Lehrermangel, Überlastung, Leistungsdruck und veraltete Pädagogik: Das Bildungssystem gleicht auch nach der Corona-Pandemie einem Scherbenhaufen. Martin Halder über die Ursachen der langanhaltenden Bildungskrise in Österreich.

Bildung im Kapitalismus war immer schon eine Klassenfrage. Gerade in Österreich wird durch die frühe Trennung in Mittelschule und Gymnasium der zukünftige Bildungs- und Lebensweg der meisten Kinder bereits im 11. Lebensjahr festgelegt. In kaum einem anderen europäischen Land wird Bildung so stark durch Vermögen und Bildungsstand der Eltern „vererbt“. Lediglich 4% der Kinder mit Eltern, die einen Pflichtschulabschluss haben, schaffen einen Universitätsabschluss, während 57% der Akademikerkinder selbst AkademikerInnen werden.

Es war nie das Ziel der Bürgerlichen, eine hochwertige Bildung für alle zu gewährleisten. Doch der Krisenkapitalismus ist unfähig, auch nur das Mindestmaß einer öffentlichen Allgemeinbildung aufrechtzuerhalten.

System am Anschlag

Das Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert. In Wirklichkeit bräuchte es mehr Personal und Ressourcen, allein um den Normalbetrieb der Schule zu gewährleisten. Doch die öffentlichen Bildungsausgaben (2022: 21,3 Mrd. €) stagnieren im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (4,8%) seit Jahren.

Das Einzige, was die Bürgerlichen im Bildungssystem erhöhen, ist der Arbeitsdruck. Mit dem neuen Lehrerdienstrecht, das seit 2019/20 für alle Neuanstellungen gilt, wurde die Lehrverpflichtung auf 22 Wochenstunden angehoben. Zusätzlich mit Vor- und Nachbereitungsstunden, Korrekturarbeiten und anderen schulischen Verpflichtungen kommen Lehrkräfte in der Regel auf deutlich mehr als 40 Stunden.

Die höheren Einstiegsgehälter bei den neuen Verträgen zahlt man sich mit der höheren Arbeitszeit in Wirklichkeit selbst.

Dazu kommt die Belastung durch immer mehr Überstunden (2021/22: 6,1 Mio. Stunden, +13% zum Vorjahr), und der seit der Zentralmatura ausufernden Verwaltungsaufwand. Während 2015 noch 45% der LehrerInnen mit den Arbeitsbedingungen zufrieden waren, ist es heute nur noch ein Drittel.

Die Antwort der Regierung auf die anrollende Pensionierungswelle (2030: 30% des Personals) ist die Verschlechterung des Unterrichts. Inzwischen unterrichten 10% des Lehrpersonals ohne abgeschlossene Ausbildung. Die Freizeitpädagogen sollen als schlecht bezahlte Hilfslehrer eingesetzt werden. Pädagogik wird durch Betreuung ersetzt.

Leistungsdruck und Spaltung

Die Bürgerlichen halten mit aller Kraft an der sozialen Aussiebung des Schulsystems fest. Der Bildungsweg der Kinder wird durch die repressive Politik der letzten Jahre bestimmt: Bußgelder und Schulverweis für Schwänzer, Wiedereinführung der Ziffernoten in der Volksschule und der Leistungsgruppen in der Mittelschule („Standard“ und „Standard-AHS“) sowie Leistungsprüfungen („Talent-Checks“).

Mit Disziplinierung und Separation sollen die SchülerInnen schon früh auf den Leistungsdruck am Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Dazu passt auch die aktuelle Debatte über verschärfte Kleiderverordnungen an Schulen, mit der in persönlichste Entscheidungen von Jugendlichen eingegriffen wird: Eine Schule in Stockerau (NÖ) hat kürzlich „freizügige“ Kleidung verboten. Der Vorsitzende des Elternvereins für Pflichtschulen dazu: „Im Berufsleben kann man auch nicht bauchfrei oder in kurzen Hosen in der Bank arbeiten. Kinder und Jugendliche müssen das lernen.“ In einer katholischen Privatschule in Klagenfurt, in der ähnliche Vorschriften gelten, wurde, nachdem eine Mutter gegen die Verordnung protestierte, ihre Tochter von der Schule geschmissen.

Raus mit dem Profit aus der Bildung

Geld für die Wirtschaft findet sich hingegen üppig und schnell. 2020 wurde fast genau so viel für den gesamten Bildungssektor ausgegeben wie im Folgejahr für Unternehmenshilfen und Kurzarbeit.

Das öffentliche Schulsystem wurde kaputtgespart, was zum Anwachsen des privaten Sektors führt. Österreichweit besuchen inzwischen 10% (vor 20 Jahren: 7,7%) und in Wien sogar fast 18% der Schüler eine Privatschule. Der größte private Träger, die katholische Kirche, unterhält 290 Schulen und bekommt die Finanzierung der Lehrkräfte vom Staat gestellt.

Familien müssen immer mehr zu privater Nachhilfe greifen – die Kapitalisten lassen sich diese Chance natürlich nicht entgehen. So wird der österreichische Online-Nachhilfeanbieter „Go Student“ mit 2-3 Milliarden Euro bewertet. Anfang Jahr kündigte das Unternehmen die Hälfte seiner Mitarbeiter. Firmengründer Felix Ohswald dazu: „hin zu mehr Profitabilität.“ Das ist die Zukunft der Bildung im Kapitalismus.

Wir stehen für eine Bildung frei von Profit- und Wirtschaftsinteressen. Für eine voll ausfinanzierte und öffentliche Gesamtschule, die Schüler und Lehrer tatsächlich demokratisch gestalten und die sich im Einklang mit den bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte befindet. Kein Cent für Konzerne und Privatschulen. Für ein vollständig öffentliches und qualitativ hochwertiges Bildungssystem.

(Funke Nr. 217/26.9.2023)


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