Nun also thront der Menschenfreund über den Wolken. Im irdischen Jammertal Österreich sind sich derweil Freund und Feind einig: Er war immerhin ein Mensch „mit dem man gut streiten konnte“. Die Wahrheit mag stärker sein als die Lüge – doch gegen die Pietät hat selbst die Wahrheit keine Chance. Von Friedrich Pomm
Jesus Christus hat die Erbsünde von uns genommen. Wenn jemand, sagen wir, aus bestem NS-Elternhaus kommt, dann muss dies einer Karriere nicht unbedingt hinderlich sein. Außerdem hat ein bisschen Nobilitas noch niemandem geschadet. Wer die Errungenschaften der älteren Generation ehrt, ist deshalb noch lange nicht ewiggestrig: Autobahnen, aktive Arbeitsmarktpolitik durch Arisierung, und natürlich das Kunststück, Trümmer in ein Wirtschaftswunder zu recyceln. Hand in Hand mit der Normalbevölkerung befehligten Unternehmer, die während der Fremdherrschaft vielleicht nicht immer alle Mittel des Protests ausgeschöpft hatten, den Wiederaufstieg eines totgesagten Landes. Jemand, der sich in diese Tradition stellt, kann kein schlechter Mensch sein. Zum Verzeihen gehören immer zwei. Der Menschenfreund aber konnte sich selbst verzeihen.
Z.B. wenn ihm sonst niemand verzeihen wollte. Aggressives Grinsen, ablässige Handbewegungen, unhaltbare Gegenbeschuldigungen – der Menschenfreund wusste sich vor dem Ältestenrat der Gutmenschen zu behaupten. Wenn es ihm zum Vorwurf gemacht wurde, dass er den deutschen Tempel von Andersgläubigen reinigte, damit die christlichen Geldwechsler ihren volkswirtschaftlich hoch verdienlichen Geschäften nachgehen konnten – so bekannte er sich schuldig. Wenn sie darauf verwiesen, er wolle den Einfluss von ÖGB und AK brechen – so ging er ins Bierzelt und trank zum Hohn mit den Prolos zwei-drei Bier (alkoholfrei). Und wenn über ihn gesagt wurde, mit ihm sei kein Staat zu machen, verhalf er selbst dem drittplazierten, angestammten Bürgertum zu Kanzlerehren.
Sein Aufstieg war eigentlich nichts als der Abstieg der Sozialdemokratie. Sein leeren Parolen fielen auf einen umso fruchtbaren Boden, je leerer sich die roten Parolen erwiesen. Weil er der Einzige war, der die Ängste des „kleinen Mannes“ anzusprechen schien. Weil er es wie kein Zweiter zu verbergen verstand, dass durch ihn jener Teil des Unternehmertums sprach, dem die bündische ÖVP zu schwerfällig ist. Erst Wolfgang Schüssels schwarz-blaue Regierung sollte sein wahres Ich offenbaren: Seht, so handzahm ist das deutschnationale Lager, wenn es Ministerbüros besetzen darf. Seht, so verzeihlich sind seine schrulligen Verbindungen zur Neo-Nazi-Szene, wenn es Pensionskürzungen mitverantworten darf.
Rot-Schwarz zu verhindern – das war des Menschenfreunds erklärtes Ziel, im Notfall eben auch mal in schwarz-grün-orange. Gleichsam als Avance an die Grünen, die ihr pro-kapitalistisches Wesen mit sozialem Liberalismus zu tarnen suchen, bemühte er sich liebevoll bis zu seiner letzten Stunde um seinen eigentlichen Lebensmenschen. Allerdings wird ihm die schlagende Zunft wohl nicht so leicht verzeihen können, dass er deutsche Prinzipien so leichtfertig missachtete – ihm, dem Erfinder des Kindergelds, Landespatron der Familie.
Die schlechte Kopie hat sich nun gemausert und droht im Falle einer neuerlichen rot-schwarzen Koalition bei den kommenden (vorgezogenen) Neuwahlen, seinem alten Herren die letzte Ehre zu erweisen. Erst ein Kurswechsel der SPÖ wird den Fluch brechen können, den Jörg Haider über dieses Land gebracht hat.