Vor nunmehr einem Jahr verbreitete sich die sogenannte #MeToo Debatte, in der Frauen weltweit begannen, sexuelle Übergriffe und Missbräuche, die ihnen widerfahren sind, bekannt zu machen. Von Yola Kipcak.
Seitdem kommt die öffentliche Diskussion über systematische sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft nicht mehr zur Ruhe. So wurden in den vergangenen Monaten erneut in zahlreichen Ländern viele tausend Missbrauchsfälle durch Priester der katholischen Kirche, v.a. gegen Minderjährige, aufgedeckt. Gegen den erzreaktionären Republikaner Brett Kavanaugh, der im Juli von Trump als Richter für den obersten Gerichtshof der USA vorgeschlagen wurde, trudelten Missbrauchs- und Vergewaltigungsanschuldigungen aus seiner Jugendzeit ein.
Unter den zahlreichen Skandalen finden sich auch einzelne Fälle, in denen prominente Feministinnen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden. Was an diesen Fällen schockiert ist nicht die Tatsache, dass auch Frauen als solche in der Lage sind, (sexuelle) Gewalt an Menschen auszuüben und ihre Machtposition auszunützen. Reaktionäre, die diese Vorfälle aufblasen, um sexuellen Missbrauch kleinzureden und Frauen, die dagegen aufstehen, als unehrlich abzutun sind nichts als gewaltverharmlosende Heuchler. Doch bemerkenswert sind die Reaktionen der Beschuldigten und ihrer feministischer VerteidigerInnen.
Eine der Führerinnen der #MeToo-Kampagne gegen den angeklagten Vergewaltiger und Filmproduzenten Harvey Weinstein, Asia Argento, ist selbst ebenfalls der sexuellen Nötigung gegenüber einem minderjährigen Schauspielkollegen bezichtigt.
Ebenso wurde die weltbekannte Germanistik- und Vergleichende Literatur Professorin sowie Feministin Avital Ronell von ihrem ehemaligen, schwulen Doktoranten beschuldigt, ihn über drei Jahre hinweg verbal, psychisch und physisch sexuell belästigt zu haben und mit der Zukunft seiner akademischen Karriere erpresst zu haben. Belastende e-Mails, in denen sie ihn unter anderem als ihren „Cock-er Spaniel“ bezeichnete, führten zu ihrer einjährigen Suspendierung an der University of New York.
Wie gingen die beiden Feministinnen mit diesen Vorwürfen um?
Schlechte Ausreden
Argento bezeichnete ihr Opfer als bemitleidenswert, als „verlorene Seele“ und „Kind“ und bestreitet nach wie vor, dass der Sex nicht-konsenual geschah. Die prominente #MeToo-Schauspielerin Rosanna Arquette rief auf Twitter dazu auf, „behutsam“ mit den Vorwürfen gegen ihre Kollegin umzugehen, und rechtfertigte die Taten Argentos mit den Worten: „Trauma erzeugt Trauma“ in Anspielung darauf, dass Argento selbst Missbrauch durch Harvey Weinstein erfahren hatte.
Professor Ronell rechtfertigte ihre Handlungen indes damit, dass die Kommunikation (körperliche Handlungen streitet sie nach wie vor ab) mit ihrem Studenten „zwischen zwei Erwachsenen, einem schwulen Mann und einer queeren Frau, die beide israelische Wurzeln haben“ stattfand und „blumige und tuntige“ Formulierungen in ihrem Schriftwechsel aus ihrem „gemeinsamen akademischen Hintergrund und Empfindsamkeit“ herrührten.
Deutlicher könnte man nicht machen, worum es hier geht: die „Identität“ als Frau, die „Unterprivilegiertheit“ als sexuelle Minderheit und als fast-Jüdin ist der Gradmesser, an dem man ihre Aussagen und ihre Handlungen messen soll und die deshalb gar nicht so schlimm sein können. Für sie in die Bresche sprangen prominente ProfessorInnen und PhilosophInnen aus der ganzen Welt, die einen Brief an die Universität unterzeichneten. Die Argumentation: Ronell sei von großer Bedeutung für die internationale vergleichende Literaturwissenschaft und den Feminismus, sie habe kürzlich einen wichtigen Preis der französischen Regierung verliehen bekommen. Der Brief betont, dass Ronell von „enormer Bedeutung für die Geisteswissenschaften ... und das intellektuelle Leben in unserer Zeit“ sei. „Obwohl wir keinen Zugang zu vertraulichen Unterlagen haben … möchten wir klar unseren Einspruch gegen jegliches Urteil gegen sie kundtun. … Wir bezeugen den Anstand, Scharfsinn und intellektuellen Einsatz Professor Ronnells und bitten, dass sie die Ehre erwiesen bekommt, die jemandem ihres internationalen Standes und Ansehens zusteht.“ Denn, sonst würde die gesamte „erleuchtete Welt“ von der Öffentlichkeit in Frage gestellt werden.
