäre fatal zu meinen, dass die beiden selbst in diesem Momenten des Stillstandes und des Belauerns nicht zu allererst an den eigenen Sieg denken. Und wen jemand von diesem Denken beseelt ist, dann ist es die ÖVP, die – und dies wurde in den letzten beiden Wochen mehr als augenscheinlich – von Wolfgang Schüssel geführt wird.

Mit diesem Wahlsieg in Niederösterreich hat die ÖVP jetzt wieder das Heft in der Hand. Unter den ÖVP-Funktionären herrscht jetzt die Stimmung vor: „Zeigen wir es der roten brut auch auf Bundesebene!“ Molterers Spruch beim Wahlkampfende in NÖ, man müsse den Fehler korrigieren, dass der Regierung ein roter Kanzler vorsteht, brachte die Stimmung in der ÖVP-Basis voll auf den Punkt. Ihre Aufforderungen an Gusenbauer zur konstruktiven Regierungsarbeit und zur Rückkehr zum Regierungsübereinkommen, dieser Fortsetzung der schwarz-blau-orangen Regierungsprogramme, sind natürlich nichts als eine Verhöhnung. Die ÖVP-Spitze weiß, dass Gusenbauer zu diesem Kurs nicht mehr zurück kann. Bürgerliche Kommentatoren schreiben, dass sich der Kanzler in der „Doppelmühle“ befindet. Ein beharren auf der Steuerreform 2009 bedeutet das (von der SPÖ „verschuldete“) Ende der Koalition und somit das rasche Ende seiner Kanzlerschaft. Eine Rückkehr zur Zusammenarbeit mit der ÖVP wäre der nächste Umfaller, der ihm das Genick brechen würde, weil er dann dem Druck seitens der FSG und der Landesparteien nicht mehr standhalten könnte.

Für Gusenbauer gibt es in Wirklichkeit kein Zurück mehr. Außer er gibt sich selbst auf. Das wird er nicht tun, es wäre aber an der Zeit, dass die Parteibasis ihn aufgibt. Gusenbauers Bilanz könnte erschreckender nicht sein. 1 Jahr lang machte er die Politik der ÖVP. Im niederösterreichischen Wahlkampf spielte er Vogel Strauß, nach der Wahlschlappe taucht er ebenfalls unter, in Donawitz zeigte er, was er von seiner eigenen Partei hält und bezeichnete innerparteiliche Diskussion als „das gewöhnliche Gesudere“. Doch diese Diskussion braucht es jetzt. Eine Rückkehr zur normalen Tagesordnung darf es nach den letzten beiden Wahlniederlagen in Graz und Niederösterreich nicht geben. Sie sind warnende Zeichen, dass Schüssels Taktik aufgeht, die Sozialdemokratie in der Großen Koalition tödlich zu umarmen.

Mit den Worten des SPÖ-Parteivorsitzenden von Wr. Neustadt Bernhard Müller: „Jetzt muss es eine tabulose Diskussion geben – und zwar über Themen und handelnde Personen.“ Mit dem Thema Steuerreform 2009 ist der Konflikt prinzipiell auf der richtigen Ebene. Es geht um die Verteilungsfrage und welche Klasse welchen Anteil vom gesellschaftlichen Reichtum erhält. Dieser Kampf kann aber nicht nur mittels der Auseinandersetzung der Parteisekretariate über die Medien oder in Form von Steuerexpertenkommissionen geführt werden. Eine zentrale Rolle wird in diesem Kampf der Gewerkschaft zufallen. Sie war bislang und in der Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft die wichtigste Stütze von Gusenbauers Regierungskurs. Die Gewerkschaften müssen jetzt in die Offensive gehen. In den Betrieben muss eine Kampagne gestartet werden über die Fragen der Teuerungswelle, der Notwendigkeit einer Steuerreform, einer Sicherung des Gesundheitssystems usw. Jetzt muss die ArbeiterInnenbewegung mobilisiert werden – in den Betrieben und auf der Straße. Die ÖVP muss zu spüren bekommen, dass wir es mit unseren Forderungen nach Absicherung unseres Lebensstandards ernst nehmen.

In der SPÖ geht es jetzt um eine Richtungsentscheidung. Der Ruf nach einem Neustart und einem Kurswechsel wird immer lauter. Was es jetzt braucht, sind Foren, in denen die Diskussion über die Zukunft der Sozialdemokratie offen geführt werden kann. Als MarxistInnen werden wir mit folgenden Punkten in diese Diskussion gehen: Mit der ÖVP kann keine soziale Politik im Interesse der Lohnabhängigen gemacht werden. Wir haben das von Anfang gesagt. Die Rederei der Parteiführung, in der Regierung werde man schon beweisen, dass die Umfaller bei der Regierungsbildung korrigiert werden könnten, haben sich als völlig daneben erwiesen. Deshalb raus aus der Großen Koalition!
Viele in der Sozialdemokratie befürchten natürlich eine herbe Schlappe bei Neuwahlen. Das Wahlergebnis in Niederösterreich bestärkt diese Befürchtungen natürlich. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Was es aber zu verstehen gilt: viele Menschen sind jetzt in einer abwartenden Haltung, sie sehnen sich nach einer sozialen Wende, sind aber vom Gusenbauer-Kurs bitter enttäuscht. Deshalb gilt es diesen Kurs zu verlassen.
Voraussetzung für einen solchen Kurswechsel ist, dass sich in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften eine starke Linke formiert, welche die ArbeiterInnenbewegung aus der Geiselhaft von Alfred Gusenbauer und seiner Clique befreit.
Rund um soziale Themen (Umverteilung, Gesundheit,…) muss die ArbeiterInnenbewegung wieder in die Offensive gehen. Dazu braucht es unabhängige Gesetzesinitiativen im Parlament gepaart mit gewerkschaftlichen Mobilisierungen in den Betrieben und auf der Straße. Diese würde die politische Stimmung im Land binnen kürzester Zeit zum Drehen bringen.


Vor den Wahlen haben wir folgenden Artikel veröffentlicht:
Linke SozialistInnen und die Wahlen in Niederösterreich"


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