Auf den ersten Blick könnte man meinen es sei ein schlechter Aprilscherz, aber leider ist er bittere Realität: der Abschluss für rund 125.000 Beschäftigte im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich. Eine Stellungnahme von Sarah Ott.
Heute Vormittag wurde Gewissheit, was seit Montag bereits gerüchteweise in Umlauf war. Entgegen der ursprünglichen Position, die Verhandlungen auszusetzen, Streikbeschlüsse aufrecht zu erhalten und sobald die momentane Krise überwunden ist weiter für Verbesserungen zu kämpfen, wurde ein „Angebot“ der Arbeitgeberseite akzeptiert, das als solches eigentlich bereits Anfang März einstimmig vom großen Verhandlungsteam abgelehnt worden war.
Interview zum SWÖ-Abschluss.
Die Abstimmung erfolgte per E-Mail, ohne vorherige Diskussion und ohne jegliche demokratische Mitbestimmungsmöglichkeit der Belegschaften. Viele BetriebsrätInnen haben von dem Abschluss überhaupt erst über die Medien erfahren. Und das in einer Situation, in der die große Mehrheit der Bevölkerung unsere Arbeit als essenziell wahrnimmt und großes Verständnis für unsere Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung hat.
Der Abschluss im Detail: ein Kniefall vor den Arbeitgebern
Die beschlossene Einigung sieht einen 3-Jahres-Abschluss vor, d.h. es wird bis Herbst 2022 keine weiteren Verhandlungen geben. Für heuer ist rückwirkend ab dem 1.2.2020 eine Gehalterhöhung um 2,7% vorgesehen, für 2021 ab 1.1. eine Erhöhung um die durchschnittliche Inflationsrate von November 2019 bis Oktober 2020 plus 0,6 % (Man beachte: Die derzeit geringe Inflationsrate soll als Basis dafür hergenommen werden, die Preissteigerungen des Jahres 2021, die voraussichtlich viel höher sein werden, „abzugelten“!). Und erst für 2022 eine Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde von bisher 38 auf 37 Stunden. Das allerdings ohne Inflationsabgleich oder gar Gehaltserhöhung, sodass sich für Vollzeitbeschäftigte automatisch ein Reallohnverlust ergibt.
Zusätzlich dazu werden ab 2022 auch noch die Mehrarbeitszuschläge von bisher 50% für die 39. Und 40. Stunde auf 33,3% für die 38., 39. und 40. Stunde gekürzt. Somit zahlen sich die Beschäftigten diese Arbeitszeitverkürzung eigentlich selbst. Hinzu kommt, dass es den Arbeitgebern ein Leichtes sein wird, die eine Stunde Arbeitszeitverkürzung in 3 Jahren so zu gestalten, dass es nicht zu einem Personalausgleich, sondern zu einer Verdichtung der Arbeit kommen wird.
Die Mehrzahl der Arbeitgeberforderungen, z.B. nach längeren Durchrechnungszeiträumen, kürzeren Ruhezeiten, Mitnahme von Minusstunden, Erhöhung der Pufferstunden, Verlängerung der Durchrechnungszeiträume ohne Betriebsrat,… konnten zwar fürs erste abgewehrt werden, allerdings sollen diese im jetzt folgenden Prozess der Überarbeitung des Kollektivvertrages aufgenommen werden. Diese „grundlegende Überarbeitung des Kollektivvertrages“, wie es auf der SWÖ Seite heißt, soll in der durch den 3-Jahres-Packt entstandenen Verhandlungspause stattfinden. Dass das für die Beschäftigten nichts Gutes bedeutet liegt auf der Hand.
Außerdem wird uns durch den 3-Jahres-Abschluss die Möglichkeit genommen, zukünftig weiter für unsere Anliegen zu kämpfen, so wie es heuer und auch in den letzten Jahren viele Belegschaften mit großem Enthusiasmus getan haben.
Mit dem Mehrjahresabschluss wird die gewerkschaftliche Kampfbereitschaft und das Wissen und die Erfahrungen, die wir uns in den letzten Jahren im Sozial- und Gesundheitsbereich erarbeitet haben, massiv zurückgedrängt werden. Und genau das ist es, was die Arbeitgeber bezwecken. Aber gerade in der aktuellen Situation, die den Menschen vor Augen führt, wie wichtig unsere Arbeit ist und das Verständnis für unsere Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen so groß ist wie noch nie, hätten wir eine andere Richtung einschlagen müssen.
