Heute vor genau 100 Jahren begann die 2. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz, die vom 26. bis 27. August 1910 in Kopenhagen stattfand. Anlässlich dazu veröffentlichen wir diesen Rückblick von Gernot Trausmuth, der zeigt warum es auch heutzutage lohnend ist, sich mit der Geschichte des 8. März auseinanderzusetzen.
Alice Schwarzer, die Grande Dame des bürgerlichen Feminismus, provozierte Anfang dieses Jahres auf ihrem Blog mit dem Titel „Schafft den 8. März ab!“. Mit ihrer wahren Gesinnung hält die bürgerliche Feministin in diesem Beitrag nicht hinter dem Berg: „Woher kommt der [8. März, Anm.] eigentlich? Von der Frauenbewegung auf jeden Fall nicht. (…) Der 8. März ist eine sozialistische Erfindung, die auf einen Streik von tapferen Textilarbeiterinnen zurück geht und 1910 auf der 2. Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen in aller Form beschlossen wurde.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht, die Frau Schwarzer.
Es war genau vor 100 Jahren im August 1910, als in Kopenhagen mehr als 100 Delegierte aus 17 Ländern zur 2. Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen zusammenkamen. Die Berichte über die Arbeit in den einzelnen Ländern sind in Form einer Broschüre erhalten und zeugen vom großen Aufschwung der sozialdemokratischen Frauenbewegung zu jener Zeit.
Frauenwahlrecht
Ihr zentrales Anliegen war dereinst der Kampf um das Frauenwahlrecht. Im Zuge der russischen Revolution von 1905 erlebte die Wahlrechtsbewegung in ganz Europa einen gewaltigen Aufschwung. Mit Massendemonstrationen und der Androhung von Generalstreiks, die unter den damaligen Bedingungen revolutionären Charakter gehabt hätten, wurde für dieses demokratische Recht gekämpft. Die bekannte Sozialdemokratin Therese Schlesinger berichtete über die Ereignisse im Oktober 1905 wie folgt: „In jenen Oktobertagen, da wir die freudige Botschaft hörten, dass der russische Zar sich vor dem Proletariat gebeugt habe, war die Begeisterung so stürmisch, dass wir uns sagten: Der Parteitag muss seine Sitzung unterbrechen und hinaus auf die Ringstraße, hinaus vor das Parlament und hinaus vor das Kaiserschloss. Eine halbe Stunde später hatte eine Million Menschen sich vor dem Ringe vereinigt. Wir durchbrachen die Reihen der Polizisten und ebenso viele Frauen wie Männer haben sich dem Polizeisäbel entgegen geworfen.“
Gerade in Österreich opferte die sozialdemokratische Parteiführung aber das Frauenwahlrecht und begnügte sich als ersten Schritt mit dem Wahlrecht für die männlichen Arbeiter. Die österreichischen Genossinnen ließen sich trotzdem geduldig auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten und beharrten nicht auf dem eigenen Recht. Für dieses Akzeptieren der parlamentarischen Taktik der Parteispitze waren sie schon bei der Internationalen Frauenkonferenz 1907 scharf kritisiert worden, weil damit die ArbeiterInnenklasse noch weiter gespalten wurde.
Die britischen Sozialdemokratinnen vertraten in der Fraueninternationale eine weitere Minderheitenposition. Sie setzten sich mit bürgerlichen Frauenrechtlerinnen für ein beschränktes Frauenstimmrecht ein, das Arbeiterinnen ebenfalls ausklammerte. Im Gegensatz zu 1907 waren drei Jahre später in Kopenhagen auch die österreichischen Genossinnen bereit, der Resolution für das allgemeine Frauenwahlrecht zuzustimmen. Darin wurde der Standpunkt der proletarischen Frauenbewegung unmissverständlich dargelegt: Angesichts der fortgesetzten Versuche, die große Mehrheit des weiblichen Geschlechts durch Einführung eines beschränkten Frauenwahlrechts zu prellen, soll ausschließlich für das allgemeine Frauenstimmrecht gekämpft werden – aber nicht im Bunde mit den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sondern in Gemeinschaft mit den sozialistischen Parteien.
Frauentag
Den Sprung in die Geschichtsbücher schaffte diese Internationale Frauenkonferenz aber durch eine Resolution von Clara Zetkin und ihr gleichgesinnten Genossinnen: „Um die Einführung des politischen Frauenwahlrechts zu beschleunigen, ist es die Pflicht der sozialistischen Frauen aller Länder, (…) eine unermüdliche aufklärende Agitation über die soziale Berechtigung und Bedeutung der politischen Emanzipation des weiblichen Geschlechts … unter die breitesten Massen zu tragen. (…) Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden.“
Clara Zetkin schrieb damit ein wichtiges Kapitel der Geschichte des Kampfes um Frauenbefreiung. 1911 sollte dieser Frauentag noch am 19. März stattfinden, später setzte sich in Gedenken an den Streik von US-amerikanischen Textilarbeiterinnen als Termin der 8. März durch. „In Anknüpfung an aktuelle Forderungen der Proletarierinnen, so des Frauenwahlrechts, sollte er revolutionärer Klassenvormarsch der proletarischen Frauen und Männer gegen die bürgerliche Gesellschaft sein.“ (Zetkin) Der Kampf für das allgemeine Frauenrecht sollte in der revolutionären Bewegung nach 1918 in den meisten Ländern errungen werden. Den Anfang machten die Bolschewiki nach der erfolgreichen Oktoberrevolution 1917. Österreich und Deutschland folgten am 12. November 1918. Die rechtliche politische Gleichstellung sollte aber nicht ausreichen, um die Befreiung der proletarischen Frau zu erringen. In den revolutionären Kämpfen nach dem Ersten Weltkrieg, in denen Frauen eine zentrale Rolle einnahmen, sollte auch die sozialdemokratische Frauenbewegung im Gleichklang mit der allgemeinen Führung der Sozialdemokratie zu einer systemerhaltenden Kraft werden.
