In der Silvester Nacht wurden am Kölner Bahnhofsvorplatz über 70 Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen, zudem wurden zwei Vergewaltigungen angezeigt. Berichtete die Kölner Polizei noch zu Neujahr, dass die „Einsatzlage entspannt“ gewesen sei, verdichteten sich die zuerst polizeilich ignorierten Übergriffe zur „Kölner Schreckensnacht“ (faz). Die politische Debatte läuft heiß- weil Migranten als Täter ausgemacht wurden. Von Natalie Ziermann.
Besorgte Bürger haben dieser Tage Hochkonjunktur. So postet PEGIDA beispielsweise auf Facebook „Eine Armlänge Distanz halten, schützt uns nicht vor sexuellen und sonstigen Übergriffen, eine Mittelmeerbreite dagegen schon“. Bürgerliche Politiker und liberale Blätter geben es kaum billiger. Sexismus und sexualisierte Gewalt ist dabei kaum das Thema, vielmehr geht’s um Leitkultur und Asylrecht. Auch in Österreich sind Strache und Co. längst auf den Zug aufgesprungen und spielen sich als Frauenbeschützer auf. Zu Erinnerung: Das sind die gleichen Menschen, die „Pograpschen“ völlig in Ordnung finden und gegen eine Finanzierung von Frauenhäusern eintreten.
Sexualisierte Gewalt ist kein Migranten-Privileg
Als Verweis für diese Heuchelei wird gerne das Oktoberfest angeführt bei dem es jedes Jahr etliche Vergewaltigungen gibt, die aber zu keinerlei öffentlicher Debatte um Frauenrechte führen. In Österreich erleben knapp 75% aller Frauen sexuelle Belästigung, jede dritte Frau erfährt sexuelle Gewallt, davon jede vierte eine Vergewaltigung. Das bedeutet 7% aller Frauen werden mindestens einmal in ihrem Leben vergewaltigt. Bei sexueller Gewalt handelt es sich in 80% der Fälle um einen der Frau bekannten Täter, bei sexueller Belästigung um in etwa 60%.
Wo ist also hier der Aufschrei besorgten Frauenschützer? Natürlich nicht existent. Jetzt schreien nur jene auf, die in jeder Frau mit Kopftuch eine geschlagene Frau sehen, während sie ihr Bier auf dem Hinterteil ihrer Freundin abstellen und davon Fotos ins Netz hochladen. Für Frauenrechte interessieren sie sich nur dann, wenn „Asylanten“ Frauen belästigen. Offenbar ist sexualisierte Gewalt in den Augen der neuen Frauenschützer ein Vorrecht, das sie sich nur selbst zugestehen möchten.
Debatte unter Ausschluss der Opfer
Die rechten Kausalschlüsse sind faktisch falsch und politisch vordergründig. Aber auch das Gegenargument Oktoberfest ist problematisch. Versetzen wir uns einmal kurz in die Situation der Frauen, die zu Silvester Opfer von sexueller Gewalt wurden. Wenn sie eine Erklärung für das, was ihnen passiert ist, suchen, haben sie die Möglichkeit sich zwischen der Argumentation „die Asylanten sind schuld“ oder der Argumentation „da wird jetzt ein Drama um etwas gemacht, was auch am Oktoberfest passiert“ zu entscheiden. Beide Deutungen sind aus der Sicht des Opfers unbefriedigend.
Denn die Tatsache ist, dass den Betroffenen etwas sehr schlimmes angetan wurde aber es in der ganzen Debatte nie um sie geht. Es wird nicht diskutiert, warum es möglich ist, dass Frauen mitten in einer Menschenmenge sexuelle Gewalt angetan wird, ohne dass irgendwer eingreift. Es wird nicht diskutiert, wie man den Opfern am besten helfen kann um die Situation möglichst gut verarbeiten zu können. Schlussendlich werden nicht wenige selbstbewusste Frauen, die von einem Rudel-Mob überwältigt wurden, zum schwachen, generell von Männern schützenswerten Wesen erniedrigt. Und schon gar nicht wird diskutiert, wie eine Gesellschaft gestaltet sein müsste, damit sexuelle Gewalt weder im Öffentlichen noch im Privaten vorkommt. Die Gewalt, die die Frauen erleben mussten wird stattessen instrumentalisiert um der latenten Debatte um Flüchtlinge einen rassistischen Spin zu geben. Dies hat rein gar nichts mit dem zu tun, was diesen Frauen angetan wurde. (Und ist nebenbei erwähnt wahrscheinlich ohne jede faktische Grundlage. Lokale AktivistInnen in Köln berichten einstimmig, dass diese Übergriffe wohl das Werk polizeibekannter Kölner Vorstadtbanden waren, allesamt geboren und aufgewachsen in Deutschland).
Sexismus und Rassismus sind beide hervorragende Instrumente der herrschenden Klasse, um die Arbeiterklasse zu spalten. Durch solche Instrumente wird verhindert, dass wir gemeinsam kämpfen. Indem sexuelle Belästigung und Gewalt von der Gesellschaft weitgehend toleriert werden gibt man Männern, die in ihrer Arbeit ausgebeutet werden, die Möglichkeit sich zumindest gegenüber Frauen als „Chef“ aufzuspielen. Das gilt auch für den Rassismus. Wenn die ArbeiterInnen Flüchtenden die Schuld an ihrer misslichen Lage geben, können sich diejenigen, die sie eigentlich ausbeuten gemütlich zurücklehnen.
Die Konsequenz aus Köln muss also sein, dass wir uns konsequent mit allen Opfern sexueller Gewalt solidarisieren und uns dabei nicht von rassistischen Argumentationen in die Irre leiten zu lassen. Als MarxistInnen müssen wir für eine Gesellschaft eintreten, in der sich Menschen egal welcher Herkunft ohne Rollenzwänge, Sexismus und sexueller Gewalt frei entfalten können.