Die SPÖ vollzog auf ihrem Bundesparteitag einen linken Kurswechsel und will die Krisenverursacher zur Kassa bitten. Die Funke-Redaktion zieht Bilanz über diesen Parteitag.
Die letzten Jahre waren für die Sozialdemokratie keine leichte Zeit. Es hagelte eine historische Wahlniederlage nach der anderen. Vor dem Bundesparteitag und den zentralen Landtagswahlen in Wien und der Steiermark sah Parteivorsitzender und Kanzler Werner Faymann nur noch einen Ausweg und trat die Flucht nach links vorne an. Mit Verbalattacken gegen „die Spekulanten“, „gierige Manager“ und die ÖVP sollte die Parteibasis zufrieden gestellt und der 41. Bundesparteitag ruhig über die Bühne gebracht werden.
Mit „beinharter Kalkulation“ spekulierten einige böse Zungen am vergangenen Samstag in Vösendorf über die Wahl des Veranstaltungsortes: Die vorherrschende Hitze in der „Pyramide“ - einem nicht klimatisierbaren Glashaus, in dem der Parteitag stattfand – sollte anscheinend dazu dienen, die Lust auf Diskussionen zu dämpfen und die Veranstaltung so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Und tatsächlich war gerade die Tagesordnung nicht darauf ausgelegt eine breite demokratische Debatte über die weitere Zukunft der Sozialdemokratie zu führen. Die Diskussion der Berichte nutzten vor allem die verschiedenen BundesministerInnen und andere höhere FunktionärInnen zur Selbstdarstellung. Fragwürdig war vor allem der Punkt „Diskussion“ der Resolutionen und Anträge. Für die Diskussion von über 100 Anträgen wurden gerade einmal zwei Stunden anberaumt, zudem wurde den Delegierten die Antragsmappe erst eine Woche vor dem Parteitag zugesendet.
Linker Kurswechsel
In einer Hinsicht unterschied sich dieser Parteitag aber dennoch von denen der letzten Jahre: Im Auftreten des Parteivorsitzendem. Nicht nur, dass demonstrativ auf Lächeln verzichtet wurde – auch die Rhetorik des Werner Faymann war ungewöhnlich deutlich und richtete sich gegen die „Verursacher der Krise“ und die ÖVP. So kritisierte er die geringe Steuerleistung der Banken, prangerte die bestehende Ungerechtigkeit in der Verteilung des Reichtums an und forderte eine Steuer auf bestehendes Vermögen sowie auf Finanztransaktionen. Wenn jemand über seine Verhältnisse gelebt habe, wie dies von Seiten der Wirtschaft immer wieder gesagt wird, dann mit Sicherheit nur die Wohlhabenden. Die „kleinen Leute“ und der „Mittelstand“ dürfen nicht für eine Krise zur Kasse gebeten werden, für die sie nicht verantwortlich seien: "Ich kenne schon ein paar, auch in Österreich, die könnten den Gürtel enger schnallen. Aber nicht die Alleinerzieherinnen, nicht die Armen und nicht die Mittelschicht – die haben die Krise auch nicht verursacht!“
Ungewöhnlich angriffig gab sich Faymann auch gegenüber der ÖVP und meinte gegenüber dem schwarzen Klubobmann Karlheinz Kopf aufgrund der Blockade der Mindestsicherung: „Es gibt 165.000 Sozialhilfebezieher in Österreich, 30 Prozent davon sind Kinder; 53.000 Kinder leben in Wohnungen, die im Winter nicht geheizt werden, 20 Millionen Kinder in Europa leben unter der Armutsgrenze. Und dann sagt Kopf, er braucht die Mindestsicherung als Erpressungsgegenstand, sonst sei er nicht bereit, ‚die Krot zu schlucken’! Solche Leute brauchen wir nicht, die in Fragen der Armutsbekämpfung ‚eine Krot schlucken’ müssen!“
Auch bewarb er das geplante EU-weite Volksbegehren für eine Finanztransaktionssteuer und beschwor die internationale Solidarität der Sozialdemokratie.
