Neo-Parteichef Faymann und Noch-Kanzler Gusenbauer haben in einem Brief an Krone-Herausgeber Dichand angekündigt, dass die SPÖ künftig für ein Volksabstimmung eintreten werde, wenn ein abgeänderter EU-Reformvertrag von Österreich ratifiziert werden müsste.

Die Sozialdemokratie begreift sich seit den Geburtsstunden der Zweiten Republik als staatstragende Partei. Kein größeres bürgerliches Projekt konnte demzufolge auch ohne ihre mehr oder weniger aktive Unterstützung umgesetzt werden. Der letzte große Wurf in diesem Sinne war der EU-Beitritt Österreichs im Jahre 1995. Die Volksabstimmung, die diesem Beitritt voranging, war ein Paradebeispiel für die Problemlösungskompetenz der Großen Koalition angesichts großer politischer Fragen. Dass dieses Referendum damals derart eindeutig für einen EU-Beitritt ausgegangen war, lag nicht zuletzt an der Rolle der SPÖ- (und der ÖGB-)Führung, die sich uneingeschränkt hinter dieses zentrale Projekt des österreichischen Kapitals stellten. Damals schien es keine Parteien sondern nur noch ÖsterrreicherInnen zu geben. Der Autor dieser Zeilen kann sich noch mit Schrecken an einen Landesparteitag der SPÖ NÖ erinnern, wo der Saal mit rot-weiß-roten Fahnen "beschmückt" war und lauthals und gedankenlos die Bundeshymne gesungen wurde.

Seither herrschte bei allen sonstigen politischen Unstimmigkeiten zwischen ÖVP und SPÖ in der Frage der "Europäischen Integration" völlige Eintracht. Es gehört seither zum Standardrepertoire sozialdemokratischer SpitzenpolitikerInnen, die EU als "größtes Friedensprojekt in der Geschichte Europas" zu bezeichnen, hinter das es kein Zurück mehr geben dürfe. Natürlich schmerzt, dass die EU (noch) keine Sozialunion sei und das EU-Parlament (noch) nicht so einflussreich sei, wie es die Sozialdemokratie gerne hätte. Aber das wird schon werden...

Gusenbauer & Co. waren also bisher standfeste "EuropäerInnen" und taten sich voller Inbrunst dann hervor, wenn es darum ging, die Linie der EU schön zu reden. Der Forderung nach einer Volksabstimmung über die Ratifizierung der EU-Verfassung, die nach ihrem Scheitern bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden in leicht veränderter Form als EU-Reformvertrag noch einmal serviert wurde, wurde konsequenterweise von Gusi strikt abgelehnt. Erst vor kurzem noch, als in Irland auch der EU-Reformvertrag von einer klaren Mehrheit abgelehnt wurde, meinte der Noch-Kanzler die dortige Volksabstimmung müsse noch einmal wiederholt werden - bis halt das passende Ergebnisse heraus käme.

Für die Bürgerlichen war klar: die Sozialdemokratie ist aufgrund ihrer Verbindung zu bzw. relativen Abhängigkeit von den Gewerkschaften prinzipiell nicht der ideale Partner, aber immerhin stehen sie in der Frage des gegenwärtig wohl bedeutendsten strategischen Projekts des österreichischen Kapitals auf der richtigen Seite. In dieser Frage war sie bis vor kurzem ein weit verlässlicherer Partner als die FPÖ mit ihrem zur Schau gestellten "Österreich zuerst"-Populismus.

Und plötzlich dieser Kurswechsel, der perspektivisch von großer Bedeutung sein dürfte. Die Aufregung über den schlecht gemachten Populismus von Faymann, der wohl als geistiger Vater dieser Wende gesehen werden kann, und seinen Anbiederungsversuch an die Kronen-Zeitung geht jedenfalls völlig am Kern der Sache vorbei. Viel wichtiger sind die Reaktionen der ÖVP-Spitze, die sich ehrlich schockiert zeigt. Die Betroffenheit aller ÖVP-Granden in dieser Frage spricht Bände. Sie reden von "Tabubruch" und "Katastrophe".

