Die Arbeitsbedingungen in den Spitälern verschlechtern sich angesichts von Einsparungen und daraus folgendem Personalmangel seit Jahren. Das „Rote Wien“ ist da keine Ausnahme.
Mitte September demonstrierten Hunderte Spitalsbeschäftigte gegen die Sparpläne des KAV und die schlechten Arbeitsbedingungen aufgrund des Personalmangels. Mittlerweile hat der KAV die geplanten Kürzungen unter diesem Druck wieder zurückgezogen. Wir führten zur Situation im Gesundheitssytem ein Interview mit einer Beschäftigten aus einem Geriatriezentrum der Gemeinde Wien. Die Kollegin möchte aus Angst vor Konsequenzen seitens der Geschäftsführung anonym bleiben.
Funke: Kannst du uns ein wenig über deine Arbeit erzählen? Was genau ist ein Geriatriezentrum?
Ich arbeite seit 10 Jahren als Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester. Ein Geriatriezentrum ist eine Einrichtung für Menschen, die ein sehr hohes Maß an Pflege brauchen. Das ist zwar unabhängig vom Alter, allerdings sind die meisten BewohnerInnen über 80 Jahre alt. Generell kann man sagen, dass sie bei uns bis zu ihrem Tod leben werden. Im Gegensatz zu einem Spital sind die BewohnerInnen nicht nur wenige Wochen bei uns, sondern oft Jahre. Dadurch lernt man sie richtig gut kennen, und es entwickelt sich eine Beziehung zu den BewohnerInnen.
F: Was macht deine Arbeit besonders schwer?
Naja, in einem Spital zum Beispiel werden die PatientInnen meistens wieder gesund, in der Geriatrie kann man zwar viel positives für die BewohnerInnen bewirken, aber am Ende ihres Aufenthalts bei uns steht der Tod. Das heißt, dass man oft über Jahre miterlebt wie es den BewohnerInnen immer schlechter geht. Das ist natürlich eine enorme Belastung für die Psyche der Kolleginnen. Zu manchen BewohnerInnen hat man eine ganz enge Beziehung, und dann ist das fast so als ob ein Angehöriger von dir stirbt. Und zum anderen ist natürlich die körperliche Belastung besonders hoch. Es gibt BewohnerInnen, die gar nichts mehr selber machen können, da ist dann die Pflege extrem aufwendig, man arbeitet mit vollem Körpereinsatz, muss die BewohnerInnen heben usw.
Dazu kommt dann auch noch der Schichtdienst, 12 Stunden arbeiten, oft auch am Wochenende und in der Nacht. Das alles wäre aber nicht so schlimm, wenn genug Personal vorhanden wäre. Dann würde sich die Arbeit auf mehr Hände aufteilen.
F: Kannst du uns mehr zur Personalsituation erzählen?
Also in den letzten Jahren ist der Arbeitsdruck enorm gestiegen. Einerseits wird vom Pflegepersonal immer mehr erwartet, wie zum Beispiel dass man spezielle Pflegetechniken anwendet, die sehr zeitintensiv sind, auch wurden viele Tätigkeiten auf den Pflegebereich abgewälzt, die früher nicht zum Aufgabenbereich gehörten, andererseits wurde der Personalstand nicht aufgestockt. Das heißt man muss immer mehr mit immer weniger Personal machen. Im Sommer ist das besonders schlimm, da ist Urlaubszeit und der schon knappe Personalstand wird dadurch noch weniger. Überstunden dürfen auch nicht mehr gemacht werden. Da kann es schon passieren, dass nur 3 Kolleginnen 24 BewohnerInnen versorgen müssen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für den einzelnen. Für viele ist unsere Zuwendung der einzige soziale Kontakt, und dafür haben wir dann kaum noch Zeit. Es gäbe zum Beispiel eine Kollegin bei uns, die Freizeitaktivitäten für die BewohnerInnen gestalten soll, doch auf Grund der Personalknappheit führt sie in der Zeit Körperpflege durch, gibt Essen aus usw.
F: Wie wirkt sich diese Situation auf deine Kolleginnen aus?
Ja, die Leute sind ausgebrannt. Viele sind frustriert, sie wollen gute Arbeit leisten, aber das wird immer schwerer. Psychische Probleme nehmen zu und auch körperliche. Wenn man diese Arbeit 20 Jahre macht, dann hat man einen kaputten Rücken. Das drückt sich dann auch in langen Krankenständen aus. Oft gehen die Kolleginnen aber auch nicht in den Krankenstand, obwohl sie krank sind, weil ihr Dienst nicht nachbesetzt wird, und das wollen sie ihren Kolleginnen nicht antun. Die müssten sonst quasi ihre Arbeit mitmachen.
F: Was würdest du dir für den Pflegebereich wünschen?
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist diese Probleme öffentlich zu machen und etwas dagegen zu tun. So kann es nicht weitergehen! Es liegt an uns allen was zu tun. Ich denke auch, dass die Gewerkschaft einen Arbeitskampf führen sollte. Wichtig dabei ist, dass die Beschäftigten selbst bestimmen können wie dieser Kampf geführt wird. Immerhin sind es ja auch wir, die unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.
F: Hast du konkrete Forderungen?
Also von der Gewerkschaft würde ich mir wünschen, dass sie demokratischer wird, das heißt das die Belegschaft entscheidet was passiert. Wichtig ist es Betriebsversammlungen abzuhalten und die Kolleginnen miteinzubeziehen. Die aktuelle Kampagne „Zeit für Menschlichkeit“ finde ich einen guten Anfang, aber eben nur einen Anfang. Notfalls muss die Gewerkschaft auch bereit sein zu streiken. Das ist im Gesundheitsbereich zwar nicht so einfach, aber es gibt international Beispiele, die gezeigt haben, dass es geht, und zwar auch erfolgreich. Und meine Forderungen an die Stadtregierung sind, deutlich mehr Personal für den Gesundheitsbereich, eine Anerkennung unserer Arbeit. Diese muss sich auch in mehr Lohn ausdrücken. Um Krankenstände zu vermeiden und die Gesundheit der Kolleginnen zu fördern, muss die Arbeitszeit verkürzt werden. Also zum Beispiel eine Woche Urlaub mehr pro Jahr oder die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden.
F: Danke für das Interview.
Das Interview führte Florian Lippert, Krankenpflegeschüler und Gewerkschaftsaktivist.