In der französischen KP gibt es eine Debatte über ein Verbot der Burka, des Ganzkörperschleiers. Ein marxistischer Beitrag zu den Fragen Frauenrechte, Recht auf Religionsfreiheit und Nationalismus in der ArbeiterInnenbewegung.

Der Kreuzzug von Gerin gegen die Burka: ein gefundenes Fressen für die Rechte

Über das Tragen der Burka ist eine parlamentarische Untersuchung im Gange, die in ein Gesetz münden könnte, die das Tragen dieses Kleidungsstückes in der Öffentlichkeit, d.h. auf der Straße, verbietet. Die Abgeordneten, die diese „Aufklärungsmission“ führen, sollen im Jänner 2010 Empfehlungen aussprechen.

Der Kapitalismus hat die Wirtschaft in eine Rezession extremen Ausmaßes gestürzt. Um ihre Profite zu verteidigen, schließen oder verlagern die KapitalistInnen ganze Unternehmen. Sie betreiben Stellenabbau im großen Maßstab. Sarkozy und seine Regierung stehen mit ihrer Politik völlig zu Diensten der kapitalistischen Interessen und handeln in diesem Sinne. Welch gefundenes Fressen ist es für sie, ein weiteres Mal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die vorgebliche „islamistische“ Bedrohung richten zu können – symbolisiert, wie man uns sagt, durch den Kleidungsstil bestimmter Frauen! Welch großartige Gelegenheit, die Aufmerksamkeit der ArbeiterInnen auf das „Problem“ der Immigration und des „Aufeinanderprallens der Kulturen“ abzulenken! Natürlich hat sich Nicolas Sarkozy sofort dieser Angelegenheit angenommen und sich als Verteidiger „der Würde und der Freiheit der Frau“ positioniert.

Am schlimmsten ist, dass diese neue Spaltungsstrategie von einem kommunistischen Abgeordneten initiiert worden ist – André Gerin. Ihm gemäß ist das Tragen der Burka Ausdruck einer „gegen das Abendland gerichteten Kritik, eines gegen Weiße, gegen Frankreich gerichteten Rassismus.“ Das ist eine skandalöse Verquickung. Diese Redeweise, die an jene der Front National erinnert, kann nur fremdenfeindliche Haltungen schüren.

Von André Gerin hat man derlei schon öfter gehört. In seinem Buch „Die Ghettos der Republik“ zum Beispiel rechnet er sich die rassistische Rede von Chirac über „den Lärm und den Geruch“ zugewanderter Familien auf sein Konto. Zu jener Zeit (Juni 1991) wollte Chirac die Stimmen der von den Sprüchen der Front National verführten WählerInnen gewinnen. „Unser Problem“, sagte damals Chirac, „sind nicht die Ausländer, sondern dass es zu viele sind. Es mag sein, dass es nicht so viele sind wie vor dem Krieg, aber es sind nicht dieselben und das macht einen Unterschied. Es ist klar, dass Spanier, Polen und Portugiesen, die bei uns arbeiten, weniger Probleme machen als Moslems und Schwarze. Wollen Sie, dass der französische Arbeiter, der mit seiner Frau gemeinsam etwa 15000 Francs verdient, auf der Stiege neben seiner Sozialwohnung eine Familie sieht, die aus einem Familienvater und drei oder vier Ehefrauen und zwanzig Kindern besteht und die 50000 Francs an Sozialleistungen bezieht, ohne selbst zu arbeiten… wenn Sie noch den Lärm und den Geruch hinzurechnen, der französische Arbeiter auf seiner Stiege muss ja wahnsinnig werden. Und das ist kein rassistisches Gerede… Wir haben nicht mehr die Mittel, Familienzusammenführungen zu finanzieren und es muss endlich die Debatte darüber stattfinden, wer sich in unserem Land niederlässt, was eine wahrhaft moralische Debatte ist, um zu wissen, ob es natürlich ist, dass die Ausländer mit demselben Anspruch wie die Franzosen von einer nationalen Solidarität profitieren können, zu der sie nichts beitragen, weil sie keine Steuern zahlen!“

In seinem Buch kommentiert André Gerin die Rede von Jacques Chirac: „Nehmen wir die Einwanderungsdiskussion. Rechts und Links haben seit dreißig Jahren auf dieselbe Weise gehandelt, indem sie einer klaren Antwort auswichen oder es vermieden, die Wahrheit zu sagen. Man hat es verweigert anzuerkennen, dass in der Lebensart, den Kulturen und Traditionen zwischen der moslemischen und der jüdisch-christlichen Welt wesentliche Unterschiede bestehen. Alle Welt hat geschwiegen. Nachdem er 1991 in einer Rede die berühmten ‚Gerüche’ beschworen hat, musste sich Jacques Chirac praktisch verleugnen und dafür entschuldigen, einen solchen Terminus verwendet zu haben. Das hat ihm eine unglaubliche Verunglimpfungskampagne eingebracht. Dabei hat er nichts als die Wahrheit gesagt. Aber wir waren nicht im Stande zuzuhören. Ich selbst musste damals sagen ‚er spricht wie die Front National’.“

