Das Tragen von Haar-, Gesichts- oder Ganzkörperschleiern sorgt in ganz Europa für hitzige Debatten. Der Frage, was tatsächlich hinter dieser emotionsgeladenen Debatte steckt, geht Anna Götsch nach?
Nachdem Frankreich 2004 das Tragen von eindeutigen religiösen Zeichen (darunter fallen neben Kopftuch und Burka auch Kippas, Turbane und Kreuze) an staatlichen Schulen verboten hat und nun in weiterer Folge ein allgemeines Verbot von „Burkas“ im öffentlichen Raum zur Debatte steht, haben ähnliche Diskussionen auch im Rest Europas, so zum Beispiel in Dänemark, Italien, Deutschland und der Schweiz (siehe die Volksabstimmung zum Minarettverbot) Hochkonjunktur. Auch Österreichs Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) denkt offen über ein Burka-Verbot in öffentlichen Gebäuden nach.
Ausgangspunkt für diese Debatte ist die Annahme, dass es sich bei Burka und Kopftuch nicht um individuell frei gewählte Kleidungsstücke handelt, sondern um religiöse und kulturelle Symbole, die Frauen unterdrücken – einerseits, weil angenommen (oder unterstellt) wird, dass das Tragen oft unter Zwang passiert, andererseits, weil der Schleier historisch (und auch heute noch) die Funktion hat, die sexuellen Reize der Frau vor dem leicht erregbaren und in seiner angeblich triebhaften Sexualität wehrlosen Mann zu verbergen. Abgesehen von den unwürdigen Geschlechtsstereotypen, die durch eine solche Ideologie transportiert werden, stellt das Tragen der Burka tatsächlich auch eine physische Unterdrückung von Frauen dar, da sie diese nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt, sondern, viel wichtiger, sie gesellschaftlich und sozial isoliert, indem sie jeglichen Kontakt zur Außenwelt unterbindet. Das beklemmende Gefühl beim Anblick derart öffentlich zur Schau gestellter Demütigung und Unterdrückung von Frauen ist verständlich und auch richtig. Aber ist das der einzige Aspekt der Diskussion?
Betrachten wir, wer sich wie in diese Debatte einbringt, wird eines ziemlich schnell deutlich: rechte und bürgerliche Parteien versuchen, aus einem für sie unwesentlichen Thema (siehe die allseits bekannte Positionierung von FPÖ, BZÖ und ÖVP zu den Themen Familie, Sexualität, Gleichberechtigung usw.) Kapital zu schlagen, indem sie vorhandene gesellschaftliche Ängste und Widersprüche auf einen äußeren „Feind“ projizieren, um gleichzeitig die nationale Einheit nach Innen propagieren zu können. Das spielt der Rechten gleich auf mehreren Ebenen in die Hände: Zunächst einmal wird suggeriert, dass Frauenunterdrückung in den „westlichen“ Ländern kein Thema mehr ist, es sei denn, sie wird von „ausländischen Kulturen“ importiert. Weiters dient dieser Diskurs der rassistischen Spaltung der lohnabhängigen Bevölkerung in „InländerInnen“ und „AusländerInnen“, die angeblich nichts miteinander gemein haben und kann so hervorragend zur Verschleierung tatsächlicher Interessensgegensätze, nämlich zwischen Lohnabhängigen und KapitalistInnen, herangezogen werden. Eine Debatte über den „Kampf der Kulturen“ bietet sich darüber hinaus bestens an, um von den desaströsen Folgen der Wirtschaftskrise abzulenken, oder auch um neue soziale Angriffe – beginnend bei den am meisten stigmatisierten und somit besonders wehrlosen Teilen der ArbeiterInnenklasse, den MigrantInnen – ideologisch vorzubereiten. In diesem Sinne ist auch der neueste Vorstoß der Rechten in Frankreich zu verstehen, der fordert, burkatragenden Frauen nicht nur den Zutritt zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbieten, sondern ihnen auch Sozial- und Familienbeihilfe sowie die Staatsbürgerschaft zu verweigern. Spätestens an diesem Punkt wird sichtbar, dass es den Bürgerlichen nicht wirklich um die „Unterstützung unterdrückter Frauen“ geht, sondern um die Instrumentalisierung des Themas zur weiteren Verschärfung der Zuwanderungsgesetze, zu Sozialabbau und forcierter Spaltung der ArbeiterInnenklasse.
Die offensichtliche Ausbeutung des Themas durch die Rechte darf aber nicht dazu führen, dass sich SozialistInnen schlichtweg der Diskussion verweigern. Sexistische Praktiken und Ideologien müssen zu jeder Zeit und unter allen Umständen als solche angesprochen und verurteilt werden. Um dabei jedoch nicht in rassistisches Fahrwasser zu gelangen und den Interessen der Bürgerlichen zu dienen, ist es notwendig, die tatsächliche Ursachen von Frauenunterdrückung aufzuzeigen und zu bekämpfen. Frauen mit Migrationshintergrund zu stärken, bedeutet, sie nicht durch unsicheren Aufenthalts- und Rechtsstatus, durch eine Koppelung ihrer Aufenthaltsbewilligung an die „ihres“ Mannes, durch Barrieren der Arbeitsbewilligung und staatlichen Rassismus in prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu zwingen oder sie ganz von eigener Erwerbstätigkeit auszuschließen. All diese Umstände erhöhen den Druck auf Migrantinnen, verstärken ihre Abhängigkeit und machen sie wehrlos gegenüber sexistischer und anderer Formen von Unterdrückung. Weiters braucht es eine vollständige Trennung von Staat und Religion. Keine offizielle(n) Staatsreligion(en), keine Subvention für religiöse Vereine, keine staatlichen Vermerke über Religionszugehörigkeiten, kein Religionsunterricht und keine religiösen Zeichen an staatlichen Schulen.