Unter den 51 UnterzeichnerInnen dieses Appells finden sich Judith Butler (wichtige Theoretikerin der „Queer Theorie“) und Slavoj Žižek („linker“ „Philosoph“) und auch zwei Philosophen/Künstler aus Österreich, Susanne Granzer und Arno Böhler.
„Welche Herrschaftsverhältnisse und Ausschließungen unterstützt man ungewollt, wenn allein die Repräsentation im Brennpunkt der Politik steht?“, fragt sich Judith Butler in ihrem berühmtesten Buch ‚Das Unbehagen der Geschlechter‘. Diese Frage möchten wir gerne an sie zurückspielen. Ist dieser Brief denn etwas anderes als die prinzipienlosteste Verteidigung (und „Reproduktion“) der intellektuellen Kaste? Sie verteidigt das sexistische Verhalten Ronells gerade mit dem Argument, sie sei eine wichtige „Repräsentantin“ der „erleuchteten Welt“. Der höhere Zweck dieses Briefes ist es die scheinradikale ideologische Zunft postmoderner Philosophie vor Kritik zu schützen.
Noch schlechtere Ausflüchte
Als der Brief – der nicht zur Veröffentlichung gedacht war – in Medien kritisiert wurde, gab Butler eine öffentliche Erklärung ab.
Dabei entschuldigte sie sich für den Brief der „ohne ihre Zustimmung“ veröffentlich worden war bei dem Kollegium der New York University: „Wir hätten nicht eine Sprache verwenden dürfen, die impliziert, dass Ronell wegen ihres Status und Ansehen irgendeine Sonderbehandlung verdienen würde. Das Kollegium sollte vor den Title IX protocols [dem betreffenden Gesetz, Anm.] gleich behandelt werden, d.h. den gleichen Regeln und, wo angebracht, Strafen untergeordnet werden.“
Abgesehen davon, dass sie sich nicht für die Sache entschuldigt, sondern de Facto sagt, sie sei falsch verstanden worden, weil sie sich falsch ausgedrückt hätte, ist ihre „Entschuldigung“ im Widerspruch zu ihrer eigenen „Theorie“: Denn laut Butler „regulieren die juridischen Machtbegriffe das politische Leben“; die „Rechtsstrukturen von Sprache und Politik bilden das zeitgenössische Feld der Macht“. Die Aufgabe von FeministInnen bestehe darin, diese Macht kritisch zu hinterfragen. Laut Butler würde der juristische Diskurs erst die Identität der Frau und ihre Unterdrückung erschaffen. „Der unkritische Appell an ein solches System zum Zwecke der „Frauen“emanzipation sei offensichtlich widersprüchlich und unsinnig “, schreibt sie in ihrem Buch. In der Realität außerhalb ihrer schwülstigen Bücher ist dieses unterdrückerische Recht aber wohl gut genug, um an es zu appellieren und zu sagen, dass vor dem Gesetz „alle gleich“ behandelt werden. So ernst nimmt sich diese Theoretikerin des Feminismus also selbst. Ohne Verständnis dafür, dass die Unterdrückung der Frau ein Resultat der Klassengesellschaft ist, verstehen Butler und viele andere FeministInnen auch nicht, dass nur die soziale Revolution die „historische Niederlage des weiblichen Geschlechts“ (Engels) endgültig aufheben kann. Denn für sie ist Unterdrückung nur ein kulturelles oder sprachliches Phänomen. „Bei sexueller Gewalt geht es um Macht und Privileg … wir können die Kultur nicht verschieben, wenn wir nicht die falschen Narrative (=Erzählungen, Anm.) verschieben“, schreibt Arquette. Und die bekannte Feministin Erica Jong beschwert sich über Sexisten so: „Es scheint, dass sie nicht am neuesten Stand der Kultur sind.“
Als MarxistInnen verstehen wir, dass Macht auf Eigentum beruht, und die kulturellen Unterdrückungsformen auf diesen basieren. Missbrauchsfälle aufzudecken, wie dies durch die #MeToo-Debatte geschieht ist ein notwendiger Anfang, der aber zu solidarischer Massenaktion führen muss. Nur diese haben das Potenzial, in direktem Klassenkampf die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse herauszufordern. Erzielte Teilerfolge werden dabei immer wieder zurückgedrängt. Dies, weil der Kapitalismus auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht. Nur die Enteignung der Herrschenden, das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, bietet die materielle Basis zur endgültigen Überwindung jeder Unterdrückung. Ein historischer Schritt in Richtung eines solidarischen Kampfes mit Arbeiterklassenmethoden wurde im Zuge der #MeToo Debatte von Arbeiterinnen bei McDonalds getan: Am 18. September traten hunderte Angestellte der Fast-Food-Kette in 10 Städten in den USA in Streik, um Maßnahmen gegen die häufigen Übergriffe (ca. 40% der Mitarbeiterinnen sind betroffen) in der Arbeit zu fordern – laut der Historikerin Orleck ist dieser Streik der erste seiner Art seit 1912.
(Funke Nr. 167/Oktober 2018)