Die Förderung einer „Debatte“ über die Burka passt zum Verlauf solcher Demagogie. Sie wird dazu beitragen, einen Graben zwischen der arabisch-moslemischen Gemeinschaft und der PCF auszuheben, zumal die nationale Parteileitung sich zum Vorstoß Gerins nicht klar geäußert hat. Auch wenn das Tragen der Burka nur eine winzige Minderheit betrifft, werden zahlreiche MoslemInnen in dieser politischen Vorgehensweise einen neuen Versuch sehen, sie zu stigmatisieren und sie als Problemquelle darzustellen, als „Fundamentalisten“ und so weiter. Und es handelt sich auch um ein solches Manöver. Wie die Mehrheit der AktivistInnen der PCF weisen wir die Debatte und den Vorstoß von André Gerin vollkommen zurück und sagen allen Jugendlichen und allen ArbeiterInnen – moslemisch oder nicht -, dass diese Politik nichts mit dem Kampf der KommunistInnen zu tun hat, die für Einheit und gemeinsame Aktion aller Opfer des Kapitalismus, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Nationalität oder ihrer Religion, eintreten.

Kommunismus und Religion

Die Philosophie, die die Basis des Kommunismus darstellt – der Marxismus -, ist unvereinbar mit religiösen Ideen, sei es das Christentum, der Islam, das Judentum, der Buddhismus oder sonst eine Religion. Im besseren Fall kann die Religion nichts als einen Trost angesichts der durch den Kapitalismus erzeugten Leiden bieten. KommunistInnen müssen eine Lösung bieten, eine Ideologie und ein Programm, das geeignet ist, diesen Leiden ein Ende zu setzen. Die Aufgabe der KommunistInnen ist es weder, die Verschwommenheit der religiösen Ideen zu fördern noch sie zu verteidigen.

Doch diese ideologische und philosophische Opposition erschöpft nicht die Frage der Haltung der KommunistInnen gegenüber der Religion und der religiösen Praktiken. Die Beharrlichkeit religiöser Ideen, die noch immer vorherrschende Position, die diese Ideen auf der ganzen Welt besetzen, erklären sich aus den ihnen zugrundeliegenden gesellschaftlichen und psychologischen Wurzeln. Diese Ideen können nicht mit repressiven Mitteln gegen die Gläubigen ausgelöscht werden. Marx und Engels haben das gut verstanden. Traditionell marschierte die ArbeiterInnenbewegung, weit davon entfernt die Unterdrückung der Religion zu predigen, unter dem Banner der Gewissensfreiheit, d.h. das Recht in völliger Freiheit die Religion der eigenen Wahl auszuüben – oder keine auszuüben. Die Religion wird als Privatsache betrachtet, als eine Angelegenheit des individuellen Gewissens. Der Staat darf sich nicht der religiösen Sache bemächtigen, weder im Sinne der Förderung der Religion, noch im Sinne ihrer Unterdrückung. Als KommunistInnen stellen wir uns jeder Form der Unterdrückung entgegen, sei es nationale und rassische Unterdrückung, Unterdrückung im Namen der Religion (z.B. die Verpflichtung sich gewissen religiösen Praktiken anschließen zu müssen), aber auch Unterdrückung, die gegen die Gläubige selbst gerichtet ist.

Es ist indiskutabel, dass in bestimmten Fällen den betroffenen Frauen das Tragen der Burka auferlegt wird – durch ihre Ehegatten, ihre Familie oder andere Mitglieder ihres Umfelds. Das ist offensichtlich inakzeptabel. Die Frauen müssen das Recht haben, sich zu kleiden, wie sie wollen. Das Gesetz muss dieses Recht gewährleisten, gegen die Tyrannei der Familie oder der Ehemänner vorgehen und Schutz und Zuflucht für die Frauen, die Opfer dieser Tyrannei sind, bereitstellen.

Wir wären für ein Gesetz, das die Auferlegung – durch Zwang oder Einschüchterung – des Tragens der Burka verbietet. Aber es gibt keinen Grund, das Anwendungsgebiet einer solchen Gesetzgebung auf die Burka einzuschränken. Die Bestimmungen eines solchen Gesetzes müssten sich auf alle religiösen oder vorgeblich traditionellen Kleidungsvorschriften erstrecken, die nicht nur unter den MoslemInnen bestehen. Doch weil man - unter dem Vorwand, dass das Tragen der Burka bestimmten Frauen auferlegt ist - beabsichtigt, allen Frauen unabhängig von ihrem Willen das Tragen dieses Kleidungsstücks zu verbieten, handelt es sich nicht mehr um eine Verteidigung der „Rechte der Frauen“, sondern um eine willkürliche Beschränkung dieser Rechte. Es handelt sich also um eine Verfolgung einer spezifischen religiösen Praktik und um einen Schlag gegen die Gewissensfreiheit der betroffenen Frauen.