Corona-Zulage
Zwar sollen alle MitarbeiterInnen, die im Zeitraum von 16.3.-30.6.2020 persönlichen Kontakt mit KlientInnen haben zusätzlich eine Gefahrenzulage in Höhe von 500€ erhalten. Es gibt dafür aber weder eine konkrete Regelung, noch ist klar wie die Anspruchsvoraussetzungen aussehen, da diese noch nicht festgelegt wurden. Natürlich ist die Vereinbarung einer Corona-Zulage sinnvoll, diese hätte aber, so wie in anderen Branchen auch, unabhängig vom Kollektivvertrag und keineswegs als Tausch für einen schlechten Abschluss festgelegt werden müssen.
Demokratie? Nicht vorhanden!
Vor allem das Zustandekommen des Abschlusses wirft viele Fragen auf und das Vorgehen der Gewerkschaftsführung ist hier aufs schärfste zu kritisieren. Die Mitglieder des großen Verhandlungsteams wurden mit einer zuvor noch nie dagewesenen, völlig einseitigen Ja-Nein-Abstimmung konfrontiert und unter Druck gesetzt. Es gab keinerlei Möglichkeit einer Diskussion im Gremium, es konnten keine anderen Positionen diskutiert oder Argumente vorgebracht werden, geschweige denn Änderungsvorschläge oder Abänderungsanträge gemacht werden. Im Gegenteil: Die Gewerkschaftsführung weigerte sich, den Gegenantrag eines Mitglieds des großen Verhandlungsteam abstimmen zu lassen, in dem ein Abschluss nur für dieses Jahr gefordert wurde!
Ein solches Vorgehen widerspricht jedem demokratischen Verständnis von innergewerkschaftlicher Diskussion. Dabei wäre eine solche gerade bei einem Abschluss mit derartiger Tragweite essentiell.
Urabstimmung jetzt!
Gerade in der momentanen Situation, wo keine gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen oder öffentliche Proteste möglich sind, muss es eine Abstimmung unter den Beschäftigten über den KV-Abschluss geben. Eine solche Urabstimmung ist in anderen Ländern durchaus üblich.
Es ist untragbar, dass ein Abschluss über 3 Jahre auf eine derart undemokratische Art zustande kommt und alle vorliegenden und aufrechten Streikbeschlüsse und die weiterhin bestehende Bereitschaft der Beschäftigten, auch nach der Krise für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu kämpfen, einfach ignoriert werden.
Genau aus diesem Grund sollten kämpferische BetriebsrätInnen, Streikkomitees und Belegschaften jetzt Befragungen zum KV-Abschluss organisieren und diese „Urabstimmung von unten“ nutzen, um der Gewerkschaftsführung zu zeigen, dass dieser Abschluss keinesfalls im Sinne der Beschäftigten ist.
Warten wir nicht darauf, dass die Gewerkschaftsführung uns mitreden lässt, organisieren wir selbst unsere Mitsprache und lassen wir uns nicht auf Jahre mundtot machen. Das ist die einzige Möglichkeit, um die Dynamik des Arbeitskampfes nicht zu begraben und uns damit selbst zu entwaffnen. Ein Abschluss ist nur ein Stück Papier – entscheidend ist, was die Beschäftigten im Bereich selbst tun. Es braucht jetzt, mehr denn je, eine klare und gemeinsame Antwort aller kämpferischen BetriebsrätInnen und KollegInnen, es braucht eine aktive und organisierte Gewerkschaftsopposition.
Bei diesem Abschluss wird einmal mehr klar: es geht nicht um die Interessen der Beschäftigten, sondern um die bürokratische Hoffnung der Gewerkschaftsspitze auf eine Einbindung in die Sozialpartnerschaft. Diese Logik kann aber nur in die Niederlage führen, denn hinter dem propagierten „Team Österreich“ stehen ganz klare Klasseninteressen.
Daher: Nein zu diesem Abschluss, kämpfen wir gemeinsam für das „Team Arbeiterklasse“ und organisieren wir uns weiter im Betrieb und darüber hinaus um tatsächlich unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern.
- Nein zu diesem Abschluss!
- Nein zur geheuchelten „Dankbarkeit“ der Bosse, ja zum Team Arbeiterklasse!
- Für eine kämpferische Gewerkschaftsopposition im Sozialbereich und darüber hinaus!
- Für flächendeckende Urabstimmungen zum Verhandlungsergebnis, wenn nötig in den Betrieben selbst organisiert!
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