Die kommenden Nationalratswahlen sind von großer Bedeutung. Der 28. September könnte die Weichen für eine politische Richtungsentscheidung bringen. Die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen sind in diesem Wahlkampf so aktiv wie schon lange nicht.
Rückblick
Kurz nach dem BAWAG-Skandal versuchte die SPÖ-Führung unter Gusenbauer die für sie lästige Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) zurückzudrängen. Spätestens seitdem der damalige FSG-Vorsitzende und mächtige Metaller-Chef Nürnberger im Jahr 2000 die Unterschrift unter dem Koalitionsabkommen mit der ÖVP verweigert hatte, war die FSG für die Bürgerlichen ein rotes Tuch. Solange die FSG in der SPÖ so viel mitzureden hat, sei die Sozialdemokratie nicht wirklich regierungstauglich. Der sozialdemokratisch geführte ÖGB zeichnet sich zwar seit Jahrzehnten durch eine „verantwortungsvolle“ Lohnpolitik aus und stellt die Standortlogik der Bürgerlichen nicht in Frage, trotzdem ist er in gewissem Maße ein politischer Instabilitätsfaktor. Das hängt sogar in gewissem Maße mit seiner sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung auf der betrieblichen Ebene zusammen. Um die eigene Basis ruhig zu halten, muss der ÖGB zumindest auf der politischen Ebene Forderungen erheben, um die sozialen Interessen der Lohnabhängigen zu verteidigen. Selbst dieser Ruf nach einer staatlichen Sozialpolitik und mehr sozialem Ausgleich ist heutzutage für die Bürgerlichen schon nicht mehr akzeptabel.
Gusenbauer nutzte also die ÖGB-Krise und verbannte SpitzengewerkschafterInnen aus dem SPÖ-Parlamentsklub. Dies war eine Art Vorleistung für eine künftige Große Koalition mit der ÖVP. Der politische Ausverkauf unter Kanzler Gusenbauer hat in den Reihen der FSG großen Unmut hervorgerufen. Zwar war die Gewerkschaftsspitze relativ zufriedengestellt, weil sie an der „Sozialpartnerschaft Neu“ partizipieren durfte. Das war aber zu wenig um den Unmut unter BetriebsrätInnen und BasisfunktionärInnen zu befrieden.
Wiedervereinigung der Siamesischen Zwillinge?
Mit dem Wechsel an der Spitze der SPÖ zu Werner Faymann scheint plötzlich wieder die Einheit von Partei und Gewerkschaft hergestellt. Seit Jahren hat die SPÖ-Spitze nicht mehr so sehr die Bedeutung der Gewerkschaft ins Zentrum ihrer Propaganda gerückt. SpitzengewerkschafterInnen sind in den SPÖ-Kandidatenlisten ganz oben zu finden. Die FSG organisiert eine Wahlkampfaktion nach der anderen für Faymann. Die FSG-Forderung nach einem Maßnahmenpakt gegen die Teuerung ist mittlerweile das Rückgrat von Faymanns Wahlkampflinie. Also alles paletti?
Auf den ersten Blick schon. Bei genauerem Hinsehen sieht die Sache jedoch anders aus. Bei den bisherigen Wahlkampfveranstaltungen der FSG mit Faymann zeigt sich ein viel differenzierteres Bild als die Parteispitze zu vermitteln versucht. Bei der FSG-Konferenz für Wien, NÖ und Burgenland in Schwechat dominierte unter vielen TeilnehmerInnen im Publikum vor allem eine große Portion Skepsis darüber wie ernst es Faymann mit seinem Kurswechsel meint. Man begrüßt, dass die SPÖ wieder auf die Gewerkschaft setzt, aber hinter der Hand wird Faymann schon die Rute ins Fenster gestellt. Sollte er auch „umfallen“, dann würde es ein rasches Begräbnis geben, war von mehreren GewerkschafterInnen zu hören. Jedenfalls werde man weiter Druck machen, dass die FSG-Positionen zur Position der Partei werden.
Einhelliger Tenor im Publikum war „Keine Koalition mehr mit den Schwarzen“. Eine SPÖ-Minderheitsregierung sehen viele BetriebsrätInnen als einzige Möglichkeit eine arbeitnehmerfreundliche Politik umzusetzen. Nur als Faymann sagte, dass es nie wieder sein darf, dass SPÖ-Abgeordnete gegen ihre Überzeugung stimmen müssen, gab es starken Applaus. Sonst war die Begeisterung eher enden wollend. Trotzdem war spürbar, dass die GewerkschafterInnen ein neues Selbstbewusstsein getankt haben und sich nicht mehr verstecken wollen.