Die sozialdemokratische Basis war wohl nie von einer ausgeprägten EUphorie gekennzeichnet. Die sich auch in Österreich verschärfende soziale Frage wurde immer in Zusammenhang mit EU-Beitritt und Globalisierung gesehen. Die allgemeine EU-Skepsis, die in Österreich vorherrscht, ist in Wirklichkeit aber nur ein Ausdruck für die allgemeine Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik. Man kann verwundert den Kopf schütteln, dass die Menschen nicht die tatsächlichen Mechanismen hinter der wachsenden sozialen Kluft, der steigenden Armut, den zusehends unsicheren Lebensperspektiven usw. erkennen und dafür alle Schuld auf "die EU" projizieren, aber wer dies tut, versteht den eigentlichen Kern dieser EU-kritischen Stimmung nicht, die in Wirklichkeit Ausdruck der molekularen Prozesse des Klassenkampfes ist. In größerem Maße hat sich diese Kritik an der EU als einem "Europa des Kapitals" nie manifestieren können, weil SPÖ- und ÖGB-Spitze brav gemauert haben und den Schein des nationalen Schulterschlusses aufrecht erhalten haben. Gerade seit der Neuauflage von Großer Koalition und Sozialpartnerschaft ist dies Wasser auf die Mühlen der FPÖ, die mit ihren Anti-EU-Kampagnen punkten kann.

Wenn die SPÖ-Spitze nun eine Volksabstimmung über einen künftigen EU-Reformvertrag ankündigt, dann bedeutet das, dass sie einen Kanal öffnet, wo sich der weit verbreitete Unmut in ihren eigenen Reihen ausdrücken wird können. Da können Gusi und Faymann noch so oft beteuern, dass sie selbst natürlich auf Pro-EU-Kurs bleiben und mit dieser Forderung nach einer Volksabstimmung nur "das Vertrauen in dieses große Einigungswerk wieder herstellen wollen". In der Praxis wird die Sozialdemokratie dann vor einem unlösbaren Widerspruch stehen: Einerseits wird das Kapital von der SPÖ-Führung ein uneingeschränktes Ja zur EU einfordern, andererseits wird die sozialdemokratische Basis Druck auf die eigene Parteispitze ausüben, endlich für ein "Europa der ArbeiterInnen" einzutreten und die Interessen der Lohnabhängigen in den Mittelpunkt zu rücken. Dieser Spagat wird für Faymann & Co noch ein schmerzhafter werden, was uns aber nicht weiters stören soll. Wichtig ist, dass damit perspektivisch in einem zentralen Politikbereich die Differenzierungsprozesse zwischen sozialdemokratischer Führung und Basis sich zuspitzen werden, und dies wiederum wird den Antagonismus zwischen der Sozialdemokratie und den Bürgerlichen weiter verschärfen. Die Sozialdemokratie hat sich mit diesem Schritt aus Sicht der ÖVP und des österreichischen Kapitals mehr als durch alles Bisherige als nicht regierungsfähig erwiesen. Insofern markiert dieser Schwenk ein wichtiges Element im Entfremdungsprozeß zwischen Sozialdemokratie und der herrschenden Klasse bzw. ihren wichtigsten politischen Repräsentanten.

Was auch immer die vordergründigen, taktischen Überlegungen der SPÖ-Spitze waren, unsere Aufgabe muss es sein, die wahre Bedeutung dieses Kurswechsels zu erkennen. In Zukunft werden linke SozialistInnen in der ArbeiterInnenbewegung einen fruchtbaren Boden für ihre Kritik am "Europa des Kapitals" vorfinden. Auf die künftigen Auseinandersetzungen in der Europapolitik gilt es sich vorzubereiten.

Gernot Trausmuth


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