Rosa Luxemburg steht wie kaum eine andere Frau symbolhaft für die internationale, revolutionäre Bewegung. Bis heute wirkt sie als Identifikationsfigur, aber ihre Positionen zur Frauenbefreiung kennen nur die wenigsten. Von Konstantin Korn.
Buchtipp: Neuerscheinung:
Rosa Luxemburg wurde berühmt durch ihren theoretischen Kampf gegen den Reformismus in der deutschen und internationalen Sozialdemokratie. Ihr Buch „Sozialreform oder Revolution“ ist eine bis heute aktuelle Streitschrift gegen die Idee, man könne den Kapitalismus mittels Reformen bändigen. In allen zentralen Debatten in der Arbeiterbewegung erhob sie ihre Stimme und vertrat dabei stets den Standpunkt des linken Flügels. Wie keine andere verteidigte sie den revolutionären Marxismus, und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde sie zum Sprachrohr derer, die den internationalistischen, antimilitaristischen Prinzipien der Bewegung treu blieben. Als eine revolutionäre Massenbewegung im Herbst 1918 dem Krieg ein Ende setzte, beteiligte sie sich an der Gründung der Kommunistischen Partei und kämpfte für den Sieg der sozialistischen Revolution in Deutschland und international.
Aber wie stand es um ihren Beitrag zum Kampf um Frauenbefreiung? Rosa Luxemburg wird heute gerne als „Feministin“ vereinnahmt. Ihren Zeitgenossinnen wäre diese Zuschreibung mehr als absurd erschienen. Nicht einmal in der proletarischen Frauenbewegung spielte Luxemburg eine aktive Rolle, und die bürgerlichen Feministinnen standen aus ihrer Sicht auf der anderen Seite der Barrikade. So schrieb sie: „Die meisten bürgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen »die Vorrechte der Männer« wie Löwinnen gebärden, würden im Besitz des Wahlrechts wie fromme Lämmlein mit dem Troß der konservativen und klerikalen Reaktion gehen.“ Für Rosa Luxemburg waren die „Frauen der besitzenden Klassen“ aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung „stets fanatische Verteidigerinnen der Ausbeutung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von der sie aus zweiter Hand die Mittel für ihr gesellschaftlich unnützes Dasein empfangen.“
Teil vom Ganzen
Rosa Luxemburg sah ihren Platz „nicht in den Reihen der Frauenbewegung, aber nur, weil ihre Arbeit dem Ganzen, Großen gehört hatte, von dem die Frauenbewegung nur ein Teil ist“, schrieb Adelheid Popp, die führende Vertreterin der Arbeiterinnenbewegung in Österreich. Aber Luxemburg verstand die Bedeutung einer starken proletarischen Frauenbewegung, „in der alle Mittel des proletarischen Kampfes und Druckes in Anwendung gebracht werden müssen.“ Doch diese Massenbewegung war für sie nicht nur eine Frauensache allein, sondern eine gemeinsame Angelegenheit der Frauen und Männer der Arbeiterklasse, um die Ketten des kapitalistischen Systems zu sprengen.
Sie betonte entschieden, dass man dabei nicht an die Gerechtigkeit der herrschenden Klasse appellieren brauche, sondern nur auf die revolutionäre Macht der Arbeiterklasse zählen dürfe. Rosa Luxemburg konzentrierte sich ganz auf die zentralen Fragen des Klassenkampfes, die aus ihrer Sicht das Potential hatten, „die Stunde zu beschleunigen, wo die heutige Gesellschaft unter den Hammerschlägen des revolutionären Proletariats in Trümmer stürzt“. Der Kampf für das Frauenwahlrecht war damals eine der wichtigsten Klassenauseinandersetzungen. Von dieser Bewegung erwartete sie sich vor allem die Möglichkeit, die Masse der proletarischen Frauen politisch zu organisieren. Das würde der Arbeiterbewegung einen großen Aufschwung bescheren, ihr aber auch frischen Wind zuführen und die in der Sozialdemokratie vorherrschenden konservativen Geschlechterverhältnisse überwinden helfen.
Rosa Luxemburg kritisierte stets jene, die die Forderungen der Frauen mit Verweis auf die realpolitischen Kräfteverhältnisse opferten. Das war so, als die Sozialdemokratie in Belgien und in Österreich das Frauenwahlrecht hintanstellte, um in einem ersten Schritt das Männerwahlrecht durchzusetzen. Und das war auch so, als die reformistischen Abgeordneten im deutschen Reichstag zwar mit unzähligen Beispielen die Schrecken des Kapitalismus aufzeigten, dann aber trotzdem von der Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung abrückten, weil sie auf parlamentarischem Weg dafür keine Mehrheit gefunden hätten.
Luxemburg vertröstete in solchen Debatten aber nicht auf eine ferne Zukunft, in der die Revolution kommen würde, sondern vertrat im Hier und Jetzt was sie „revolutionäre Realpolitik“ nannte, weil die Kämpfe um soziale und demokratische Reformen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen des jetzigen Systems hinausweisen und nur ein Mittel sind, mit dem die Arbeiterbewegung auf das eigentliche Ziel, die soziale Revolution, hinarbeitet. Für Luxemburg besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein „unzertrennlicher Zusammenhang“. Ihr war bewusst, dass diese zentralen Forderungen der Arbeiter(innen)bewegung nur „mit dem ganzen Klassenkampf des Proletariats siegen“ und „nur mit proletarischen Kampfmethoden und Machtmitteln (!) verfochten werden“.
Theorie und Praxis
Rosa Luxemburg selbst entfaltete ihre große Wirkkraft vor allem dank ihrer großen „theoretischen und schöpferischen Intelligenz“. Sie kümmerte sich die meiste Zeit über nicht um eine gezielte Agitation unter Frauen, sondern sah ihre Aufgabe in der Verteidigung des Marxismus, um die Arbeiterbewegung politisch auf die kommende Revolution vorzubereiten. Das änderte sich aber in der Deutschen Revolution im Herbst 1918 schlagartig. Als Redakteurin der „Roten Fahne“, der Zeitung des kommunistischen Spartakusbundes (und später der KPD), schrieb sie Clara Zetkin, der Führerin der deutschen Arbeiterinnenbewegung, über ihre Pläne, eine eigene Frauenagitation zu starten: „Ihre Wichtigkeit und Dringlichkeit leuchtet uns genauso ein wie Dir.“ Luxemburg sah darin ein wichtiges Mittel, die Masse der Frauen, die in der Revolution zu politischem Leben erwacht waren, zu organisieren.
Die Massen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen, war aus ihrer Sicht eine Grundvoraussetzung, um auch die politische Macht erobern zu können. Die soziale Revolution war für sie der Schlüssel zur ökonomischen und politischen Befreiung der Arbeiterklasse – und somit auch die Voraussetzung für die Befreiung der Frau. Durch ihre politische Praxis verdiente sie sich mit vollem Recht den Beinamen „Adler der Revolution“.
(Funke Nr. 201/23.2.2022)