Diese Aussagen wurden mit großem Applaus quittiert. Beim Wahlgang am Nachmittag sollte sich herausstellen, dass Werner Faymann es nach einer Phase der ständig zunehmenden Kritik vorerst geschafft hat, die Partei wieder auf einen gemeinsamen Kurs zu bringen. Mit beinahe 94% wurde er als Parteivorsitzender erneut bestätigt. Dieser hohe Prozentsatz an Zustimmung ist aber mit Vorsicht zu genießen und spiegelt sicher nicht die tatsächliche Stimmung an der Basis wider. Ein Großteil der Delegierten am Bundesparteitag ist direkt oder indirekt durch Funktionen oder Posten mit der Parteiführung verlinkt. Viele Delegierte sind selbst mitverantwortlich für jene Politik, die die Zustimmung zur Sozialdemokratie in den Keller rasseln ließ (denken wir nur an all die Ministerstäbe, die roten Landeshauptleute usw.). Einfache FunktionärInnen sind die große Ausnahme bei dieser Zusammenkunft. Nicht außer acht zu lassen ist auch die Tatsache, dass die Unterstützung der aktuellen Linie für viele vor allem eine KRITISCHE Unterstützung bedeutet. Die Einigkeit der Partei ist nach wie vor keine allgemeine und die Zustimmung zum neuen, linkeren Kurs ist vor allem ein Vertrauensvorschuss auf Grundlage der neuen Forderungen.
Druck von links
Es war im April dieses Jahres, als sich in Linz 120 BasisaktivistInnen aus der Sozialdemokratie zusammengefunden haben um über eine Alternative zum Kurs der Parteiführung zu debattieren. Auf der Basis eines umfassenden 14-Punkte-Programms zur Budgetkonsolidierung haben sich die anwesenden AktivistInnen zur SPÖ-Linken zusammengeschlossen und kämpfen seither für einen linken Kurswechsel der SPÖ. Seither ist in der Sozialdemokratie einiges in Bewegung geraten. Landesparteien wie die SPÖ OÖ erhöhten den Druck auf die Bundespartei. Die SPÖ Vorarlberg übernahm große Teile des Programms der SPÖ-Linke und stellte einen dementsprechenden Antrag am Bundesparteitag. Entscheidend dürfte aber der Druck seitens der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) sein. Obwohl erst vor wenigen Wochen in der Antragsprüfungskommission auch linke SozialdemokratInnen einer Kompromissformel zustimmten, die es Faymann erlaubt hätte, die symbolträchtige Vermögenssteuer nicht offen fordern zu müssen, setzte sich der Gewerkschaftsflügel letztlich durch und zwang die Bundesparteispitze einem Antrag zuzustimmen, der neben einer progressiven Vermögenssteuer auch eine Arbeitszeitverkürzung und eine Wertschöpfungsabgabe forderte.
Auf dem Bundesparteitag machten aber auch viele Delegierte und Gäste klar, dass es das Verdienst der SPÖ-Linke war, den Ball ins Rollen gebracht zu haben.