Früher oder später wird sich diese nach außen zur Schau gestellte Einheit in einem heftigen Konflikt auflösen müssen. Faymann & Co. werden sich ab einem gewissen Zeitpunkt wieder staatstragend geben, sonst werden sie auf Jahre von den Bürgerlichen auf die Oppositionsbank verdammt. Einen neuerlichen Rechtsruck der Parteispitze wird die FSG kaum mittragen können. Dazu wird der Druck aus den eigenen Reihen zu groß sein. Die Weichen sind gestellt für wichtige Differenzierungsprozesse in der Sozialdemokratie. Auf alle Fälle kann dann ausgegangen werden, dass in der kommenden Periode in den Reihen der FSG bedeutende Teile nach einer politischen Alternative Ausschau halten werden. Der Wunsch nach einem linken Kurswechsel ist offensichtlich. Dieser Wunsch wird früher oder später zu einer materiellen Kraft werden.
Es ist die Aufgabe von Linken dann am richtigen Ort zu sein. Die Basis für die Herausbildung eines starken linken Flügels in der ArbeiterInnenbewegung muss heute gelegt werden. Eine kleine Minderheit von BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen ist dafür bereits heute offen und will ein solches Projekt aktiv unterstützen.
Wer jetzt der FSG den Rücken kehrt, der fällt denen in den Rücken, die für einen linken Kurswechsel in der ArbeiterInnenbewegung eintreten. Es ist mehr als nachvollziehbar, dass viele engagierte, kritische und kämpferische KollegInnen von der SPÖ-Spitze (aber auch von der Gewerkschaftsführung) enttäuscht sind. Die Frage ist aber, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Einige wenige aus der FSG haben sich in den letzten Wochen dazu entschieden einen vermeintlichen politischen Abstecher zu gehen, weil ihnen der Weg des Kampfes in der Sozialdemokratie für einen kämpferischen, einen linken Kurs zu steinig erschienen ist.
Der „Fall Kotschnig“
Für besonderes Aufsehen hat in diesem Zusammenhang der Kollege Klaus Kotschnig aus Kärnten gesorgt. Kotschnig ist Betriebsvorsitzender einer großen Leiharbeitsfirma und Vorsitzender des Branchenausschusses der ZeitarbeiterInnen in der GMTN. Er sorgte mit seinen Bestrebungen für eine wirkliche Demokratisierung des ÖGB in den letzten Jahren für einiges an Furore. In diesem Punkt gab es in den letzten Monaten auch unsererseits Formen der Zusammenarbeit. Nachdem er sich aufgrund des sektiererischen Auftretens von Teilen des neuen „Linksprojekts“, für das er ursprünglich kandidieren wollte, abgestoßen fühlte, nahm er nun ein Angebot von Jörg Haider an, für das BZÖ ins Rennen zu gehen.
In Diskussionen und mittels Brief haben wir Kollegen Kotschnig versucht zu überzeugen, dass dieser Schritt, dieser Wechsel zum BZÖ ein fataler Fehler wäre. Diese Argumente haben leider nicht gefruchtet.
Wir wollen hier einige Auszüge aus dem Brief an Kollegen Kotschnig veröffentlichen: „Mit diesem Entschluss wechselst Du die Seite der Barrikade. Zu glauben, das BZÖ könne für eine konsequente Politik im Interesse der ArbeiterInnen genutzt werden, ist eine gefährliche Illusion. Was jetzt als süße Versuchung erscheint, wird sich bald schon als eine bittere Pille herausstellen. Was ist das BZÖ? Es ist jener Teil des Dritten Lagers, der unbedingt mit der ÖVP weiter den Feldzug des Bürgerblocks gegen die ArbeiterInnenbewegung führen wollte. Das BZÖ hat sich abgespalten von der FPÖ, weil es eine betont bürgerliche Politik machen wollte ohne den ganzen Populismus, den es brauchte um in den 1990ern Wählerstimmen aus der Arbeiterschaft zu mobilisieren. Es waren die Kräfte, die ‚vernünftig’ sein wollten und mit der ÖVP das Projekt Bürgerblockregierung fortsetzen wollten. Dass das BZÖ diesen Kurs wieder aufgeben musste, war nur der Erfolglosigkeit dieses Kurses geschuldet. Das BZÖ wäre heute mausetot, wenn es nicht zum Populismus zurückgekehrt wäre. Das wahre Ziel, das Haider aber verfolgt ist eine Rückkehr des Bürgerblocks, wie wir ihn 2000-2006 hatten. Dazu muss er möglichst stark werden, und das geht nur über populistische Sprüche gegen die Teuerung usw. Aber am Tag nach der Wahl wird sich Haider anbieten eine Koalition mit der ÖVP (und wahrscheinlich einer dritten bürgerlichen Partei) zu bilden. Und dann wird von seinen Forderungen nicht mehr viel übrig bleiben.
