Im Zuge der verschärften Auseinandersetzung um knappe Märkte und Arbeitsplätze erleben wir eine Wiedergeburt von rassistischen Ideen. Wem dies nützt und wer hier verliert, analysiert Manuel Reichetseder.
Als ideologisches Nebenprodukt der einer globalisierten Wirtschaft innewohnenden Wanderungsbewegungen von Arbeitskräften wurde die Idee des Rassismus entwickelt. Somit werden MigrantInnen nicht nur als Arbeitskraft zur Steigerung des Profits eingesetzt, sondern liefern gleich auch noch den Anlassfall für klassenübergreifende Identifikation von UnternehmerInnen und Lohnabhängigen entlang von Herkunftsgrenzen. Ein mehrfach lohnendes Geschäft…
Migration im Interesse des Kapitals
Migration war schon immer ein fixer Bestandteil in der Entwicklung des Kapitalismus und ist aus diesem nicht wegzudenken. Gerade durch die Entwicklung neuer Industriezweige und Technologien und des damit verbundenen erhöhten Ausbeutungsgrades der Ware Arbeitskraft sahen sich die KapitalistInnen gezwungen, den Bedarf an Arbeitskräften durch ArbeiterInnen aus anderen Regionen zu decken. Migrationswellen geschahen sowohl „freiwillig“ (also erzwungen von den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen im Heimatland) als auch unfreiwillig in Form von massenhaftem Menschenraub (Sklaverei). Das 19. Jahrhundert sah zahlreiche Einwanderungswellen, wie jene von Europa in die USA. Irische ArbeiterInnen nach Großbritannien, polnische Arbeitskräfte nach Preußen. Auch der Großraum Wien war in der österreichischen Monarchie Ziel von Einwanderern aus allen Teilen des Reichs.
Während des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er und 1960er Jahre kamen Millionen von MigrantInnen aus Südeuropa und den ehemaligen Kolonien nach Westeuropa und stillten somit den Durst nach Arbeitskräften. Die Anwerbung, der Transport und die Arbeitsplatzzuteilung dieser KollegInnen erfolgten systematisch durch die Außenhandelsstellen der Unternehmerverbände. In Österreich zum Beispiel wurden mit Jugoslawien und der Türkei Verträge geschlossen, die die gezielte Zuwanderung von GastarbeiterInnen regelten. Die Arbeitsteilung einer entwickelten Industrienation erfordert verschiedene Schichten von ArbeiterInnen mit unterschiedlichem Ausbildungsgrad, die unterschiedliche Tätigkeiten verrichten. So waren es gerade jene MigrantInnen die gefährliche und unterbezahlte Tätigkeiten übernahmen und gleichzeitig in schäbigen Unterkünften hausen mussten.
Sklaverei
Die Entstehung des Rassismus, der Menschen mit anderer Hautfarbe als minderwertig betrachtet, ist eng verbunden mit der Sklaverei in den Kolonien vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Diese stellte im sich entwickelnden Kapitalismus eine ökonomische Notwendigkeit dar. Der Reichtum, der von Sklaven erarbeitet wurde, bereicherte nicht nur die Baumwollplantagebesitzer in den Südstaaten der USA, sondern legte auch den Grundstein für die industrielle Revolution in der Textilindustrie in Großbritannien.
In der Antike war der Sklave Eigentum seines Besitzers und im Feudalismus war der Leibeigene an seinen Herren gebunden. In der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise jedoch konnte der Arbeiter seine Arbeitskraft auf dem „freien Markt“ verkaufen. Und gerade in jener Zeit, als sich die Formel der französischen Revolution von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ über den Erdball ausbreitete (und etwa auf der Sklaveninsel Haiti eine erfolgreiche Revolution der schwarzen SklavInnen inspirierte), erforderte daher die Versklavung anderer Menschen eine Erklärung. Diese fand sich in der Begründung, dass Menschen mit schwarzer Hautfarbe minderwertig seien. Deshalb sei es in Ordnung, wenn Weiße über ihr Leben bestimmten. Es war nicht Rassismus, aus dem heraus sich Sklaverei entwickelte. Vielmehr wurde durch eine konstruierte rassistische Ideologie extreme Unterdrückung gerechtfertigt. Obwohl die Sklaverei in den entwickelten kapitalistischen Ländern heute keine ökonomische Bedeutung mehr besitzt, hat sich die Ideologie des Rassismus nicht nur halten können, sondern auch als scharfe Waffe erwiesen.
Spaltung der ArbeiterInnenklasse
Die wichtigste Funktion des Rassismus ist die Verdunklung der gemeinsamen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessenslage der heimischen als auch der zugewanderten ArbeiterInnen. Die Spaltung entlang von Nation und Kultur schwächt die ArbeiterInnenbewegung, und hat dabei einen besonderen Vorteil: die Identifikation des Ausgebeuteten mit seinem Ausbeuter. Karl Marx stellte 1870 dieses Interessensgemenge anhand der irischen Einwanderer in England dar:
“Alle industriellen und kommerziellen Zentren Englands besitzen jetzt eine Arbeiterklasse, die in zwei feindliche Lager gespalten ist, englische proletarians und irische proletarians. Der gewöhnliche englische Arbeiter haßt den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten, welcher den standard of life herabdrückt. Er fühlt sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation und macht sich eben deswegen zum Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland, befestigt damit die soziale Herrschaft über sich selbst. Er hegt religiöse, soziale und nationale Vorurteile gegen ihn. Er verhält sich ungefähr zu ihm wie die poor whites zu den niggers in den ehemaligen Sklavenstaaten der amerikanischen Union. Der Irländer pays him back with interest in his own money (zahlt es mit gleicher Münze zurück). Er sieht zugleich in dem englischen Arbeiter den Mitschuldigen und das stupide Werkzeug der englischen Herrschaft in Irland.
