In diesem Artikel setzte sich Eleanor Marx-Aveling mit der für die frühe proletarische Frauenbewegung zentralen Frage auseinander, mit welchen Organisationsformen sie im Rahmen der ArbeiterInnenbewegung für ihre politischen Ziele kämpfen sollte.
In ihrer letzten Sitzung fassten die 400 Delegierten des Brüsseler Internationalen Sozialisten-Kongresses (im Jahre 1891, Anm.) de folgenden Beschluss:
„Die sozialistischen Parteien aller Länder aufzufordern, in ihren Programmen dem Streben für völlige Gleichstellung beider Geschlechter bestimmten Ausdruck zu geben und zunächst ganz besonders zu fordern: der Frau auf zivilrechtlichem wie politischem Gebiete dieselben Rechte wie dem Manne zu gewähren.“
Dieser Beschluss und dies Stimmenverhältnis werden noch bedeutungsvoller dadurch, dass in der ersten Sitzung des Kongresses nachdrücklich erklärt wurde: ein sozialistischer Arbeiterkongress habe absolut nichts mit der bürgerlichen Bewegung der Frauenrechtlerinnen zu tun. Ebenso wie der Kongress in der Kriegsfrage die Verschiedenheit betont zwischen der gewöhnlichen bürgerlichen Friedensliga, welche ‚Frieden, Frieden’ schreit, wo kein Friede ist, und der wirtschaftlichen Friedenspartei – der sozialistischen Partei – die die Ursachen der Kriege entfernen will, ebenso klar hat der Kongress betreffs der ‚Frauenfrage’ die Verschiedenheit betont zwischen der Partei der ‚Frauenrechtlerinnen’ einerseits, die keinen Klassenkampf anerkennen, sondern nur einen Kampf des Geschlechtes; die, zur besitzenden Klasse gehörend, Rechte verlangen, die ein Unrecht sind gegen ihre Schwestern aus der Arbeiterklasse; und der wirklichen Frauenpartei andererseits – der sozialistischen Partei – welche den ökonomischen Ursachen der heutigen ungünstigen Lage der Arbeiterinnen auf den Grund geht und die Arbeiterinnen auffordert, Hand in Hand mit den Männern ihrer Klasse gemeinsam zu bekämpfen den gemeinsamen Feind: die Männer und Frauen der Kapitalistenklasse.
Der Brüsseler Beschluss ist ausgezeichnet als eine Prinzipienerklärung – aber wie steht es mit der praktischen Ausführung? Wie sollen die Frauen die bürgerlichen und politischen Rechte erlangen, die er fordert? Denn so lange wir nicht nüchtern und prosaisch erwägen, was geschehen muss, so lange kommt nichts heraus bei theoretischen Proklamationen dessen, was sein soll. Den Klassenkampf zu konstatieren, ist nicht genug. Die Arbeiter müssen auch lernen, welche Waffen zu gebrauchen und wie sie zu gebrauchen; welche Positionen anzugreifen und welche schon errungen Vorteile zu behaupten. Und das ist es, weshalb die Arbeiter jetzt lernen, wo und wann Streiks und Boykotts anzuwenden, wie Arbeiterschutzgesetze zu erlangen, was geschehen muss, damit schon errungene Gesetze nicht tote Buchstaben bleiben. Und nun, was haben wir Frauen zu tun? Eines ohne allen Zweifel. Wir werden uns organisieren – uns organisieren nicht als ‚Frauen’, sondern als Proletarier; nicht als weibliche Konkurrenten unserer arbeitenden Männer, sondern als ihre Kameraden im Kampfe.
Und die allerernsteste Frage ist: Wie sollen wir organisieren? Nun, es scheint mit, dass wir die Organisation beginnen müssen als Gewerkschafter, welche ihre Vereinigung als Mittel benützen, um zum schließlichen Ziel zu gelangen – zur Emanzipation unserer Klasse. Die Arbeit wird keine leichte sein. In der Tat sind die Bedingungen der weiblichen Arbeit derart, dass es oft herzzerbrechend schwer ist, vorwärts zu kommen. Aber von Tag zu Tag wird die Arbeit leichter werden und immer weniger schwierig erscheinen, in dem Maße wie die Frauen und namentlich die Männer einsehen lernen, welche Kraft in der Vereinigung aller Arbeiter liegt.
Dass die Frauen organisieren sollen, wissen die österreichischen Arbeiterinnen, dass sie organisieren können, haben sie gezeigt. Diese ihre Zeitung ist ein Beweis, dass sie trotz aller Nachteile den ersten Schritt gemacht haben in der Richtung der Organisation. Ihr Mut und ihre Opferwilligkeit wird eine Hilfe für uns alle sein. – Aber mittlerweile sollten sie auch erfahren, was ihre arbeitenden Schwestern in anderen Ländern zu tun versuchen. Ich schlage daher vor, in einer Reihe von Artikeln einen kurzen Bericht von unseren verschiedenen Frauen-Unionen zu geben, von ihren Ursprüngen, ihren Statuten, ihrer Mitgliederzahl. Aus den zu gebenden Einzelheiten werden, wie ich glaube, drei Dinge zu folgern sein.
Wo immer Frauen sich organisieren, ist ihre Stellung eine bessere geworden (d.h. die Löhne höher, die Stunden verkürzt, die Arbeitsbedingungen verbessert).
Es gereicht zum Vorteil, mindestens ebenso sehr den Männern wie den Frauen, dass die letzteren sich organisieren und dass ihre Löhne als wirkliche Arbeitslöhne betrachtet werden und nicht als kleine Zugabe zur allgemeinen Haushaltskasse.
Es ist wesentlich – ausgenommen in ganz speziellen Gewerben – besonders bei ungelernten Arbeitern, dass Männer und Frauen Mitglieder einer und derselben Gewerkschaft sind, ebenso wie sie Mitglieder einer und der selben Arbeiterpartei sind.
Dieser Artikel erschien in der Wiener „Arbeiterinnen-Zeitung“, Nr. 3, 5. Februar 1892