Frauenbewegung
Clara Zetkin, die als Chefredakteurin der „Gleichheit“ gleichzeitig auch die zentrale Figur der proletarischen Frauenbewegung vor 1914 war, zog später Bilanz über die Entwicklung dieses wichtigen Teils der internationalen ArbeiterInnenbewegung: „Auf … der besten Strecke ihrer Geschichte konnte die sozialdemokratische Frauenbewegung als proletarische Frauenbewegung der bürgerlichen entgegengestellt werden. In Theorie und Praxis war sie während dieser Periode, was jene scheinen wollte: Vorkämpferin für die volle soziale und menschliche Befreiung und Gleichberechtigung des gesamten weiblichen Geschlechts. Sie erfasste die Frauenfrage im Lichte des historischen Materialismus als wesentlichen Teil der allgemeinen sozialen Frage. (..) Ihr Handeln wurde von der Auffassung geleitet, dass nur der revolutionäre Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft und die Verwirklichung des Sozialismus als Tat des sich kämpfend befreienden Proletariats der Gesamtheit der Frauen voll erblühendes und sich auswirkendes Menschentum bringen werde und nicht die formale Gleichstellung der Geschlechter im Gesetz.“
Zetkin war nicht prinzipiell gegen eine Zusammenarbeit mit Teilen der bürgerlichen Frauenrechtsbewegung, sofern diese konsequent auch für die Interessen der Arbeiterinnen kämpfte. Aber das vorrangige Ziel sah sie in der Selbstorganisierung der proletarischen Frauen. Nicht der Kampf der Geschlechter für eine Reform der Gesellschaft, die die Vorrechte des Mannes aufheben sollte, war das Ziel. Vielmehr sollten die Arbeiterinnen mit dem gesamten Proletariat den Klassenkampf für eine revolutionäre Umwälzung des Kapitalismus mittels Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln führen. Das also ist die wahre Tradition der sozialdemokratischen Frauenbewegung, die 1910 noch den Rahmen für alle Debatten bildete.
Die Frauenbewegung wurde jedoch immer zum Kampfgebiet, wo der reformistische und revisionistische Flügel die marxistischen Kräfte zu schwächen versuchte. In Deutschland, wo die Linke viele Kader der Frauenbewegung stellte, war dies eine harte Auseinandersetzung. Mit der zunehmenden organisatorischen Integration der Frauenbewegung in die Partei wurde aber der Einfluss der Linken Schritt für Schritt zurückgedrängt. In Österreich war die Frauenorganisation traditionell viel stärker an der Politik der Parteispitze orientiert und entwickelte nie eine wirklich eigenständige Rolle.
Zetkin verfolgte mit dem Antrag auf einen „internationalen Frauentag“ aber wahrscheinlich auch einen Hintergedanken. In der deutschen Sozialdemokratie gelang es dem rechten Flügel kurz zuvor eine Mehrheit gegen die Abhaltung einer eigenen Frauenkonferenz zu bekommen. Damit sollte der Parteilinken ein Schlag versetzt werden. Durch die Abhaltung eines internationalen Frauentages wollte Zetkin dem reformistischen Flügel Konter geben.
Die grundsätzliche Schwäche der II. Internationale als Föderation der einzelnen nationalen Sozialdemokratien, die sich leider auch auf dem Gebiete der Frauenbewegung widerspiegelte, konnte aber selbst mit diesem geschichtsträchtigen Beschluss nicht aufgehoben werden. Auf den diversen Kongressen wurden auf Initiative der revolutionären Marxistinnen richtungsweisende inhaltliche Meilensteine der sozialistischen Frauenbewegung gesetzt (gegen ein Verbot der Frauenarbeit, für einen speziellen Arbeiterinnenschutz wie das Nachtarbeitsverbot, für das allgemeine Frauenwahlrecht usw.).
Die Internationale fasste aber nie Beschlüsse, die für die nationalen Parteien und Gewerkschaften bindend gewesen wären. Dadurch verzichtete sie „auf Initiative und Führung, das Ringen der proletarischen, der werktätigen Frauen für ihre Befreiung und Gleichberechtigung ideologisch und organisatorisch mit dem Klassenkampf des Proletariats zu verbinden und zu einer nicht zu missenden tragenden und treibenden Kraft der sozialen Revolution zu machen.“ (Zetkin).
Die euphorischen Lobeshymnen auf die „internationale Einheit des Proletariats“, die auch in der Arbeiterinnen-Zeitung zu lesen waren, wurden 1914 vom Getöse auf Europas Schlachtfeldern endgültig übertönt.
Das positive Erbe der proletarischen Frauenbewegung im Ringen um politische, ökonomische und soziale Frauenrechte und dafür, dass die Frauenbefreiung als unerlässlicher Bestandteil des Kampfs für den Sozialismus anerkannt wurde, gilt es aber auch fast 100 Jahre später noch immer weiterzuführen – und zwar nicht nur am 8. März.