Dieser Antagonismus wird künstlich wachgehalten und gesteigert durch die Presse, die Kanzel, die Witzblätter, kurz, alle den herrschenden Klassen zu Gebot stehenden Mittel. Dieser Antagonismus ist das Geheimnis der Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation. Es ist das Geheimnis der Machterhaltung der Kapitalistenklasse. Letztere ist sich dessen völlig bewußt.”
Diese Analyse ist brandaktuell: Anti-Islamismus, Sarrazin-Debatte, Kriminalität, Ausnutzen des Sozialsystems durch MigrantInnen, etc. Kaum eine politische Frage wird heute diskutiert, ohne Rassismus zu schüren und damit von der Verteilungsfrage zwischen Kapital und Arbeit abzulenken. Und diese Kampagne zeigt Wirkung: In normalen, ruhigen Zeiten übernehmen sowohl Angehörige der Mehrheitsnation als auch MigrantInnen diese Argumentationsschienen in ihre eigene Weltanschauung. Wie die Religion, die die Erlösung von weltlichen Problemen in himmlischen Welten verspricht, bietet der Rassismus scheinbare Lösungen für gesellschaftliche Widersprüche und die Existenz von Leid und Not. „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks“ so Marx im Jahr 1843. Rassismus ist Opium, das vernebelt, Scheinwelten ermöglicht und dich dabei noch tiefer in den Dreck zieht.
Die Diskriminierung von MigrantInnen kommt den „einheimischen“ ArbeiterInnen materiell keineswegs zugute, genauso wenig wie die Diskriminierung der schwarzen die Besserstellung von weißen ArbeiterInnen fördert. Ganz im Gegenteil. Einen Beleg dafür lieferte eine Studie, die vom Soziologen Al Szymanski 1976 in den USA durchgeführt wurde. Er verglich die Situation von weißen und schwarzen ArbeiterInnen und fand heraus, dass „je höher die Einkommen Schwarzer im Vergleich zu denen Weißer sind, desto höher die Einkommen der Weißen relativ zu denen anderer Weißer“. Auf gut deutsch: Je niedrigerer die Lohndifferenzen zwischen den unterschiedlichen Schichten der ArbeiterInnenklasse sind, desto höher ist ihr gemeinsamer Anteil am Volksvermögen. Je deutlicher die ArbeiterInnenklasse unbeschadet von Geschlecht, Nation, Alter etc. geschlossen für ihren gemeinsamen Anteil an der Gesellschaft kämpft, desto freier lebt sie.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die „modernere“ Form des Rassismus argumentiert nicht mehr offen mit der biologischen Überlegenheit der eigenen „Rasse“. Seit dem Holocaust ist dieses Konzept verpönt und die Idee eines angeblichen Unterschieds verschiedener Menschenrassen aufgrund unterschiedlicher DNA wissenschaftlich widerlegt. Heutige rassistische Ideologien begründen die Ungleichheit vielmehr in kulturellen Unterschieden. So werden dem „christlichen Abendland“ und der muslimischen Welt Werte angehängt, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Kultur wird dabei als etwas gesehen, in das man hineingeboren wurde und aus dem man nicht heraus kann. Die Idee, dass gesellschaftliche Klassen eine gemeinsame Kultur herausbilden, wird hier völlig ausgeblendet. Doch ist es unbestreitbar, dass mich aufgrund einer ähnlichen Lebenssituation mehr mit meiner türkischen Nachbarin verbindet als mit der Jetset-Welt der Kristall-Fiona.
Die rassistischen Argumente der Bürgerlichen, wie „Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, oder das Bild des „Sozialschmarotzers“ mit Migrationshintergrund, fallen aber nur auf fruchtbaren Boden, wo es Knappheit gibt – wie etwa einen Mangel an Arbeitsplätzen oder Wohnungen – und wenn die Menschen sich als betrogenes, ohnmächtiges Opfer fühlen. Der antirassistische Kampf muss vor allem soziale Forderungen beinhalten, wie z.B. gute Lebensbedingungen, Ausbildung und Arbeit für alle. Der kollektiv geführte Klassenkampf ist der beste Weg zur Überwindung vorhandener rassistischer Vorurteile und der Spaltung unserer Klasse.
Wir müssen uns für Gewerkschaften und eine Linke einsetzen, die aktiv den Kampf gegen Rassismus und für die Rechte aller ArbeiterInnen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Kultur, führt. Der Idee von der Einheit der Nation stellen wir die Solidarität unserer Klasse gegenüber. „Integration in die Gesellschaft“ bedeutet nichts anderes, als das zwanghafte Anpassen an die Bedürfnisse des kapitalistischen Staates. Wir müssen dieser Idee die Teilnahme von MigrantInnen an der ArbeiterInnenbewegung entgegenstellen. Vergessen wir nicht, dass die österreichische ArbeiterInnenbewegung nicht zuletzt von den „Ziegelböhmen“ und den „Welschen“ aufgebaut wurde. In ihren Anfängen war die Sozialdemokratie eine zutiefst internationalistische Bewegung und gerade die Organisierung von ArbeiterInnen unterschiedlichster Herkunft machte sie zu einer gesellschaftlichen Kraft. Es ist notwendig, diese Traditionen wieder lebendig zu machen.
Dieser Artikel erschien in der Funke Ausgabe 101 / Jänner 2011