Welche Rolle wird dann ein möglicher BZÖ-Abgeordneter Klaus Kotschnig spielen? Der Druck wird dann enorm werden, dass Du da mitspielst. Du kannst es Dir dann aussuchen: In die Knie gehen vor den Sachzwängen einer solchen Koalition oder aufmucken und politisch fertig gemacht werden. Selbst wenn Du standhaft bleiben solltest, was nicht so einfach ist, wirst Du Deinen Ruf, den Du Dir erarbeitet hast, längst verspielt haben. Mit dem Wechsel zum BZÖ werden Dich die meisten Betriebsräte und GewerkschafterInnen nämlich als egoistischen Abenteurer sehen. Diese KollegInnen, die wir in der nächsten Periode, die politisch sehr turbulent werden wird, für unsere gemeinsamen Anliegen gewinnen könnten, werden Dich als jemand sehen, der auf die andere Seite der Barrikade gewechselt ist. Du wirst all den Boden, den Du mit Deinen Initiativen gutgemacht hast, wieder einbüßen und somit all jenen Schaden zufügen, die bereit waren und sind Dein Projekt zu unterstützen bzw. die einen ähnlichen Weg gehen. Damit spielst Du in Wirklichkeit nur jenen in die Hände, die in der SPÖ- und in der ÖGB-Spitze gegen Deinen Reformvorschlag mauern und denen Deine konkrete Arbeit ein Dorn im Auge ist.
Das BZÖ ist eine Partei, die für uns nichts über hat und unsere Bewegung möglichst schwächen will. Haider ist (und das hat er mehrfach bewiesen) alles andere als ein Freund der Gewerkschaften, was nicht heißt, dass er sich nicht gern einen übergelaufenen FSG-Betriebsrat halten würde, um damit ein Wahlkampfzuckerl zu haben. Wenn Du diesem Schmäh auf den Leim gehst, dann wäre dies extrem schade, weil es den Bemühungen im Kampf um eine demokratische und kämpferische Gewerkschaft enorm schaden würde, jedenfalls bei weitem mehr als Du durch ein Nationalratsmandat an zusätzlichem Wirkungskreis und an Öffentlichkeit erhalten würdest.
Wir können Deine Enttäuschung bezüglich der Sozialdemokratie schon nachvollziehen. Aber deshalb blind zu werden und die Realität nicht mehr erkennen zu können, ist nicht zu entschuldigen. Du stehst vor einer schwerwiegenden Entscheidung und solltest Dir im Klaren sein, dass Du mit einem Wechsel zum BZÖ viele KollegInnen in Stich lässt, die das gleiche wollen wie Du, ja dass Du Dich damit offen gegen sie stellst.“
Wir lehnen aus all diesen Gründen die Kandidatur auf der Liste des BZÖ entschieden ab.
Was tun?
Bei allem Unmut über den bisherigen Kurs der Sozialdemokratie muss aber klar sein, dass die überwältigende Mehrheit der GewerkschafterInnen weiter in der FSG und der SPÖ bleibt und diese Organisationen im Interesse der Lohnabhängigen verändern will.
Aus unserer Sicht geht es in der jetzigen Situation für Linke darum, Ideen und Methoden aufzuzeigen, mit denen BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen den Kampf in den Reihen der Sozialdemokratie für einen linken Kurswechsel und eine konsequente Politik im Interesse der Lohnabhängigen führen sollten.
Wo die Partei- und Gewerkschaftsspitze Schritte setzt, die in diese Richtung weisen, werden wir sie aktiv unterstützen und wir werden hinter ihr stehen, damit sie nicht wieder so leicht umfällt. Dies gilt auch für den Versuch der SPÖ jetzt für 11. September Kundgebungen zur Unterstützung des 5-Punkte-Pakets gegen Teuerung zu organisieren. Was von der Parteispitze aber nur sehr halbherzig angegangen wird, sollten wir ernsthaft anpacken. Zeigen wir der Parteispitze, wie man den Kampf gegen die Teuerung wirklich führen sollte. Wo die Spitze das nicht tut, muss sie mit dem unmissverständlichen Widerstand aus den eigenen Reihen rechnen. Wenn es uns jetzt gelingt einen starken linken Flügel zu organisieren, dann ist das die beste Garantie dafür, dass wir in Zukunft die Rechten stoppen und einen politischen Kurswechsel erkämpfen können.
Die Losungen sind klar:
• Keine Koalition mit den Bürgerlichen!
• Aktiver Kampf gegen Teuerung, Reallohnverluste und Stellenabbau, einschließlich Mobilisierungen in den Betrieben und auf der Straße!
• Für eine kämpferische Lohnrunde! Machen wir den Bürgerlichen einen „Heißen Herbst“!
• Zeigen wir durch eigene Gesetzesinitiativen (z.B. gegen die Teuerung), wer tatsächlich die Interessen der Lohnabhängigen vertritt! Für eine Großdemonstration gegen Teuerung und für eine soziale Offensive am Tag der letzten Nationalratssitzung vor den Wahlen!
• Für eine SPÖ-Minderheitsregierung unter der Kontrolle der Gewerkschaften und sozialer Bewegungen!