Ein Gesetz, das das Tragen der Burka verbietet, wäre eine antidemokratische und reaktionäre Maßnahme, die die PCF in keinem Fall unterstützen dürfte. Die „Feministen“, die in den Medien aufmarschieren, um das Verbot des Tragens dieses Kleidungsstücks zu fordern, scheinen zu vergessen, dass das Leitmotiv der Feministinnen war, dass die Frauen wählen können müssen, wie sie ihr Leben leben wollen. Sie müssen Zugang zu Verhütungsmitteln haben, wenn sie das wünschen, Kinder bekommen, wenn sie das wünschen, abtreiben, wenn sie das wünschen. Welche Haltung müsste man z.B. angesichts eines Mannes einnehmen, der seiner Partnerin das Tragen von „sexy“ Kleidung (Miniröcke etc.) auferlegt oder es ihr im Gegenteil untersagt? In diesem Fall wären die FeministInnen einmütig in ihrer Aussage, dass die betreffende Frau sich kleiden können muss, wie sie will. Warum also dieses Prinzip nicht auf Frauen anwenden, die sich aus Gründen, die für sie tauglich sind, das Tragen einer Burka wünschen?

Für ArbeiterInneneinheit

Zu dieser wie zu anderen Fragen muss die Haltung von KommunistInnen auf die Notwendigkeit des Kampfs gegen jeden Versuch der Spaltung der ArbeiterInnen zum Zweck der Schwächung ihrer Verteidigungskraft gegen die KapitalistInnen und die Regierung antworten. Die Angelegenheit der Burka ist offenkundig ein solches Spaltungsmanöver. Was immer die künftigen Empfehlungen der parlamentarischen Untersuchungskommission sein werden, wir werden eine Vielheit von „Debatten“ im Radio, im Fernsehen und in der Presse erleben, wo sorgfältig ausgesuchte „SpezialistInnen“ und „Intellektuelle“ sich bemühen werden, das Misstrauen gegen die MoslemInnen zu nähren. Wir kennen diese Situation bereits aus den Jahren 2003 und 2004 von der in den Medien breitgetretenen Debatte, die der Annahme eines Gesetzes gegen das Tragen von Schleiern an den Schule vorausgegangen war – und die auf große gesellschaftliche Mobilisierungen gegen die Reform Fillon zum Pensionswesen gefolgt war.

Gleichzeitig mit der Bemühung um Spaltung der ArbeiterInnen entlang religiöser und rassischer Linien finden die rechten PolitikerInnen hier eine Gelegenheit, sich als Helden des Kampfes gegen die Frauenunterdrückung darzustellen. Nun aber haben die rechten Abgeordneten, die sich über das Tragen der Burka empören, niemals auch nur den kleinen Finger angesichts der Entlassungswellen, der verordneten Kurz-/Teilzeitarbeit, angesichts notdürftiger Entlohnung, sittlicher Belästigung und aller Formen von Unterdrückung, deren Opfer die ArbeiterInnen unter dem Kapitalismus sind, gerührt. Die Unterdrückung der Frauen stellt für sie kein Problem dar, sofern sie eine Quelle des Profits für die KapitalistInnen ist. Im Gegenteil, sie ermutigen diese Unterdrückung und stimmen für Gesetze, die sie verschärfen.

André Gerin ignoriert diesen entscheidenden Aspekt bei dieser Frage vollkommen. Schlimmer noch, er wendet sich dabei ausdrücklich an eine Art „heilige Allianz“ zwischen der Rechten und der Linken. So erklärte er am vergangenen 1. Juli vor den Abgeordneten (in überwiegender Mehrheit Angehörige der Rechten), die die Untersuchung über die Burka leiten werden: „Für mich ist die Identität Frankreichs fundamental und sie braucht einen linksrechten republikanischen Kampf. Wir sind stolz darauf, Franzosen zu sein und die Herausforderung dieser Zivilisation ist, sich in Erinnerung zu rufen, dass es Frankreich ist, das unseren Stolz ausmacht, die Gewaltentrennung, der Laizismus, die Gleichheit zwischen Mann und Frau, die Redefreiheit. Über allem steht der Respekt vor den Grundwerten der Republik.“ In seinem Appell an einen gemeinsamen linksrechten Kampf im Namen des „Stolzes, Franzose zu sein“ und der „Identität Frankreichs“ – dieses kapitalistischen Frankreichs, das entlässt, ausbeutet, unterdrückt, ausschließt etc. – verrät er das ABC des Internationalismus und gleitet in reaktionären Nationalismus ab.

Noch einmal – André Gerin leistet sich nicht den ersten nationalistischen Ausrutscher. Doch die Parteiführung hat seine Position nie klar kritisiert. Was immer die Gründe für dieses Schweigen sein mögen, es ist ein Fehler, weil es die Idee nährt, dass André Gerin die offizielle Position der PCF vertritt. Die AktivistInnen der Partei dürfen nicht passiv bezüglich dieser Frage bleiben. Unsere Stimme muss hörbar gemacht werden, damit die ArbeiterInnen verstehen, dass André Gerin mit seinen nationalistischen Ideen nur für sich selbst spricht. Wir müssen uns deutlich vom Vorstoß André Gerins abgrenzen und von der Parteiführung verlangen, dass sie dasselbe tut.

Quelle: La Riposte
Veröffentlichung am 12.7.2009


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