Im Oktober wurde bekannt, dass der Filmproduzent Harvey Weinstein zahlreiche Frauen sexuell belästigt, genötigt und vergewaltigt haben soll. Daraufhin startete die Schauspielerin Alyssa Milano die Social Media Kampagne #MeToo. Seitdem ist auch in Österreich die Diskussion über Sexismus und sexistische Übergriffe hochgekocht.
Alle Frauen, die schon einmal sexuell belästigt, oder Opfer von sexuellen Übergriffen wurden, sollen ihren Status auf #MeToo setzen. Mittlerweile sind Millionen Frauen diesem Aufruf gefolgt. #MeToo ist nicht die erste Social Media Kampagne, die sexuelle Belästigung thematisiert. Aber die öffentliche Diskussion zum Thema ist entbrannt. Viele Vorfälle kommen im Zuge der Debatte ans Licht, die zuvor lange nicht thematisiert wurden. Viele fühlen sich bereit, ihr Schweigen zu brechen, vor allem über Prominente. Dabei zerstören die Enthüllungen jedes Bild einer „heilen Welt“ nachhaltig – nicht nur in Hollywood, sondern auch in Österreich.
Die Politik ist über den Rücktritt von Peter Pilz von seinem Nationalratsmandat betroffen, nachdem Vorwürfe laut wurden. Und es trifft auch das Herz der österreichischen Unterhaltungsindustrie – den Skisport. Mehrere Spitzensportlerinnen berichteten über grauenhafte Zustände in den 70ern. Nicola Werdenigg schilderte dem „Standard“ gegenüber etwa, wie der Heimleiter eines Skiinternates einen Mitschüler dazu anstiftete sie zu vergewaltigen (sie konnte sich wehren und entkommen). Er befriedigte sich dabei selbst.
Sexuelle Belästigung ist Alltag
Die Diskussionen zeigen, dass sexuelle Belästigung keine Randerscheinung ist. Die Bandbreite der Postings bei #MeToo geht dabei von unerwünschtem Flirten über sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung. Dabei sollte uns eigentlich nicht erst seit diesen Kampagnen klar sein, dass Frauen tagtäglich Diskriminierung, Belästigung und Übergriffen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind. 2014 wurde eine EU-weite Umfrage zu Gewalt gegenüber Frauen veröffentlicht, bei der 42.000 Frauen befragt wurden. 33% aller befragten Frauen hatten bereits physische oder sexuelle Gewalt durch ihre Partner oder fremde Männer erlebt. Man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer weitaus höher ist, da es sich bei den Befragungen um persönliche Interviews handelte und insbesondere von Gewalt betroffene Frauen sich oft sehr schwer tun, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 zu Gewalt in Österreich zeigt, dass 74,2% aller Frauen und 27,2% aller Männer im Erwachsenenalter schon einmal sexuell belästigt wurden. Von 29,7% der befragten Frauen und 5,6% der Männer wurden diese Situationen als bedrohlich bewertet. 29,5% der Frauen und 8,8% der Männer berichteten in dieser Studie von sexueller Gewalt.
Eine weitere Studie der Antidiskriminierungsstelle in Deutschland (2015) zeigt, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftigten schon sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt oder beobachtet hat. Laut der österreichischen Gleichbehandlungsanwaltschaft handelt es sich bei den sexuellen Belästigern überdurchschnittlich häufig um Vorgesetzte. Auch wenn es sich um sexuelle Belästigung durch Kollegen handelt, sind dies oft Machtdemonstrationen.