Die SPÖ-Linke war mit mehreren AktivistInnen am Parteitag vertreten, mit Klaus Bergmaier (Krems) und dem Funke-Unterstützer Lukas Riepler (Vorarlberg) waren zwei der Delegierten deklarierte SPÖ-Linke-UnterstützerInnen. Beim Einzug Werner Faymanns in die Pyramide Vösendorf wurde ihm von Jürgen Schamberger, Lukas Riepler, David Stockinger, Markus Gartner – allesamt aus dem SprecherInnenteam der SP-Linken – ein symbolischer „Schutzbrief“ gegen weitere Umfaller überreicht. David Stockinger brachte es bei der Aktion auf den Punkt: „Lieber Werner, ihr befindet euch derzeit auf einem guten Kurs. Wenn ihr so weitermacht, werden wir euch unterstützen, ansonsten werden wir dagegen mobilisieren!“
In dieselbe Richtung ging auch die Wortmeldung von Lukas Riepler im Anschluss an das Referat von Werner Faymann. Er wies auf die Fehler der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten hin, der vor allem im Fehlen eines systemüberwindenden Anspruchs bestehe. Zum Kurswechsel der Parteiführung sagte er folgendes:
„Es ist wichtig dass wir jetzt hinter Genossen Faymann stehen – wir werden so dicht hinter ihm stehen, dass er nicht umfallen kann! Und das braucht es auch. Denn der kommende Herbst, liebe Genossinnen und Genossen, der kommende Herbst wird ein heißer Herbst. Denn da geht es darum, dass wir all das verteidigen was unsere Bewegung in den letzten Jahrzehnten, im letzten Jahrhundert, aufgebaut hat. Und ich sage euch nur eines: Die Koalition mit der ÖVP darf nicht das Maß aller Dinge sein! Wenn wir keine Mehrheit in der Regierung bekommen, wenn wir keine Mehrheit im Parlament bekommen, dann müssen wir uns die Mehrheit auf der Straße suchen, dann müssen wir uns die Mehrheit in den Betrieben suchen und dann müssen wir uns die Mehrheit in den Universitäten suchen!“
Wie weiter?
Lukas Riepler hat damit aufgezeigt, dass es unter den derzeitigen Umständen nicht möglich sein wird, einen Deut in Richtung der bundesweit plakatierten „Zeit für Gerechtigkeit“ zu gehen, so lange die Sozialdemokratie sich ausschließlich mit parlamentarischer Arithmetik um Mehrheiten bemüht. Die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung hat immer wieder gezeigt, dass sich die bürgerliche Logik nicht allein auf der Ebene des Parlaments aushebeln lässt. Im Parlament bekommt die SPÖ bei der aktuellen rechten Übermacht keine Mehrheit für Forderungen wie die Vermögenssteuer – in den Betrieben und auf der Straße hingegen schon. Und das ist es, worum es gehen muss. Soll die neue linke Rhetorik Faymanns nicht nur heiße Luft sein, muss die Sozialdemokratie jetzt alles daran setzen „ihre Leute“ zu mobilisieren: Das sind die Lohnabhängigen, die Jugend, die MigrantInnen und alle, die jetzt die Zeche für die Krise zahlen sollen. Nur mittels Protesten, Großdemonstrationen und Massenstreiks kann dem Kapital etwas abgerungen und eine Vermögenssteuer durchgesetzt werden.
Darüber hinaus wird der „Funke“ in der Sozialdemokratie für eine sozialistische Perspektive eintreten. Denn so gut und richtig die neuen Forderungen der SPÖ auch sein mögen, mit ihnen allein wird es in einem Gesellschaftssystem, das auf Ausbeutung aufbaut, keine Gerechtigkeit geben können. Der Kapitalismus definiert sich gerade dadurch, dass die Mehrheit ausgebeutet wird, damit eine kleine Minderheit Profite machen kann. Die Sozialdemokratie muss wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren und eine Perspektive entwickeln, die über den Tellerrand des „Realpolitischen“ hinausschaut. Wer JA zu Vermögenssteuern und Bankenabgabe sagt, muss weiterdenken und auch JA zur Verstaatlichung der Banken und Großunternehmen unter der Kontrolle der Beschäftigten sagen. Nur so kann der zu erwartende Gegendruck des Kapitals gebrochen werden. Dass es die KapitalistInnen nicht braucht, ist heute so offensichtlich wie nie zuvor. Wir wollen aber auch kein Zurück zur Verstaatlichten des letzten Jahrhunderts, die nur darauf hinauslief, der Privatwirtschaft auf Kosten der Allgemeinheit billige Rohstoffe und Logistik zur Verfügung zu stellen. Die Lohnabhängigen wissen selbst am besten was sie benötigen und wie sie es am effizientesten produzieren – also sollen sie auch die Betriebe demokratisch verwalten. Dies wäre der Grundstein zu einer wirklich gerechten Gesellschaft, in der nicht die Profitinteressen einiger weniger zählen, sondern die Bedürfnisse von allen.
Trotz der fehlenden systemüberwindenden Komponente reagieren die Seismographen des Bürgertums bereits jetzt schon sensibel auf die Geschehnisse am Bundesparteitag. So warnte etwa das Zentralorgan der Bürgerlichen, „Die Presse“, in einem am Samstag zeitgleich zum Parteitag erschienenen Kommentar vor den „linken Geistern, die Faymann ruft.“ Der Kommentar ist vorsichtig in der Manier eines guten Ratschlages an einen Freund verfasst, um ihn vor einem Fehler zu bewahren und schließt mit folgenden Sätzen ab:
„Nur wird der SPÖ-Chef die linken Geister, die er jetzt ruft, nicht so schnell los. Seine Bewährungsprobe wartet im Herbst mit dem Budget 2011. Dann wird Faymann beim Einlösen seiner Versprechen mehr ins Schwitzen kommen als jetzt beim Parteitag.“ (Quelle: "Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2010)
Die Bürgerlichen sehen die Sozialdemokratie nach wie vor als wichtige Stütze in der Aufrechterhaltung des Status Quo und sind sich jener Konsequenzen, die mit der Weckung von „überzogenen“, linken Forderungen einhergehen könnten, durchaus bewusst. Sie haben Angst davor die Sozialdemokratie, die nun seit über 60 Jahren ein Garant für die Stabilität des Kapitalismus ist, als verlässlichen Partner zu verlieren. Die von Faymann angesprochenen Punkte sprechen Millionen Menschen aus dem Herzen. Schnell könnte er zum Opfer seiner eigenen Rhetorik werden und zur Wahrung seiner Position in Partei und Gesellschaft dazu gezwungen sein, diese Forderungen tatsächlich umzusetzen, sofern er zudem auch den Differenzierungsprozess in der eigenen Partei nicht vorantreiben möchte. Heißen zwar viele FunktionärInnen und Mitglieder den neuen Kurs willkommen, so sind sie auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre mehr als misstrauisch. Eine neuerliche Kurskorrektur zugunsten des Kapitals würde einer Zerreißprobe für die Partei gleichkommen. Unter diesen Umständen kann die SPÖ-Linke zu einer echten Massenströmung in der ArbeiterInnenbewegung werden.
Diese aktuelle Rhetorik darf aber kein einfacher Wahlkampfgag zur Absicherung der Ergebnisse in Wien und der Steiermark sein. Wir müssen Druck auf die Parteispitze für eine kompromisslose Umsetzung machen. Jeder Kompromiss wäre eine Niederlage für die Lohnabhängigen.
Im Herbst wird sich der Klassenkampf auch in Österreich rund um die Budgetverhandlungen wohl oder übel zuspitzen. Der jüngste Kurswechsel der SPÖ ist begrüßens- und unterstützenswert, es handelt sich um einen ersten wichtigen Schritt nach links. Doch kann es nicht sein, dass die SPÖ in der Regierung gleichzeitig ein massives Sparpaket und Massensteuern mitbeschließt, die durch eine Bankenabgabe etwas retuschiert werden sollen. Selbst SpitzenfunktionärInnen der Partei sagen im kleinen Kreis, dass dies im Herbst aber passieren wird. Wer „Zeit für Gerechtigkeit“ will, der muss gegen dieses Spar- und Belastungspaket Widerstand leisten. Die SPÖ-Linke wird ihre Hauptaufgabe in den nächsten Monaten darin sehen. Der Druck von links muss jetzt erst recht aufrecht erhalten werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Bundesparteispitze in den Budgetverhandlungen einen Umfaller hinlegt. Das ist die zentrale Auseinandersetzung, vor der wir stehen. Wir fordern alle unsere LeserInnen und UnterstützerInnen auf mit uns in der Sozialdemokratie für die Konsolidierung des am Parteitag beschlossenen Linksrucks zu kämpfen.