Das ist kein Zufall. Oft, wie das etwa im Fall vom ÖSV fast exemplarisch nachzuzeichnen ist, werden solche Vorfälle auf „andere Zeiten“ oder einzelne „faule Äpfel“ geschoben. Doch das stellt die Realität völlig auf den Kopf. Die Fälle, die in den letzten Wochen öffentlich wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass es sich fast immer um das Ausnützen von Machtpositionen in Wirtschaft, Politik und Unterhaltungsindustrie handelt. Weinstein oder übergriffige Politiker und Trainer konnten und können nur deshalb über Jahrzehnte belästigen, übergriffig werden und vergewaltigen, weil sie am längeren Hebel saßen, den Hahn des Erfolgs und des Geldes auf – und abdrehen konnten. Kapitalismus und Sexismus sind untrennbar verbunden. Im „Standard“- Artikel, in dem die Zustände im österreichischen Skisport das erste Mal öffentlich gemacht wurden, ist das explizit nachzuvollziehen:
„Die Skifirmen hatten damals großen Einfluss auf die Verbandspolitik. Sie bildeten Allianzen mit Trainern, sprachen bei Aufstellungen und Besetzungen mit. In den 1970er-Jahren ging es erstmals um Geld und Verträge, die Struktur des Skisports hatte sich verändert. Damit fing der Machtmissbrauch an. Auch in Form von unangenehmen Annäherungsversuchen. Mit der Attraktivität der maßgeblichen Männer hatte das Flirten – und dabei blieb es oft nicht – wenig zu tun. Wer nicht mitspielen wollte, brachte seinen Startplatz in Gefahr.“
Deshalb werden auch Kampagnen wie #MeToo, die nur auf das Aufzeigen von Sexismus beschränkt bleiben, im Großen und Ganzen zahnlos bleiben. Offizielle Stellen werden Besserung geloben, Kommissionen eingesetzt, Berge an Stellungnahmen produziert. Nach einem kurzen Aufschrei aber wird die Debatte verebben, bis der nächste berühmte Belästiger oder Vergewaltiger geoutet wird.
Gemeinsam kämpfen
Eine Lösung ist nur im kollektiven Widerstand zu finden. Im vergangenen Jahr sind in verschiedenen Ländern der Welt tausende für Frauenrechte auf die Straße gegangen. In Polen demonstrierten im Oktober 2016 zehntausende, hauptsächlich Frauen, gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts, was beinahe zu einem Sturz der Regierung führte. Der Gesetzesentwurf musste letztendlich zurückgenommen werden. Auch in Brasilien und der Türkei wurden die Regierungen durch massenhafte Proteste dazu gezwungen Gesetzesvorschläge, die die Rechte der Frauen weiter einschränken sollten, zurückzunehmen. Donald Trump wurde von Millionen DemonstrantInnen im Amt „begrüßt“, die seine frauenfeindliche Haltung angriffen.
Hier, im gemeinsamen Kampf, ist der Weg nach vorne zu suchen. Dabei gilt, dass die Spaltung nicht zwischen den Geschlechtern gesucht wird, sondern zwischen denen, die vom unmenschlichen System des Kapitalismus profitieren, und denjenigen, die von ihm ausgebeutet werden. Denn letztendlich sind es die ökonomischen Bedingungen die sexuelle Unterdrückung begünstigen oder sogar hervorrufen. Der Chef, der seine Machtposition ausnutzt. Alleinerzieherinnen die jede noch so schlechte Bezahlung in Kauf nehmen, weil sie nicht wissen wie sie sonst ihre Kinder ernähren sollen. Die Beispiele sind zahllos.
Doch auch der Ehemann, der in der Arbeit ausgebeutet wird und sich trotzdem gut fühlt, weil er zumindest daheim der Boss ist, sollte sich bewusst sein, dass sein Verhalten seiner eigenen Ausbeutung hilft. So lange wir arbeitenden Menschen in Männer und Frauen, „Inländer“ und „Ausländer“ etc. gespaltet bleiben, sind wir nur dankbare Opfer für Ausbeutung. Gleichzeitig sind auch liberale „Lösungen“ wie Frauenquoten in Führungspositionen, der Politik oder die Förderung von weiblichen Unternehmerinnen eine Sackgasse, die die Spaltung nur zementiert.
Wir wissen, dass Sexismus ein Instrument der herrschenden Klasse ist, um die Arbeiterklasse zu spalten und so gemeinsame Kämpfe zu verhindern. Lassen wir das nicht zu und kämpfen gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung jeglicher Art!